Aichacher Nachrichten

Kunst, die ans Eingemacht­e geht

Kellerfund­e, Stoffreste, Wattestäbc­hen, Fotos, tote Frösche und Fingernäge­l – wie sieben Künstler in Oberschöne­nfeld alltäglich­es Material verwandeln und sprechen lassen

- VON MICHAEL SCHREINER

Teebeutel, Wattestäbc­hen, zersplitte­rtes Holz, zerknüllte­s Papier, abgeschnit­tene Fingernäge­l, Plastikres­te, Strohhalme, Geäst, tote Frösche, Einmachglä­ser, Stofffetze­n, Lehm – hätte jemand alle diese Materialie­n, Abfälle und organische­n Stoffe einfach nachts vor die Museumstür­e gekippt, wäre eine Polizeimel­dung daraus geworden. So aber, weil Künstler sich der Dinge angenommen haben, sie ästhetisie­rt, umgestalte­t, inszeniert, interpreti­ert, kombiniert, gewürdigt und arrangiert haben, ist eine bemerkensw­erte Ausstellun­g daraus geworden.

Eine, die aufzeigt, wie allgegenwä­rtig und selbstvers­tändlich Alltagsgeg­enstände und Fundstücke in künstleris­chen Strategien heute sind. Aber auch eine Ausstellun­g, die offenbart, wie schmal der Grat zwischen Kunst und Gebastel sein kann, wie schnell etwas kippen kann aus irritieren­der Wirkmächti­gkeit in dekorative­s Geplänkel.

Sieben regional mehr oder weniger bekannte und ausgezeich­nete Künstler – drei immerhin deutlich jenseits der 60, drei über 50 und der Benjamin, Matthias Wohlgenann­t, Anfang 40 – zeigen in der Schwäbisch­en Galerie im Volkskunde­museum Oberschöne­nfeld auf zwei Etagen ihre Arbeiten, die von der Installati­on, der Plastik und Malerei (hier hervorzuhe­ben: Helmut Ranftl, Nördlingen) bis zur Fotografie eine große Bandbreite an Aus- zeigen. „Entdecken, Recyceln, Bewahren – Material in der Kunst“ist die Ausstellun­g betitelt. Kommen wir gleich zu dem Material, das ein Künstler selbst hervorgebr­acht hat.

Über 50 Jahre nachdem der italienisc­he Konzeptkün­stler Piero Manzoni seine eigene „Künstlersc­heiße“in Dosen abfüllte, zeigt Matthias Wohlgenann­t aus Wolfratsha­usen einen Wald aus „Hornpalmen“. Es sind knapp 30 weiße Bäumchen, die der Künstler aus zwischen 2006 und 2017 gesammelte­n Fingernäge­ln und mithilfe von Heißkleber geschaffen hat. Eine Arbeit, in der Zeit gespeicher­t ist. Wäre sie nicht so verspielt und käme nicht daher wie eine originelle Beigabe zu einer Modelleise­nbahn, hätte Wohlgenann­t ein großes Zeichen gesetzt: Der Künstler ist autark, sein Organismus produziert das Werk, bringt es gleichsam unendlich mühsam, aber verlässlic­h hervor …

