Berlin bremst beim Familiennachzug
CSU-Experte Mayer warnt: 450 000 Flüchtlinge können schon jetzt Angehörige nachkommen lassen. Ändert die Koalition deshalb vorsichtig ihren Kurs?
Union und SPD schränken vor der Wahl den Familiennachzug von Flüchtlingen ein. In einer Antwort auf eine Anfrage der Linkspartei spricht das Innenministerium jetzt von „teilweise begrenzten Betreuungsund Unterbringungskapazitäten“. Daher sei die griechische Regierung um eine „engere Abstimmung“und um „mögliche Verfristungen“, also um einen zeitlichen Aufschub, gebeten worden. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl warten alleine in Griechenland noch mehrere Tausend Angehörige von in Deutschland lebenden Flüchtlingen, darunter viele Frauen und Kinder sowie unbegleitete Minderjährige.
Trotzdem wird die Zahl der Angehörigen, die Flüchtlingen nach Deutschland folgen, in den kommenden Jahren kräftig steigen. Im vergangenen Jahr hat das Auswärtige Amt nach eigenen Angaben etwa 105000 Visa für den Familiennachzug ausgestellt, das sind 30 000 mehr als noch ein Jahr zuvor. Im ersten Quartal des laufenden Jahres sollen es nach bislang noch unbestätigten Angaben rund 32500 sein, hochgerechnet auf ein ganzes Jahr wären das weitere 130000 Zuwanderer.
Vor allem syrische Flüchtlinge holen immer mehr Familienmitglieder nach. In der offiziellen Asylstatistik tauchen diese Angehörigen jedoch nicht auf, da sie selbst keine Asylanträge stellen. Insgesamt haben in den vergangenen beiden Jahren 268 000 Syrer in Deutschland Schutz erhalten und damit einen Anspruch auf Familiennachzug. Nach einer gängigen Faustregel kommen auf einen Flüchtling rein rechnerisch bis zu 1,2 Angehörige, die ihm folgen. Allein aus Syrien wären das noch einmal 320 000 Kinder, Eltern oder Ehepartner, die Deutschland aufnehmen müsste.
Insgesamt könnten im Moment bereits 450 000 anerkannte Flüchtlinge ihre Angehörigen nachholen, betont der CSU-Innenexperte Stephan Mayer gegenüber unserer Zeitung. „Schon das stellt unsere Kommunen vor große Herausforderungen.“Würde das gleiche Recht wie geplant ab März 2018 auch noch den 200 000 Menschen mit vorübergehendem subsidiärem Schutz gewährt, würde dies „unsere Systeme vollends überfordern und die Aufnahmeund Integrationsbereitschaft in unserer Bevölkerung überstrapazieren“. Bei aller Härte für die Betroffenen, so Mayer, plädiere er daher für eine Verlängerung der bisherigen Regelung, nach der subsidiär Schutzbedürftige keine Angehörigen nachholen dürfen.
Aufgrund einer EU-Vereinbarung hat die Bundesregierung bisher jeden Monat etwa 500 Flüchtlinge in Charterflügen aus Griechenland aufgenommen. Dabei spielt bei der Auswahl nach Auskunft des Innenministerium „häufig die Frage familiärer Beziehungen eine große Rolle“. Es handle sich aber um kein spezielles Programm zur Familienzusammenführung, sondern um eine Unterstützung für die besonders stark betroffenen Länder Griechenland und Italien. Im April wurden danach nur noch 70 Angehörige aufgenommen, in den Monaten zuvor waren es teilweise sogar mehr als 500. (mit dpa und afp)
Mit dem Hin und Her beim Familiennachzug beschäftigen sich auch der Kommentar und ein Hintergrundbericht in der Politik.