Er will Coca-Cola gesünder machen
James Quincey, der neue Chef des weltgrößten Getränkekonzerns, hat sich viel vorgenommen: Er fordert einen Kulturwandel und wagt dafür einen Tabubruch
Vor wenigen Jahren wagte sich James Quincey, damals Chef von Coca-Cola Europa, in die Höhle des Löwen. Jeremy Paxman, einer der unbequemsten Journalisten, den der britische Fernsehsender BBC zu bieten hat, hatte ihn in seine Show eingeladen. Dort erteilte er dem smarten Briten eine Lehrstunde.
„Glauben Sie, die Leute wissen, wie viel Zucker in einem kleinen Pappbecher voll mit Coca-Cola ist“, fragte Paxman herausfordernd. Quincey hatte kaum geantwortet, da hielt der Journalist schon einen Becher mit Coca-Cola-Aufschrift in die Höhe und drehte ihn um. Eine Zuckerpackung nach der anderen fiel heraus, 23 insgesamt. „Das ist eine unfassbare Menge Zucker“, empörte sich Paxman. Sein Gast sah betreten drein.
Nun steht der mittlerweile 52-jährige Quincey an der Spitze von Coca-Cola. Seine Mission dürfte Paxman gefallen: Denn Quincey sagt dem Zucker den Kampf an.
Es hat schon bessere Zeiten gegeben für den größten Getränkekonzern der Welt. Vor allem dessen Aushängeschild, die bernsteinfarbene Cola, schwächelt. Selbst in den Vereinigten Staaten verkauft sich die Limonade zunehmend schlechter. Zudem führen immer mehr Länder Steuern auf zuckerhaltige Getränke ein. Das trifft Coca-Cola ins Mark. Deshalb setzt der Konzern verstärkt auf zucker- und kalorienärmere Softdrinks. Quincey möchte diese Entwicklung vorantreiben. Nicht nur das: Er hat einen Kulturwandel angekündigt. Dafür wagt er einen Tabubruch. Gut genug kennt der Brite den Konzern. Seit 1996 arbeitet er für Coca-Cola. Über Stationen in Mexiko, Argentinien und Großbritannien gelangte er nach oben. Dabei machte er sich als vielseitiger und ehrgeiziger Macher einen Namen. Im August 2015 holte ihn das Unternehmen in die Führungsetage. Seitdem galt Quincey als heißester Anwärter auf die Nachfolge von Langzeitchef Muhtar Kent. Geboren wurde der Sohn eines Biochemie-Universitätsdozenten 1965 in London. Früh begeisterte sich Quincey für technische Neuerungen wie Farbfernseher und Spielcomputer. In den 1980er Jahren begann der Brite Maschinenbau an der University of Liverpool zu studieren. „Ich fand aber schnell heraus, dass andere Leute besser Halbleiter entwerfen konnten als ich, ich aber wirklich gut war beim Geschäftemachen“, erzählte er jüngst.
Nicht nur gut, sondern auch mutig will Quincey in seinem neuen Job sein. Coca-Cola müsse die Kultur der Vorsicht abschütteln, die den Getränkehersteller seit 1985 präge, sagte er. Damals wollte Coca-Cola sein namensgleiches Produkt in „New Coke“umbenennen, scheiterte damit jedoch spektakulär.
Kraft für seine ehrgeizigen Ziele holt sich Quincey bei seiner Familie. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder, Sohn Sam, 15, und Tochter Gaby, 13. Wie wichtig ihm dieser Rückhalt ist, beschreibt er so: „Es gibt nur wenige glückliche Führungskräfte, die eine unglückliche Familie haben.“Andreas Baumer