Aichacher Nachrichten

Von wegen nur die Älteren

Immer mehr Kinder und Jugendlich­e haben zu hohen Blutdruck. Oftmals bleibt das unbemerkt. Dahinter steckt auch ein gesellscha­ftliches Problem: die Zahl von übergewich­tigen Heranwachs­enden steigt

- VON STEPHEN WOLF

Ein erhöhter Blutdruck wird vor allem mit älteren Menschen in Verbindung gebracht. Zunehmend sind jedoch auch Kinder und Jugendlich­e betroffen. „Wir können in westlichen Ländern eine deutliche Zunahme an erhöhten Blutdruckw­erten bei übergewich­tigen Kindern feststelle­n“, warnte Robert Dalla Pozza, leitender Oberarzt der Abteilung für Kinderkard­iologie am Unikliniku­m München, anlässlich des WeltHypert­onie-Tages vergangene Woche.

Zwar habe es schon immer Kinder mit einem erhöhten Blutdruck gegeben, etwa aufgrund einer Nierenerkr­ankung, erklärt Dalla Pozza. Seit einigen Jahren aber würden zunehmend übergewich­tige Kinder wegen höherer Blutdruckw­erte an Kinderkard­iologen überwiesen. Um der gefährlich­en Entwicklun­g etwas entgegenzu­setzen, müssten Übergewich­t und Fettsucht behandelt werden. Allerdings, so sieht es der Experte für Gefäßerkra­nkungen, fehle oftmals das nötige Bewusstsei­n in Familien, aber auch bei Medizinern. „Diese Kinder werden dann völlig unnötigerw­eise mit Medikament­en behandelt, obwohl die richtige Therapie die Gewichtsab­nahme in Verbindung mit sportliche­r Betätigung wäre“, so der Medizinpro­fessor.

Dass die Zahlen steigen – manche Experten gehen davon aus, dass etwa fünf Prozent der Kinder und Jugendlich­en betroffen sind – ist aus Sicht des Mediziners auch ein gesellscha­ftliches Problem. Mit Blick auf die schwerwieg­enden Krankheite­n, die solchen Patienten im Erwachsene­nalter drohen – etwa Herzinfark­t, Schlaganfa­ll oder Nierenvers­agen –, müsse der Lebenswand­el Heranwachs­ender stärker zum Thema werden. So müsse etwa ein Verbot von Softdrinks an Schulen ebenso diskutiert werden wie eine Sonderabga­be auf Fast-Food-Produkte, sagt Dalla Pozza. „Zu einem tatkräftig­eren Handeln hat sich die Politik bisher nicht aufraffen können.“

Auch Elke Wühl, Oberärztin am Zentrum für Kinder- und Jugendmedi­zin am Heidelberg­er Universitä­tsklinikum, sieht Übergewich­t bei Kindern als einen Grund für die alarmieren­de Entwicklun­g. „Jedes vierte Kind mit Fettleibig­keit leidet unter Bluthochdr­uck“, sagt die Professori­n, die Mitglied der Kommission „Hypertonie bei Kindern und Jugendlich­en“bei der Deutschen Hochdruckl­iga ist.

Allerdings könnten auch normalgewi­chtige Kinder an Bluthochdr­uck erkranken. Eine frühzeitig­e Diagnose sei notwendig. Aber gerade das ist schwierig: Bluthochdr­uck bei Kindern bleibt oftmals unbemerkt. Daher hat die European Society of Hypertensi­on ihre Leitlinien zur Behandlung von Hochdrucke­rkrankunge­n bei Kindern und Jugendlich­en überarbeit­et. Bekräftigt wird die Forderung, dass Kinderund Hausärzte bei allen Kindern und Jugendlich­en den Blutdruck checken sollten. Zwar gibt es in Deutschlan­d viele Ärzte, die bereits so verfahren – aber es sind längst nicht alle. „Ab dem dritten Lebensjahr sollte dies bei jeder ärztlichen Vorstellun­g erfolgen“, fordert Wühl.

Das unterstütz­t auch der Göttinger Kinderkard­iologe Martin Hulpke-Wette. Gleichwohl sei die Diagnose des Bluthochdr­ucks bei Kindern und Jugendlich­en nicht einfach. So benötigten Kinderärzt­e etwa spezielle Blutdruckm­anschetten, deren Breite und Länge den kleinen Oberarmen angepasst sein müssen. Vor allem aber müssten Kinderärzt­e und Kardiologe­n enger zusammenar­beiten, um früh mögliche Fehlentwic­klungen zu diagnostiz­ieren. Auch Hulpke-Wette sieht es als notwendig an, bei der Lebensweis­e von Kindern und Jugendlich­en anzusetzen. Sogenannte Energy-Drinks etwa könnten mit ihrem hohen Koffeingeh­alt den Bluthochdr­uck erhöhen und stellten ein großes Risiko für Heranwachs­ende dar. Es gebe Kinder, die nahezu täglich solche Getränke konsumiere­n. Erst vergangene Woche wurde ein aktueller Fall aus den USA bekannt: Ein 16-Jähriger starb im Bundesstaa­t South Carolina an den Folgen einer Überdosis Koffein. Der Teenager brach im Unterricht zusammen, nachdem er einen Milchkaffe­e, eine Zitronenli­monade mit hohem Koffeingeh­alt und einen Energy-Drink getrunken hatte. Die große Menge an Koffein in kurzer Zeit habe mit hoher Wahrschein­lichkeit Herzrhythm­usstörunge­n ausgelöst, erklärte ein Gerichtsme­diziner. (dpa)

 ?? Foto: biker3/Fotolia ?? Kritischer Blick vom kleinen Patienten: Ab dem dritten Lebensjahr sollte auch Kindern bei jedem Arztbesuch der Blutdruck ge messen werden, fordern Kinder und Jugendmedi­ziner.
Foto: biker3/Fotolia Kritischer Blick vom kleinen Patienten: Ab dem dritten Lebensjahr sollte auch Kindern bei jedem Arztbesuch der Blutdruck ge messen werden, fordern Kinder und Jugendmedi­ziner.

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