Ein Paradies für Wildschweine
Die Sauen vermehren sich in der Region immens. Auf der Suche nach Nahrung und Rückzugsorten kommen sie oftmals auch Menschen nahe – näher, als diesen lieb ist
Den Wildschweinen geht es, salopp gesagt, „saugut“. Riesige Mais- und Rapsfelder, in denen sie im Sommer nicht nur ausreichend Nahrung, sondern auch Deckung finden; eine üppige Buchen- und Eichenmast in den Wäldern; milde, wenn im März die ersten Frischlinge geboren werden, auch trockene Winter – das alles hat dazu beigetragen, dass die Population der Schwarzkittel immens gewachsen ist. Darüber, ob die Zahl der Sauen auch in diesem Jahr deutlich zugenommen hat, lasse sich jedoch nur spekulieren, wie Hubert Droste, Leiter des Forstbetriebs Zusmarshausen im Landkreis Augsburg, sagt. „Keiner weiß es genau“, betont er, „und wir harren der Dinge.“Doch die größer gewordenen Schwarzwild-Rotten könnten ein Beleg dafür sein, dass sich die Borstentiere „wieder prächtig vermehrt haben“.
Davon geht auch Peter Graser, der stellvertretende Leiter des Forstbetriebs Landsberg, aus. „Der Winter war nicht hart, der Tisch für die Sauen durch die Buchen- und Eichenmast in den Wäldern gedeckt.“Der Staatsforst habe im vergangenen Jagdjahr massive Anstrengungen unternommen, um die Wildschweinbestände zu reduzieren, sagt Graser. Mit 252 erlegten Sauen sei sogar eine Rekordstrecke im 16000 Hektar großen Forstbetrieb Landsberg erzielt worden – vor Jahren dort noch undenkbar.
Und dann ist da eine interessante Beobachtung zu machen. Die Schwarzkittel tummeln sich inzwischen nicht mehr nur in Wald und sondern auch am Westufer des Ammersees. Die ortsnahen, ausgedehnten Schilfbestände seien ein ideales Rückzugsgebiet für die Wildschweine und eine Bejagung nahezu unmöglich, sagt Graser. Im Schutz der Dunkelheit ziehen die Sauen dann auf an den See angrenzende Grundstücke, machen sich in den Gärten über Komposthäufen her oder verwüsten den Rasen. Graser: „Das ist tatsächlich eine kritische Situation.“
Was also tun, um für die „Invasion der Wildschweine“gerüstet zu sein? 85 000 Sauen wurden im Jagdjahr 2015/16 in Bayern geschossen. Damit nochmals zehn Prozent mehr als im Jahr davor. Das alles reicht jedoch noch immer nicht aus, um die Population nachhaltig einzudämmen. „Wildschweine reagieren auf die verbesserten Bedingungen mit unglaublichen Vermehrungsraten“, sagt Jürgen Vocke, Präsident des bayerischen Jagdverbandes. Und bereits Überläufer seien heute in ihrem ersten Lebensjahr schon geschlechtsreif.
Das Problem für die Jäger: Finden die Sauen in den großen Maisund Rapsfeldern, die häufig direkt an den Wald angrenzen, Deckung, ist es kaum möglich, an die Tiere ranzukommen. Vocke appelliert deshalb seit langem an die Landwirte, Schussschneisen anzulegen. Die vom Bauernverband geforderten Nachtzielgeräte oder Restlichtaufheller an den Waffen lehnt Vocke weiter entschieden ab. Sie sind in Bayern zwar „unter bestimmten Voraussetzungen“erlaubt, doch der Jägerpräsident will da nicht mitmachen. Der ehemalige Richter hat stets darauf hingewiesen, dass „militärische Hilfsmittel“wie eben Nachtzielgeräte seit Jahren strengstens verboten sind und nur von SonFeld, dereinsatzkommandos der Polizei und Bundeswehr verwendet werden dürfen. Allein der Besitz werde bisher mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe geahndet, sagt Vocke.
Er plädiert deshalb vielmehr dafür, zwei- bis dreimal jährlich gut organisierte, revierübergreifende Drückjagden abzuhalten. Unterfranken, wo es die meisten Sauen in Bayern gebe, mache das vor. Alleine mit nächtelangem Ansitzen seien die Schwarzwild-Bestände nicht mehr zu reduzieren. Vocke setzt nicht zuletzt auf eine enge Zusammenarbeit zwischen Jägern, Bauern und Forst. „Ohne die Unterstützung durch die großen Waldbesitzer kommen wir in der Wildschwein-Problematik nicht voran.“Und er hofft auf finanzielle Unterstützung durch den Staat. So müsse jedes erlegte Wildschwein nicht nur auf Trichinen, sondern auch auf Cäsiumbelastung untersucht werden. Dabei sollte den Jägern bei den Gebühren entgegengekommen werden, sagt Vocke.
Auch Zusmarshausens Forstbetriebsleiter Droste betont, dass kein Schwarzkittel die Wildkammer ohne Untersuchung verlasse. Er hat in diesem Jahr eine interessante Feststellung gemacht. Die radioaktive Belastung der Tiere sei in seinem Dienstbereich noch nie so gering gewesen. Droste führt dies vor allem darauf zurück, dass sich die Sauen verstärkt von Eicheln und Bucheckern im Wald ernährt haben. Und weniger von Pilzen wie dem Maronenröhrling oder dem knollenartigen Hirschtrüffel, die das strahlende Cäsium 137 besonders stark anreichern.
Jäger kommen mit dem Schießen nicht hinterher