Aichacher Nachrichten

Jüdischer Zwiespalt

Wie Martin Buber polarisier­te

- VON STEFANIE SCHOENE

Martin Buber war Charismati­ker. Auf ihn setzte die deutsch-jüdische Jugend ihre Hoffnungen zu Beginn des letzten Jahrhunder­ts. Er verstand es, den jungen Leuten eine Identität zu vermitteln, die deutschjüd­ischen Patriotism­us mit dem Projekt des Zionismus versöhnte. Für radikale jüdische Sozialiste­n, die zusammen mit den KPD-Gründern Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg gegen den Ersten Weltkrieg mobil machten, war er jedoch eine ambivalent­e Figur. Einerseits begrüßten Revolution­äre wie Werner Scholem seinen Zionismus und die Besinnung auf eine neue jüdische Identität jenseits starrer religiöser Traditione­n. Anderersei­ts kritisiert­en sie als Pazifisten Bubers Kriegsbege­isterung, die er erst 1916 ablegte, als er erkannte, dass der Krieg nicht nationale „Selbstrein­igung“, sondern Elend brachte. Unter den Radikalen galt der spätere Religionsp­hilosoph zudem als politisch inkonseque­nt, weil er zwar den Zionismus propagiert­e, ihn jedoch nicht umsetzte und erst 1938 nach Israel auswandert­e.

Anschaulic­h referierte jetzt Mirjam Zadoff, Professori­n für Jüdische Studien und Geschichte an der Bloomingto­n-Universitä­t in Indiana, als Gast des Jüdischen Kulturmuse­ums über die Zerrissenh­eit und politische­n Projekte der deutschen Juden jener Jahre. Die in der Öffentlich­keit oftmals unbekannte politische Vielfalt der jüdischen Bevölkerun­g, die eben nicht immer nur Opfer und ausgegrenz­t war, ist ihr wissenscha­ftliches Lebensthem­a.

Zadoff ist seit diesem Sommer erste Inhaberin der neuen Gastprofes­sur für jüdische Kulturgesc­hichte, die die Universitä­t Augsburg einer Spende des Industriel­len Georg Haindl verdankt. Die Gastprofes­sur ist für zehn Jahre gesichert und wird zu jedem Sommerseme­ster neu besetzt.

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