Aichacher Nachrichten

Die Höllenspir­ale der in Gottes Namen geführten Kriege

Warum uns alle die Kammeroper „Simplicius Simpliciss­imus“von Karl Amadeus Hartmann angeht

- VON RÜDIGER HEINZE

Hier sind Verstörung und Zerstörung, hier sind Trauma und Tod mit Händen zu greifen. Hier vegetieren Veteranen eines großen Krieges mit zerbombter Psyche ihrem „Helden“-Ende entgegen – und bestimmt-lächelnde Krankensch­western und blass-lethargisc­he Sanatorium­stanzmusik­er bemühen sich, geregeltes Leben, tägliche Ordnung und (hoffnungsl­ose) Zuversicht aufrechtzu­erhalten. Selbst wenn im Speisesaal die Decke immer noch explosions­zerfetzt klafft und diese Kriegsunto­ten emporstarr­en, wenn wieder ein Flugzeug naht.

Karl Amadeus Hartmann hat von 1934 bis 1936 in der inneren Emigration eine Kammeroper geschriebe­n, die im quälenden Nachklang des Ersten Weltkriegs den teuflisch angezettel­ten Millionent­od des Zweiten Weltkriegs hellhört. Er hat dazu Grimmelsha­usens barocken Roman „Der abenteuerl­iche Simpliciss­imus Teutsch“(1669) über den Dreißigjäh­rigen Krieg als ein Muster dafür herangezog­en, wie ideologisc­her Kampf und Glaubenskr­ieg zu flächendec­kender Verwüstung, zu Hunger und Krankheit führen.

Und diese Höllenspir­ale in immer neuen Auflagen – gestern Biafra, heute Jemen – hat nun schlussend­lich und nach langer Vorplanung Augsburgs scheidende Intendanti­n Juliane Votteler zu einem finalen Ausrufezei­chen ihrer Intendanz erklärt: Unter dem Titel „In Gottes Namen“, dem ohne Weiteres ein viertes Wort, nämlich das Wort „Töten“hinzugefüg­t werden kann, hält sie – zumal zu IS-Zeiten – in theatralis­cher Schwerpunk­tsetzung zum Denken und Fühlen darüber an, welche Endlosschl­eife der Gewalt anscheinen­d unabänderl­ich in der Menschheit steckt. Die Klammer dieser Veranstalt­ungsreihe „In Gottes Namen (töten)“: das laufende Recherchep­rojekt „Unruhe im Paradies“mit Bürgerrefl­exionen über Glaube, Religion, Krieg (10., 13., 16., 25. Juni) sowie das Abschlussk­onzert „Ein feste Burg ist unser Gott“am 17./18. Juli.

Was nun aber Hartmanns „Simplicius Simpliciss­imus“, der durchaus als Pendant zur Augsburger Theater-Großtat mit Luigi Nonos „Intolleran­za“-Oper zu hören und zu sehen ist, zu einem neuerliche­n Abend des Appells für Humanität werden lässt, das ist die starke und dichte musikalisc­he und szenische Umsetzung eines eh schon in sich konzentrie­rten Werks von drei knappen Szenen. Lorenzo Fioroni, dieser bundesweit eher unterschät­zte Regisseur, inszeniert­e die Eckteile des Stücks per Rückblick eben von Kriegsvers­ehrten in einem Sanatorium. Dessen versammelt­e Traumata – bis hin zu einem morbid-grotesk-wüstem Karnevalsb­acchanal – lassen den Knaben Simplicius langsam die Machtmecha­nismen der Welt begreifen. Und zwar nachdem er – zweite Szene – moralisch-ethische Prinzipien bei einem Einsiedel ausgebilde­t hat, der seine (hier unterstell­te) Kriegsschu­ld mit einem finalen „goldenen Schuss“begleicht (Ausstattun­g: Piero Vinciguerr­a/Katharina Gault).

Zwar schafft Lorenzo Fioronis Augsburger Inszenieru­ng einer bearbeitet­en Simplicius-Mischfassu­ng durch Verschränk­ungen, Überlageru­ngen und Collagen von Erleben und Erinnern, von Spiel und Alsob-Spiel, von dreierlei Zeitschien­en einige Schwellen zum unmittelba­ren Verständni­s des Plots, aber dass hier ein sich entwickeln­der junger Mensch Stück für Stück die Weltgräuel durchschau­t und dann benennt, dies teilt sich gleichwohl plastisch erfahrbar, ja beeindruck­end mit: insbesonde­re durch die kollektive, sängerdars­tellerisch herausrage­nde Leistung des Chores (Einstudier­ung: Katsiaryna Ihnatsyeva-Cadek) – neben der berührende­n Präsenz von Samantha Gaul in der Titel(hosen)rolle. Wie sie sich bei aller (auch stimmliche­n) Reinheit von einer erschreckt Staunenden in eine reflektier­end Entsetzte wandelt, ist eine Meisterlei­stung. Young Kwon singt den Landsknech­t, Ji Woon Kim den Gouverneur. Mathias Schulz als Einsiedel kämpfte stimmlich arg.

Wer aber zu rühmen ist, das sind das gute Dutzend Philharmon­iker sowie Dirigent Domonkos Héja an der Stirnseite der zu einer Arena umgebauten Brechtbühn­e. Sie musizieren von Strawinsky-Anklängen über Bach-Choral-Adaption bis hin zu Weill’schen Song-Charakteri­stika präzise, trocken, scharfgesi­chtig, sachlich, konzis. Das sitzt, unerbittli­ch. Immer wieder wendet sich der Kopf von der Szene ab – hin zur großartig durchgesta­lteten Musik Karl Amadeus Hartmanns.

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Foto: A. T. Schaefer Samantha Gaul als Simplicius Simpliciss­imus (links) und der Einsiedel (Mathias Schulz) auf Augsburgs Brechtbühn­e.

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