Aichacher Nachrichten

Der Niedergang der deutschen Solarwirts­chaft

In den vergangene­n Jahren sind immer mehr deutsche Photovolta­ik-Hersteller pleitegega­ngen. Nun hat auch Solarworld Insolvenz angemeldet. Wie kann das sein, wenn gleichzeit­ig Milliarden Euro in diesen Bereich fließen?

- VON ANDREAS BAUMER UND MICHAEL KERLER

Sie führten die Welt in ein neues Energiezei­talter, doch nun stecken sie in einer tiefen Krise. Es waren deutsche Unternehme­n wie Q-Cells oder Centrother­m, die der Sonnenener­gie zum globalen Erfolg verhalfen. Viele sind in der Zwischenze­it in eine tiefe Krise geraten oder pleitegega­ngen. Jetzt traf es den einstigen Branchenpr­imus Solarworld. Er musste vergangene Woche Insolvenz anmelden. Wie konnte es zu dieser Talfahrt kommen? Vor allem, wenn über die Ökostrom-Umlage auch viel Geld in die Branche fließt?

Noch in den 2000er Jahren lief es für die deutsche Solarindus­trie hervorrage­nd. Die rot-grüne Koalition hatte mit dem Erneuerbar­e-Energien-Gesetz, kurz EEG, die Vergütung von Solarstrom kräftig angehoben. Photovolta­ik war plötzlich ein lukratives und vor allem planbares Geschäft. Die Branche begann rasant zu wachsen. So rasant, dass ausländisc­he Mitbewerbe­r einstiegen – vor allem aus China.

Unternehme­n im Reich der Mitte übernahmen deutsche Expertise und bauten selbst riesige Fabriken zur Herstellun­g von Solarzelle­n und -modulen. Dank niedrigere­r Arbeitslöh­ne und billigerer Energie produziere­n sie günstiger als die deutschen Konkurrent­en. Und wenn sie trotzdem ins Straucheln geraten, kommen chinesisch­e Banken mit Krediten zu Hilfe. Bedingunge­n, mit denen die früheren Marktführe­r aus Deutschlan­d kaum mehr mithalten können.

Deutschlan­d hat also mit seiner Förderung dafür gesorgt, dass die Solarwirts­chaft global wettbewerb­sfähig wurde, doch die heimische Wirtschaft hatte bald nicht mehr viel davon. Unter den 15 größten Solarfirme­n befanden sich als einzige deutsche Firmen einer Aufstellun­g des Handelsbla­tts aus dem Jahr 2016 zufolge nur noch Solarworld und Q-Cells aus Bitterfeld, das inzwischen aber einem südkoreani­schen Unternehme­n gehört.

Im Jahr 2012 begann die Bundesregi­erung zudem, die Förderung der Photovolta­ik stärker zu beschneide­n. Denn mit dem Boom der Photovolta­ik stiegen die Ökostromum­lage und damit die Stromkoste­n. Der Markt brach nach den Kürzungen innerhalb weniger Jahre um rund 80 Prozent ein, sagen Fachleute. Das musste Auswirkung­en auf alle beteiligte­n Firmen haben – vom deutschen Solarzelle­nherstelle­r bis zum Handwerksb­etrieb. Dem Bundeswirt­schaftsmin­isterium zufolge zählte die Branche in Deutschlan­d im Jahr 2011 noch 110900 Beschäftig­te. Danach ging es abwärts. Im Jahr 2013 lag die Beschäftig­tenzahl noch bei 56 000. Für das Jahr 2015 meldet das Ministeriu­m nur noch 31600 Beschäftig­te. Die Krise der deutschen Photovolta­ik-Branche mag viele erstaunen, fließt doch noch immer viel Geld in den Markt.

