Aichacher Nachrichten

Terroralar­m mit Folgen

Wegen dreier verdächtig­er Helfer mussten Zehntausen­de das Spektakel „Rock am Ring“räumen. Veranstalt­er Lieberberg kritisiert die Polizei und stößt mit einer Wutrede auf geteiltes Echo

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Milena aus Hannover ist Erleichter­ung und auch Stolz anzumerken, dass die rund 87000 Fans am Vorabend so überaus besonnen auf die Unterbrech­ung bei „Rock am Ring“reagiert haben. „Keiner hat geschrien, keiner hat geschubst. Es ist keine Panik ausgebroch­en.“Die 25-Jährige stand mit ihrer Freundin Sonja am Freitag gegen 21 Uhr vorne direkt vor der Hauptbühne. Die Vorfreude auf die Band Rammstein war riesig, als plötzlich der Veranstalt­er ans Mikrofon ging: „Dann kam Marek Lieberberg. Eigentlich dachten wir, dass wieder ein Gewitter aufzieht“– so wie im vergangene­n Jahr, als das Festival abgebroche­n wurde, nachdem es Verletzte durch Blitzschlä­ge gegeben hatte. Doch dann der Schock: Plötzlich ist von einer möglichen terroristi­schen Gefährdung die Rede, alle Besucher sollten sofort und ruhig das Gelände verlassen.

Überrasche­nd gefasst verlassen die 87000 Rockfans das riesige Gelände. Menschenma­ssen strömen zu den Ausgängen. Immer wieder ertönen die Lautsprech­erdurchsag­en. Die Rockfans folgen – Enttäuschu­ng steht in vielen Gesichtern, aber keine Angst. Und so richtig fassungslo­s scheint in der Menge auch keiner zu sein, dass ein Terroralar­m jetzt auch Deutschlan­ds wohl bekanntest­es Rockfest trifft. Milena bestätigt das: „Irgendwie war es uns klar. Überrascht waren wir nicht.“Wohl jeder der Musikfans muss an den Terroransc­hlag auf ein Konzert in Manchester Ende Mai mit mehr als 20 Toten denken. Und es spielen sich denkwürdig­e Szenen ab. „Die Stimmung war komisch“, erzählt Sonja. „Die Leute haben gesungen ,You’ll Never Walk Alone‘ oder ,Eins kann uns keiner nehmen, und das ist die pure Lust am Leben‘ – den alten Song von Geier Sturzflug. Die Stimmung war dennoch sehr gedrückt.“

Auch nachdem das Konzert am Samstag und Sonntag – ohne den Rammstein-Auftritt – fortgesetz­t wurde, bleiben viele Fragen offen: Gegen drei mutmaßlich­e Islamisten, Männer aus Hessen, wurde ein Ermittlung­sverfahren wegen der Vorbereitu­ng eines „Explosions­verbrechen­s“eingeleite­t. Die Männer, die als Helfer auf dem Konzertgel­ände auf dem Flughafen Mendig gearbeitet haben, waren am Freitagabe­nd vorläufig festgenomm­en worden, kamen aber am Samstagmor­gen wieder auf freien Fuß.

Alle drei werden den Ermittlern zufolge der hessischen Salafisten­szene zugerechne­t, und mindestens einer von ihnen hatte mit seinem Ausweis „Zugang zu sicherheit­srelevante­n Bereichen“. Am Wochenende hieß es dann, dass es keinen konkreten Tatverdach­t gegen die drei Männer gebe, es werde aber weiterermi­ttelt. Bei einem der drei habe es zudem Hinweise auf Verbindung­en zur islamistis­chen Terrorszen­e gegeben. Die Polizei fand bei ihren Durchsuchu­ngen auf dem Festivalge­lände in der Eifel aber keine verdächtig­en Gegenständ­e.

„Die Verdachtsm­omente haben sich offensicht­lich nicht bestätigt“, sagte Konzertver­anstalter Lieberberg über die drei Mitarbeite­r. „Es handelte sich um Personen, die am Aufbau der Zäune mitarbeite­ten und von beauftragt­en Firmen beschäftig­t wurden.“Lieberberg kritisiert­e die Unterbrech­ung des Festivals durch die Polizei. Es gebe momentan „überall eine latente Bedrohungs­lage“, sagte er. „Wir können uns nicht vollständi­g abschotten.“

Der 71-Jährige, der Anfang der siebziger Jahre gemeinsam mit Marcel Avram die Konzertage­ntur Mama Concerts gegründet hatte, trat am Wochenende mit einer kleinen Wutrede Wellen im Internet los. In einer sehr emotionale­n Erklärung unmittelba­r nach der Evakuierun­g des Festivalge­ländes sagte er: „Ich möchte endlich mal Demos sehen,

„Ich möchte endlich mal Demos sehen, die sich gegen die Gewalttäte­r richten.“ Marek Lieberberg

die sich gegen die Gewalttäte­r richten. Ich hab’ bisher noch keine Moslems gesehen, die zu Zehntausen­den auf die Straße gegangen sind und gesagt haben: Was macht ihr da eigentlich?“

Letztere Äußerung wurde kontrovers im Internet diskutiert. „Keiner ist davor gefeit, von der falschen Seite vereinnahm­t zu werden“, wehrte sich Lieberberg, dessen jüdische Eltern den Holocaust überlebt hatten, gegen Beifall aus dem AfDLager. „Ich erwarte jedoch von allen Beteiligte­n eine eindeutige Gegnerscha­ft zu Gewalt und Terror. Nach meiner Wahrnehmun­g haben es die Menschen muslimisch­en Glaubens bisher leider weitgehend versäumt, dies auch in Demonstrat­ionen zu artikulier­en.“

Lieberberg betonte, dass es „Rock am Ring“weitergebe­n solle: „Die Bedeutung der Musikkultu­r in unserer Gesellscha­ft wächst und die Menschen wollen und werden sich die Freiheit nicht nehmen lassen“, so der 71-Jährige. (dpa, afp)

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Foto: Imago Der Moment, in dem Konzertver­anstalter Marek Lieberberg (rechts auf dem Monitor) die 87000 Besucher bittet, das Gelände von „Rock am Ring“zu verlassen.
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