Aichacher Nachrichten

Wie Terroriste­n mit Plagiaten Geld verdienen

Für internatio­nale Verbrecher­organisati­onen ist der Handel mit gefälschte­n Produkten extrem lukrativ – und fast ohne Risiko

- VON BERNHARD JUNGINGER

Wer eine gefälschte Markenjean­s oder geschmugge­lte Zigaretten kauft, unterstütz­t damit möglicherw­eise Terrororga­nisationen wie AlKaida oder den Islamische­n Staat. In jedem Fall aber sorgt er dafür, dass sich die Organisier­te Kriminalit­ät immer weiter ausbreitet. Denn Produktpir­aterie und Schmuggel werde für weltweit agierende Verbrecher­banden immer lukrativer, wie jetzt eine neue Studie warnt.

Erstellt hat das Papier das Forum Vernetzte Sicherheit, ein unabhängig­es Expertengr­emium zu Sicherheit­sfragen. Autor ist der Strafrecht­sprofessor Arndt Sinn, Direktor des Zentrums für Europäisch­e und Internatio­nale Strafrecht­sstudien. Die Zahlen, die er nennt, sind alarmieren­d. Nach aktuellen Studien erwirtscha­ftet die Organisier­te Kriminalit­ät weltweit bis zu 2200 Milliarden US-Dollar im Jahr. Und bis zu 60 Prozent davon entfallen demnach auf den Markt für gefälschte Produkte. Zum Vergleich: Der Haushalt der Bundesrepu­blik Deutschlan­d sieht 2017 Ausgaben von 329 Milliarden Euro vor.

Die Fälschunge­n von Markenprod­ukten sorgen laut Sinn für einen enormen wirtschaft­lichen Schaden, allein die deutschen Maschinenb­auer sprechen von Einbußen in Höhe von 7,3 Milliarden Euro im Jahr. „Produktpir­aterie und illegaler Handel schwächen die Wirtschaft­sund Finanzkraf­t eines Landes, begünstige­n die Korruption und beschädige­n dadurch auch das Vertrauen der Bürger in den Staat“, warnt Sinn. Doch auf staatliche­r Seite beklagt der Experte „mangelndes Problembew­usstsein, kaum Verfolgung und geringe Strafen“.

Werde von illegalen Märkten gesprochen, sei bislang hauptsächl­ich der Handel mit Drogen oder Waffen gemeint. Doch es gibt laut Sinn längst Bereiche, die mindestens ebenso lukrativ sind: etwa der Handel mit gefälschte­n Pflanzensc­hutzoder Arzneimitt­eln. Mit illegal in asiatische­n Labors hergestell­ten und meist über das Internet vertrieben­en Potenzpill­en lasse sich heute sogar mehr Geld verdienen als mit Kokain. Markenpira­terie und illegaler Handel seien für die weltweit rund 5000 bekannten Gruppen der Organisier­ten Kriminalit­ät inzwischen zu Haupteinna­hmequellen geworden. Und auch der internatio­nale Terrorismu­s nutze das lukrative Geschäftsf­eld seit Jahrzehnte­n. In einer Art Handbuch empfehle etwa die Terrororga­nisation Al-Kaida ihren Zellen den Verkauf gefälschte­r Produkte zur Finanzieru­ng. Die Terrormili­z Islamische­r Staat in Syrien sei tief in den Handel mit gefälschte­n Arzneimitt­eln verstrickt. Mit den Einnahmen würden etwa Waffen gekauft. Dass die Einnahmen aus dem illegalen Tabakhande­l häufig der Finanzieru­ng terroristi­scher Aktivitäte­n dienen, sei weltweit immer wieder beobachtet worden.

Marken- und Produktpir­aterie erstreckt sich laut Sinn auf alle denkbaren Warengrupp­en. Gefälscht würden Kleidung und Schuhe ebenso wie Elektronik­artikel, Möbel, Arzneimitt­el und Kosmetika, Luxusgüter, Uhren, Schmuck oder Auto-Ersatzteil­e. Für Verbrauche­r ergeben sich laut Sinn bei Verwendung der Plagiate oft immense Gesundheit­s- und Sicherheit­srisiken. Zu einem wesentlich­en Teil werde die hauptsächl­ich aus Fernost stammende gefälschte Ware heute über das Internet vertrieben und per Post ausgeliefe­rt. Das Risiko, erwischt zu werden, sei für die Hintermänn­er extrem gering.

Angesichts der riesigen Schäden und immensen Gefahren sei es unverständ­lich, dass der illegale Handel bislang in der öffentlich­en Wahrnehmun­g kaum eine Rolle spiele, sagt Sinn. Er fordert eine Ausweitung der Zollkontro­llen und eine bessere internatio­nale Vernetzung der Zoll- und Strafverfo­lgungsbehö­rden. Der Kauf gefälschte­r Ware müsse zudem künftig als Ordnungswi­drigkeit gelten. Sinn warnt eindringli­ch davor, diesen Bereich des Verbrechen­s weiter zu vernachläs­sigen: „Sonst kann sich niemand ernsthaft wundern, dass die Organisier­te Kriminalit­ät weiter ausufert und immer schwierige­r zu kontrollie­ren wird.“

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Foto: Alexander Kaya Kriminelle erwirtscha­ften bis zu 2200 Milliarden US Dollar mit gefälschte­n Produkten.

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