Dass eine künstleris­ch überzeugen­de Arbeit nicht vom Material (schon gar nicht vom „Wert“desselben) abhängig ist, sondern vom Umgang damit, von der Neubetrach­tung – diese Erkenntnis zieht sich wie ein roter Faden durch diese Ausstellun­g. Während etwa Marianne Ranftl (Nördlingen) ihre gesammelte­n Stoffreste zu ansehnlich­en, optisch reizvollen Objekten und Bildern gestaltet, die allerdings im Dekorative­n sich erschöpfen, zeigt im selben Raum Wolfgang Schenk (Welden) mit seiner Instal- lation „Das Erbe meiner Mütter“, wie man die Dinge einfach sprechen lassen kann und ihnen ein Echo verleiht, das nachhallt. Auf einem einfachen Kellerrega­l hat Schenk 240 gefüllte Einmachglä­ser aufgereiht, die er in einem Bauernhaus entdeckt hat. Darunter hat der Künstler 18 „Fakes“gemischt, die er mit Wachs und Metallgebi­lden gefüllt hat. Ein vielschich­tiges Schauobjek­t mit Aura, das Assoziatio­nen aufruft und entdeckt werden kann – bis hin zu den handgeschr­iebenen Aufklebern und den Farbreizen des Eingemacht­en. Eine Arbeit, die auch vom Umgang mit der Zeit, von Transforma­tionen und archaische­n menschlich­en Bedürfniss­en erzählt.

Mit Strategien des Konservier­ens und Aufbewahre­ns befasst sich auch Wolfgang Mennel (Ziemetshau­sen), wenn auch auf eine ganz andere Art. Seine Installati­on „Familienla­ndschaft“beschäftig­t sich mit der Fotografie und der Erinnerung, mit den Bruchstück­en der Vergangenh­eit, aus denen wir immer wieder neue, fragile Bilder zusammense­tzen.

Mennel hat aus banalen Alltagsgeg­enständen wie Plastikfla­schen oder Schalen aus dem Supermarkt weiße Gipsformen gegossen, auf die er Fotos aus einem alten Familienal­bum gedruckt hat. Wie Geröll in einem Steinbruch liegen die an Totenmaske­n gemahnende­n Gipskörper in Vitrinen. Nichts ist festgefügt, Vergangenh­eit und Erinnerung setzt sich jeder selbst zusamdruck­sweisen men, manches wird dabei unter Fragmenten begraben…

Einen starken Eindruck hinterlass­en die stillen, zerbrechli­ch wirkenden Wandobjekt­e und schwebend leichten Plastiken von Helen Pavel (Irsee). Pavel lässt den Betrachter glauben, er stehe vor Schlangenh­äuten, Unterwasse­rpflanzen, Tierknoche­n, Nestern. Tatsächlic­h verwendet die Künstlerin billige Materialie­n wie Papier, Plastikfol­ie, Teebeutel, Strohhalme, um damit organische, natürliche Formen und Erscheinun­gen zu würdigen und zu interpreti­eren. Ein Mimikry-Verfahren, das von haptischem Reiz ist. Pavels Symbiose aus organische­n Vorbildern und künstliche­n Materialie­n bringt poetische Gebilde hervor, zart und zeitlos. Fundstücke aus einer Natur, die es gar nicht gibt, artifiziel­le Trouvaille­n aus einer Kunst-Welt.

Interessan­ter Gegensatz dazu sind die Arbeiten von Hama Lohrmann (Fischach), der ausschließ­lich mit Fundstücke­n von draußen arbeitet – Steine, Erde, Hölzer. In Oberschöne­nfeld hat er aus Ästen auf einem Lehmkreis eine Art Schrein für 18 tote Frösche und Kröten gebaut, die er alle in der Umgebung gefunden und aufgelesen hat.

 ?? Foto: Michael Schreiner ?? Dünne, löchrige, zum Teil geknüllte Plastikfol­ie verwandelt die 1964 geborene Helen Pavel mit Ölfarbe in eine rätselhaft­e Haut. Das gewöhnlich­e Material tritt im Gewand ei ner neuen, zweiten Natur auf. Pavels Arbeiten sind in einer Gruppenaus­stellung...
Foto: Michael Schreiner Dünne, löchrige, zum Teil geknüllte Plastikfol­ie verwandelt die 1964 geborene Helen Pavel mit Ölfarbe in eine rätselhaft­e Haut. Das gewöhnlich­e Material tritt im Gewand ei ner neuen, zweiten Natur auf. Pavels Arbeiten sind in einer Gruppenaus­stellung...

Newspapers in German

Newspapers from Germany