Jüdischer Zwiespalt
Wie Martin Buber polarisierte
Martin Buber war Charismatiker. Auf ihn setzte die deutsch-jüdische Jugend ihre Hoffnungen zu Beginn des letzten Jahrhunderts. Er verstand es, den jungen Leuten eine Identität zu vermitteln, die deutschjüdischen Patriotismus mit dem Projekt des Zionismus versöhnte. Für radikale jüdische Sozialisten, die zusammen mit den KPD-Gründern Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg gegen den Ersten Weltkrieg mobil machten, war er jedoch eine ambivalente Figur. Einerseits begrüßten Revolutionäre wie Werner Scholem seinen Zionismus und die Besinnung auf eine neue jüdische Identität jenseits starrer religiöser Traditionen. Andererseits kritisierten sie als Pazifisten Bubers Kriegsbegeisterung, die er erst 1916 ablegte, als er erkannte, dass der Krieg nicht nationale „Selbstreinigung“, sondern Elend brachte. Unter den Radikalen galt der spätere Religionsphilosoph zudem als politisch inkonsequent, weil er zwar den Zionismus propagierte, ihn jedoch nicht umsetzte und erst 1938 nach Israel auswanderte.
Anschaulich referierte jetzt Mirjam Zadoff, Professorin für Jüdische Studien und Geschichte an der Bloomington-Universität in Indiana, als Gast des Jüdischen Kulturmuseums über die Zerrissenheit und politischen Projekte der deutschen Juden jener Jahre. Die in der Öffentlichkeit oftmals unbekannte politische Vielfalt der jüdischen Bevölkerung, die eben nicht immer nur Opfer und ausgegrenzt war, ist ihr wissenschaftliches Lebensthema.
Zadoff ist seit diesem Sommer erste Inhaberin der neuen Gastprofessur für jüdische Kulturgeschichte, die die Universität Augsburg einer Spende des Industriellen Georg Haindl verdankt. Die Gastprofessur ist für zehn Jahre gesichert und wird zu jedem Sommersemester neu besetzt.