Justiz steht nach Tod eines Staatsanwalts unter Schock
Ein 43-jähriger Jurist nimmt sich im Gerichtsgebäude das Leben. Auch Schüler werden Zeugen
Der Schock sitzt tief bei den Justizmitarbeitern. Wer am Dienstagvormittag in das Strafjustizzentrum an der Gögginger Straße kam, der sah versteinerte Mienen bei Staatsanwälten, Richtern und Wachtmeistern. Die Nachricht sprach sich sofort herum: Ein Staatsanwalt hatte sich kurz vor dem Beginn einer Verhandlung das Leben genommen. Er hatte sich gegen 8.30 Uhr in dem Gebäude aus dem dritten Stock in das zentrale Foyer gestürzt. Zahlreiche Beschäftigte und Besucher – darunter viele Schüler – wurden Zeugen des tragischen Vorfalls.
Eigentlich sollte am Dienstagvormittag im großen Schwurgerichtssaal der Prozess gegen einen 22-jährigen Studenten aus Donauwörth fortgesetzt werden. Der junge Mann steht unter Verdacht, seine schwer psychisch kranke Mutter getötet zu haben. Zeugen berichteten, der Angeklagte habe unter der Situation seiner Mutter sehr gelitten, aber auch versucht, ihr zu helfen. Die Anklage geht davon aus, dass der Sohn seine Mutter in der gemeinsamen Wohnung erschlagen hat.
Wegen des Prozesses war am Dienstagvormittag auch ein Gerichtsmediziner im Justizzentrum anwesend. Er kümmerte sich sofort um den schwer verletzten 43-jährigen Staatsanwalt und versuchte, ihn zu reanimieren. Der Verletzte sei noch unter laufender Wiederbelebung mit einem Rettungswagen ins Klinikum transportiert worden, teilte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft mit. Das Leben des Mannes konnte aber nicht gerettet werden.
Nach Angaben der Polizei befanden sich zwei Schulklassen als Besucher in dem Gerichtsgebäude, als sich der Vorfall ereignete. Die Schüler wurden von Helfern des Kriseninterventionsdienstes, Schulseelsorgern und speziell geschulten Polizeibeamten betreut. Auch Justizbedienstete standen nach dem Suizid unter Schock. Sie waren teils Augenzeugen und hatten auch noch kurz vor dem tödlichen Sturz mit dem 43-Jährigen, der als vorbildlicher Beamter galt, gesprochen.
Ein Teil des Foyers wurde abgesperrt. Der Betrieb im Strafjustizzentrum, in dem die Strafprozesse von Amts- und Landgericht stattfinden, lief aber unmittelbar nach dem Vorfall weiter. Allerdings, so hieß es vonseiten der Justiz, wurde niemand dazu verpflichtet, weiterzuarbeiten. „Jeder, der sich nicht dazu in der Lage fühlt, konnte selbstverständlich nach Hause gehen“, sagte ein hochrangiger Justizbeamter unserer Zeitung. Ein anderer Mitarbeiter sagte: „Es ist still auf den Fluren. Alle sind betroffen.“Zu Hintergründen des Vorfalls machte die Staatsanwaltschaft keine Angaben. Mögliche dienstliche Verfehlungen gebe es aber keine, hieß es aus Justizkreisen. Beamte der Kriminalpolizei übernahmen die Ermittlungen vor Ort. Für die Ermittler stand aber schnell fest, dass sie ein Fremdverschulden in diesem Fall ausschließen können.
Der Prozess gegen den Studenten wurde am Nachmittag fortgesetzt. Zwei Zeugen wurden per Videoübertragung vernommen – unter anderem der kranke Vater des Angeklagten, der im Ruhrgebiet lebt und dem man eine Anreise nach Augsburg nicht zumuten wollte. Nach einer halben Stunde wurde der Prozess dann aber vertragt. Eine Staatsanwältin vertritt jetzt die Anklage in dem Verfahren. Einen Abbruch des Prozesses beantragte keiner der Beteiligten.