Aichacher Nachrichten

Der Triumphmar­sch als Totentanz

Oper statt Musical auf der Freilichtb­ühne Wilhelmsbu­rg: Giuseppe Verdis Blockbuste­r „Aida“wird zum Spektakel – doch ohne Selbstzwec­k

- VON MARCUS GOLLING

Bei Isis und Osiris! Die trauen sich was, die Ulmer. Während anderswo – Beispiel Augsburg – die Freilichtb­ühnen abwechseln­d namhafte Musical-Gassenhaue­r aufbieten, schickt das Theater der Münstersta­dt dieses Jahr eine Oper ins Rennen um die Zuschauerg­unst. Zugegeben: nicht irgendeine Oper, sondern Giuseppe Verdis „Aida“– so etwas wie ein Blockbuste­r unter den Freilicht-Opern, gerne auch mit Elefanten unter Hundertsch­aften von Statisten. Es geht um Liebe, Verrat und Tod vor der Kulisse des alten Ägyptens.

Verdis 1871 in Kairo uraufgefüh­rtes Meisterwer­k ist so etwas wie ein Synonym für bürgerlich­e EventKultu­r. Tausende Zuschauer pilgern jedes Jahr nach Verona, wo „Aida“seit 1913 der wichtigste einnehmend­e Magnet der Arena ist. Andere warten, bis das Spektakel zu ihnen kommt. 2018 wird die „Aida – Stadium World Tour“auch im Münchner Olympiasta­dion haltmachen: Die Veranstalt­er verspreche­n eine „alt-ägyptische Kulisse mit lebenden Tieren“und mehr als 800 Darsteller. Um das 250 Tonnen schwere Bühnenbild zu transporti­eren, seien 90 Lastwagen nötig, wird selbstbege­istert verkündet. Derartige Technik- und Ausstattun­gsprotzere­ien kennt man sonst eher von alternden Rockstars – oder Musicals.

Dagegen nimmt sich die jetzt von Operndirek­tor Matthias Kaiser behutsam modern inszeniert­e „Aida“auf der Ulmer Wilhelmsbu­rg geradezu bescheiden aus, obwohl auch diese Produktion nicht an Sängern spart: Gleich drei Chöre sind im Einsatz (neben Opern- und Extrachor auch der Motettench­or der Münsterkan­torei), sodass bis zu 100 Tempelprie­ster, Sklaven und Soldaten auf der Bühne unterwegs sind. Diese allerdings zeigt so gar nichts vom Tal der Könige, und das liegt an der etwas widersprüc­hlichen Ausstattun­g: Das Geschehen spielt auf einer Baustelle inklusive Baustahl, Schalttafe­ln und Betonrohre­n (Bühnenbild: Britta Lammers).

Eine Pyramidenb­austelle im Jahre 2017? Eine Anspielung auf den Ulmer Bauboom? Das bleibt unklar, und in der ersten Hälfte, die noch bei Tageslicht gespielt wird, wirkt die Szenerie doch arg profan vor der dunklen Massigkeit der Burg. Dafür tragen die Priester weite Gewänder und zylindrisc­he Hüte aus changieren­dem Stoff, aus dem man durchaus auch Abendkleid­er schneidern könnte (Kostüme: Angela C. Schuett). Und das schwarz glitzernde Kostüm der Amneris könnte auch ein Böse-Königin-Outfit aus dem Fundus eines Märchen-Musicals sein.

Matthias Kaisers Inszenieru­ng hat keine Angst vor plakativen Bildern. Die Tempelzere­monie vor dem Aufbruch der Truppen ist ein schauderha­ftes Ritual, bei dem reichlich Blut fließt. Der Triumphzug der Ägypter wird angeführt von riesigen Skeletten, die Kinder als Kriegsbeut­e an den Händen halten. Das hat zwar etwas von Geisterbah­n, wirkt aber: Der sattsam bekannte Triumphmar­sch wird zum Rhythmus eines Totentanze­s. Tod und Gewalt sind in dieser „Aida“immer präsent – und die Kehrseite von religiösem Wahn.

Jedenfalls: Das Spektakel wird nicht zum Selbstzwec­k. Das liegt auch an der vorzüglich­en Premierenb­esetzung. Der Frankokana­dier Eric Laporte, der in Ulm (und Augsburg) wiederholt gefiel, singt den Radamès mit der richtigen Dosis von italienisc­hem Pathos. Die Australier­in Valda Wilson gibt der Aida eine strahlende Zartheit, die nichts Angestreng­tes und nichts Primadonne­nhaftes hat. Und die Finnin Anna Danik verleiht der Zerrissenh­eit der Amneris so packenden Ausdruck, dass man als Zuhörer schnell den Böse-Königin-Fummel vergisst. Neben diesen Gästen überzeugen aber auch die Sänger aus den eigenen Reihen, allen voran Kwang Keun Lee als entschiede­ner Amonasro. Dazu spielt das Philharmon­ische Orchester unter der Leitung von Generalmus­ikdirektor Timo Handschuh frisch und transparen­t auf. Ein Lob an die Tontechnik, die dieses akustische Vergnügen möglich gemacht hat. Ärgerlich hingegen, dass wegen der Lichtverhä­ltnisse im ersten Akt die Übertitelu­ng unlesbar ist.

Am Ende brandete großer Applaus auf, vor allem für Solisten und Orchester, aber auch für das Regieteam. Ein guter Start für den Theatersom­mer, obwohl etwa ein Fünftel der Sitze auf den Tribünen bei der Premiere leer blieb. 18 Vorstellun­gen einer Oper sind angesichts von mehr als 1500 Plätzen vielleicht eine zu ehrgeizige Marke. Eine „Aida“ist eben kein Musical.

Der Neubau einer Pyramide im Jahr 2017?

 ?? Foto: Martin Kaufhold/Theater Ulm ?? Gefangene und moderne Sklaven unter dem Anschlag einer Maschinenp­istole: Szene aus der Ulmer Freilichtb­ühnen Inszenieru­ng von Giuseppe Verdis Oper „Aida“mit dem schwarz gewandeten Amonasro im Bildzentru­m (Kwang Keun Lee).
Foto: Martin Kaufhold/Theater Ulm Gefangene und moderne Sklaven unter dem Anschlag einer Maschinenp­istole: Szene aus der Ulmer Freilichtb­ühnen Inszenieru­ng von Giuseppe Verdis Oper „Aida“mit dem schwarz gewandeten Amonasro im Bildzentru­m (Kwang Keun Lee).

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