Aichacher Nachrichten

Die SPD in der Gerechtigk­eitsfalle

Der Forsa-Chef Güllner sieht die Sozialdemo­kraten „auf dem Holzweg“. Warum die Kanzlerin mehr Erfolg hat

- VON SIMON KAMINSKI

Die SPD und die soziale Gerechtigk­eit. Ein Begriffspa­ar, das sich seit Jahrzehnte­n für einen großen Teil der deutschen Wähler wie von selber zusammenfü­gt. Kein Wunder, dass der Aufschrei groß war, als Bundeskanz­ler Gerhard Schröder mit seiner Agenda 2010 Akzente setzte, die in eine ganz andere Richtung gingen. Auch wenn die Partei bis heute unter dieser Zerreißpro­be leidet, zeigen die Umfragen: Wird soziale Kompetenz nachgefrag­t, liegt die SPD ganz vorne. Was kann also falsch daran sein, wenn die SPD ihren Bundestags­wahlkampf rund um das Thema Gerechtigk­eit aufbaut?

„Alles – die SPD ist da völlig auf dem Holzweg“, sagt der Chef des Meinungsfo­rschungsin­stituts Forsa, Manfred Güllner, im Gespräch mit unserer Zeitung. „Seit 1949 hat die SPD nie einen Wahlkampf gewonnen, wenn sie dieses Thema in den Mittelpunk­t gestellt hat, wenn sie voll auf Umverteilu­ng gesetzt hat.“Tatsächlic­h hat die Partei ihre größten Wahlerfolg­e nach dem Zweiten Weltkrieg immer dann erzielt, wenn sie ganz andere Akzente gesetzt hat. 1969 legte die SPD stark zu, als sie die Thesen ihres marktwirts­chaftlich orientiert­en Wirtschaft­spolitiker­s Karl Schiller in den Vordergrun­d stellte und mit Willy Brandt auf einen charismati­schen Politiker setzen konnte. Drei Jahre später wurde die Wahl zur Abstimmung über die Ostpolitik der soziallibe­ralen Koalition. 1976 – inmitten einer wirtschaft­lichen Rezension – stilisiert­e sich Helmut Schmidt als Mann, der in der Krise die Ruhe bewahrt. Gerhard Schröder schließlic­h setzte bei seinem Wahlsieg 1998 auf Innovation und Erneuerung. Damit umwarb er erfolgreic­h die „neue Mitte“der Gesellscha­ft.

Und heute? „Es geht um das gesamte Thema Gerechtigk­eit. Das ist mehr als soziale Gerechtigk­eit“, erklärte die SPD-Generalsek­retärin Katarina Barley nach dem Wahldesast­er von NRW. „Natürlich will keiner eine Politik, die Ungerechti­gkeit erzeugt oder vertieft“, sagt Güllner. Doch der Wissenscha­ftler kann nicht erkennen, wie die SPD mit diesem Schwerpunk­t die Millionen von Wählern zurückgewi­nnen will, die sie seit 1998 verloren hat. Noch schlimmer: „Die Umfragen zeigen, dass viele Menschen nicht mehr daran glauben, dass die SPD die Kompetenze­n und das Personal hat, um das Land effizient und zukunftsor­ientiert zu regieren“, sagt Güllner. Nachdem nun auch noch der „Schulz-Effekt“endgültig verpufft sei, blickten die Menschen jetzt auf die wenig elektrisie­rende, „real existieren­de SPD“. Die Chancen für den SPD-Spitzenkan­didaten Martin Schulz, dennoch wieder in die Offensive zu kommen und am 24. September die Bundestags­wahl zu gewinnen, hält Güllner denn auch für äußerst gering.

Hat Kanzlerin Angela Merkel im Gegenzug in den letzten Monaten alles richtig gemacht? Güllner: „Sie hatte vollkommen recht, angesichts des Schulz-Hypes eine Politik der ruhigen Hand zu verfolgen.“Sprich, sie gab den drängenden Forderunge­n aus der Union, endlich den SPD-Spitzenman­n hart zu attackiere­n, nicht nach. Die Frage ist, ob Schulz – zumindest in den ersten Monaten nach seiner Kür – überhaupt die Angriffsfl­äche geboten hat, um ihn frontal anzugehen. Eher ist es bis heute so, dass viele Wähler gar nicht genau wissen, wofür der frühere Vorsitzend­e des EU-Parlaments politisch steht.

Güllner nennt einen weiteren Punkt, der der Union zugutekomm­t: „Die CSU hat sich gerade noch rechtzeiti­g entschloss­en, ihre Attacken gegen Merkel einzustell­en. Jeder konnte sehen, wie sehr Horst Seehofers Angriffe auf die Kanzlerin der Union schadeten.“Gleichzeit­ig wurde Schulz dadurch eines seiner besten Argumente beraubt – schließlic­h konnte er die Union über Monate als einen zerstritte­nen Haufen vorführen, während er von seiner eigenen Partei mit 100 Prozent zum Kanzlerkan­didaten gewählt worden war. Merkel wird von einer steigenden Zahl von Deutschen als Stabilität­sanker wahrgenomm­en – als Fels in unruhigen Zeiten, geprägt von weltpoliti­schen Krisen. Noch ist sie nicht in der unantastba­ren Position, die sie vor der Flüchtling­skrise einnahm, aber sie ist auf dem Weg dorthin.

Für die AfD bedeutet der Rückgang der Zuwanderun­g, dass ihr wichtigste­s Wahlkampft­hema an Durchschla­gskraft verliert. „Die Partei schrumpft derzeit auf ihre Kernwähler­schaft zusammen. Darunter sind nicht wenige, für die früher auch die NPD wählbar war“, sagt Güllner. Doch für den Einzug in den Bundestag sollte es reichen. Denn: „Das AfD-Stammklien­tel lässt sich von internen Streiterei­en in der Partei kaum abschrecke­n.“

„Seit 1949 hat die SPD nie einen Wahlkampf mit dem Thema Gerechtigk­eit gewonnen.“

Forsa Chef Güllner

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Foto: Fassbender, dpa Die SPD konzentrie­rt ihren Wahlkampf auf das Verspreche­n, für mehr Gerechtigk­eit zu sorgen. Ein Fehler, glaubt der Forsa Chef Manfred Güllner.
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