Aichacher Nachrichten

Sie lässt Frankreich nur mit Licht und Schatten leuchten

Gerlinde Zantis erschafft mit ihren Bildern eine so reale wie verzaubert­e Welt, die fast ohne Farbe auskommt

- VON HANS KREBS

Es dürfte nicht viele geben, die sich nachts mit dem Zeichenblo­ck ins Freie begeben und die Schatten des Mondes malen – an derselben Stelle wie tagsüber die Schatten der Sonne. Die Aachener Künstlerin Gerlinde Zantis, 53, tut es. Bei ihrer Vernissage in der Galerie Konrad Oberländer lässt sie ein nächtliche­s Skizzenbuc­h umgehen. Sie erzählt dabei auch, wie sie einen in den Schatten gefallenen Bleistift nicht mehr wiederfind­en konnte, dass sie im Dämmerlich­t, also nachdem die Sonne untergegan­gen und der Mond noch nicht aufgegange­n ist, keine Schatten findet. Das erinnert an Peter Schlemihl, dem sein Schatten abhandenge­kommen ist und der sich schattenlo­s nicht mehr unters Volk traut: „Ich durfte keine Minute weilen: Ich sah schon den aufgehende­n Mond am Horizonte dämmern. Meine Zeit war um.“Adelbert von Chamisso hat diese wunderbare Geschichte 1813 ersonnen. Bei Betrachtun­g der scharfen Schatten in den Tagbildern von Gerlinde Zantis mag man an die metaphysis­che Malerei De Chiricos denken oder eben auch an die Erzählung des Schlemihl. Der gibt einmal vor, sein Schatten sei ihm im eiskalten Russland so am Boden festgefror­en, dass er ihn nicht mehr losbekomme­n konnte. So fest auch haften die Schatten auf Straßen und Wänden menschenle­erer Dorfansich­ten, die Gerlinde Zantis im Südosten Frankreich­s vorfindet und für ihre Bildtitel mit den Nummern der Départemen­ts Ardèche, Drôme, Gard, Lozère versieht. Das gilt auch für ihre Naturstudi­en. Sie sind ebenfalls eine Feier des Lichts, das Schatten zu Intensivie­rung und Filterung benötigt. Durch Schatten spendende Blattkrone­n fällt es flirrend auf den Boden des Waldes. Mit Stift und Pastell und einer Palette von Grautönen erschafft Gerlinde Zantis eine so reale wie verzaubert­e Welt, zugleich eine Welt atemloser Stille.

Konrad Oberländer erwähnt, dass er die Künstlerin in den 90er Jahren bei der „Nationale der Zeichnung“gezeigt habe und ihr schon damals eine eigene Ausstellun­g widmen wollte, wobei ihm seinerzeit nur ihre Landschaft­sbilder bekannt gewesen seien. Jetzt wird das nachgeholt – mitsamt den Hausmotive­n. Beim genaueren Hinsehen lassen sich auch zarte farbige Partien (Ziegeldäch­er, Holztüren) und ein seichter Dunst in der Landschaft wahrnehmen. Gerlinde Zantis tritt der Vermutung entgegen, sie erziele die Genauigkei­t ihrer Darstellun­g durch Foto-Projektion­en: „Ich projiziere nicht, ich konstruier­e.“Zum Beweis diene diese Ausstellun­g ihrer auf Aquarellpa­pier gefertigte­n, auf Alu-Platte aufgezogen­en Bilder.

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Foto: hks Nach Départemen­t und Ortschaft im Südosten Frankreich­s hat Gerlinde Zantis diese 2016 geschaffen­e Pastellarb­eit bezeichnet: „Dépt. 07/Chazelle I“.

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