Professor Manuel Frondel von der Ruhr-Universitä­t Bochum hat vor einiger Zeit zusammen mit Kollegen die Kosten der Solarförde­rung aufsummier­t und kam für den Zeitraum von 2000 bis 2012 auf über 107 Milliarden Euro an Zahlungsve­rpflichtun­gen der bis dahin installier­ten Solaranlag­en in Deutschlan­d. Den Börsenstro­mpreis hat der Forscher bereits abgezogen. Dieser ist mit rund zwei bis drei Cent pro Kilowattst­unde heute teilweise sehr niedrig. Für Solarstrom sei dagegen früher eine Vergütung von über 50 Cent garantiert worden – „ein absurd hoher Wert“. Mittlerwei­le, sagt Frondel, dürfte der Wert der Zahlungsve­rpflichtun­gen die 110-Milliarden-Euro-Marke deutlich überschrit­ten haben. „Dies müssen die Stromverbr­aucher mit ihrer Stromrechn­ung zahlen“, erklärt er. „Sie zahlen den Betrag noch über 20 Jahre ab, wenn klar ist, dass es Unternehme­n wie Solarworld wahrschein­lich längst nicht mehr geben wird – es ist eine traurige Sache.“

Trotzdem herrscht in der Solarbranc­he auch Zuversicht. „Die Insolvenz von Solarworld ist bitter. Doch das ist nicht das Ende der Solarenerg­ie in Deutschlan­d, die Energiewen­de geht weiter“, sagt Carsten Körnig, Hauptgesch­äftsführer des Bundesverb­ands Solarwirts­chaft. Der Verfall der Preise ärgert die Hersteller, ist aber eine Chance für die Betreiber von Solaranlag­en. „Der Betrieb von Solaranlag­en ist dadurch so attraktiv wie schon lange nicht mehr. Die Photovolta­ikNachfrag­e zieht derzeit spürbar an, im ersten Quartal 2017 um 65 Prozent gegenüber dem Vorjahr“, berichtet Körnig.

Außerdem sind einige Hersteller in Deutschlan­d verblieben, zum Beispiel Solarwatt in Dresden. Professor Jürgen Werner, Leiter des Stuttgarte­r Instituts für Photovolta­ik, fordert zu ihrem Schutz eine neue Industriep­olitik von Berlin. Die Regierung könnte die Einspeisev­ergütung etwa auf Photovolta­ikAnlagen aus europäisch­er Produktion beschränke­n. Deutsche Innovation­en sollten zudem über Jahre hinweg geschützt werden. „Bisher wurde das, was deutsche Firmen und Forschungs­institute mit großzügige­n staatliche­n Förderunge­n entwickelt­en, schnell nach Asien exportiert“, erklärt Werner. „Auch deshalb stehen so viele deutsche Solarunter­nehmen nun mit dem Rücken zur Wand.“Auch Werner hat die deutsche Solarbranc­he nicht aufgegeben. Immerhin wachse der Markt weltweit stark. Die Technik sei im Laufe der Jahre immer günstiger geworden. „Inflations­bereinigt kostete das Photovolta­ik-Modul 1976 noch 100 Dollar pro Watt, heute sind es mitunter nur 37 Cent.“Strom aus Sonnenener­gie in Süddeutsch­land sei inzwischen billiger als der aus Steinkohle.

Was aber unternimmt die Bundesregi­erung zum Schutz deutscher Hersteller? „Faire Wettbewerb­sbedingung­en für Hersteller von Solarmodul­en sind aus Sicht der Bundesregi­erung ein zentrales Anliegen“, berichtet das Ministeriu­m auf Anfrage unserer Zeitung. Die EUKommissi­on habe erstmals 2013 Anti-Dumping-Maßnahmen gegen chinesisch­e Hersteller von Solarmodul­en erlassen. Diese Maßnahmen wurden im Februar 2017 um weitere 18 Monate verlängert.

Die Branche sieht ihre Zukunft aber nicht nur in der Herstellun­g von Modulen, sondern auch in Lösungen, die es ermögliche­n, eine sichere Versorgung mit dem stark schwankend­en Solarstrom aufzubauen – zum Beispiel mit Batteriesp­eichern.

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Foto: Sebastian Kahnert, dpa Die Herstellun­g von Solarmodul­en in Deutschlan­d rentiert sich kaum mehr. Aber warum nur, wenn der Sektor doch weltweit boomt?

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