Auf dem Pfad der Riesen
Frankreich Wer die ganze Küste der Bretagne umwandern will, wird diesen Weg lieben
Schreckliches ist dort drüben passiert. Im La Château de Dinan, einem schrundigen Felsklotz mit zackigen Zinnen im Meer, waren einst die Kawrs zu Hause, ungehobelte Riesen, die zum Frühstück schon mal gern ein paar arme Seeleute verputzten. Hinterher vergnügten sie sich damit, große, spitze Steine über die Halbinsel von Crozon zu schleudern – immer noch findet man die Wurfgeschosse, Menhire genannt, an allen Ecken und Enden. Direkt unter den Unholden hausten die Korrigans, knorrige Scherzkekse mit leuchtend roten Augen. Sie litten tagtäglich unter dem Gepoltere und griffen irgendwann zur Selbsthilfe. Spät in der Nacht entzündeten sie ein Feuer aus Farn und Kräutern. Der Rauch stieg hoch, tötete die schnarchenden Grobiane und verwandelte sie auf der Stelle in Stein.
Wer diese Festung der Riesen mit eigenen Augen sehen will, muss allerdings einen Fußweg in Kauf nehmen. Sie liegt abseits der Straße, direkt am GR 34. Der Fernwanderweg „Grand Randonnée 34“führt auf 1700 Kilometern Länge rund um die gesamte Küste der Bretagne. Einer der schönsten Abschnitte ist der im Departement Finistère.
Fast immer verläuft der Pfad streng an der Küste entlang durch wechselnde Landschaften. Mal streicht man über Heideland, in dem der scharfe Wind Ginster und Erika fast rasenkurz hält, dann wieder über aufgetürmte Felsblöcke und zwischen sturmzerzausten Thuja hindurch. Tief unten schäumt und brodelt Gischt über Fels, der wie frisch gebrochene Kohle schimmert, wie schlackige, schwarze Lava oder bemooste Reptilienpanzer.
Doch dann quert der Weg auch Dörfer und Städte – immer wieder gibt es Gelegenheit zur Begegnung mit dem Meer, seinen Anrainern und ihrer Geschichte.
Die amöbenförmige Halbinsel Crozon etwa vereinigt höchst unterschiedliche Elemente bretonischer Vergangenheit: Da sind die Befestigungen noch aus der Zeit Ludwigs XIV. und die Betonbauten aus dem Zweiten Weltkrieg. Ein Museum in einem deutschen Bunker erinnert mit Ankern, Geschützen und Inschriften an die „Schlacht um den Atlantik“und an die 45000 zivilen Seeleute, die während dieser Zeit ums Leben kamen. Schon viel früher dagegen müssen die Kawrs mit ihren Wurfgeschossen ins Dörflein Lagatjar gezielt haben: Es herrscht Hinkelsteinalarm! Dutzende weißgraue Menhire stehen aufgerichtet in drei Reihen – und noch immer kann niemand mit Sicherheit sagen, ob sie vor 5000 Jahren aufgestellt wurden, um Sternbewegungen zu berechnen, Götter gnädig zu stimmen oder sich selbst ein Denkmal zu setzen.
Im 6. Jahrhundert wanderten aus Britannien die Kelten ein und brachten das Christentum mit. Um mit den naturgläubigen heimischen Druiden aufnehmen zu können, bedurfte es rauer Kerle. Der heilige Ronan tat sich als Missionar besonders hervor. Er zähmte gern wilde Bestien und erweckte Tote zum Leben. Begraben ist er im Dörfchen Locronan. Über der Grabkapelle erhebt sich ein schlankes, filigranes Türmchen im Stil der bretonischen Spätgotik. Man findet solche Türme vielfach in der Bretagne, sie prägen das Bild der Dörfer und Städte nicht weniger als die einfachen, grauen Steinhäuser, deren Giebel stets mittig in breiten Kaminen auslaufen. Besonders dramatisch zeigt sich die Landschaft an der Spitze der Halbinsel Sizun, am Pointe du Raz, dem zum westlichsten Punkt Festlandfrankreichs erklärten Felsrücken. Als die Sonne durchbricht, scheinen die Konturen der scharf gezackten Steinhügel und der beiden Leuchttürme im Meer wie mit einem Pinsel nachgezogen. Zwischen ihnen schäumt und strömt es wie in einem Whirlpool, Fischkutter schieben sich durch die schlierigen Wirbel. Der Wechsel der Gezeiten spült Kleingetier vom Grund hoch, Pollack, Wolfsbarsch, Steinbutt und Seehecht finden jede Menge Nahrung – und sich allzu oft an den Haken der Fischer wieder.
Vom Fischfang lebten die Küstenbewohner seit Jahrhunderten. In Douarnenez etwa werden Makrees len, Thun und Anchovis in modernen Fabriken im Industriehafen verarbeitet. Eine „Straße der Sardinen“erinnert mit 17 Stationen an deren entscheidende Bedeutung für die Geschichte der Stadt. Und zum Abschluss gibt es im „Haus der Sardinen“Sardinen in Öl, Sardinen aus Schokolade, Sardinen auf CidreSchalen…
Das Fischereizentrum „Haliotika“in Le Guilvinec dagegen beschäftigt sich mit der prallen Gegenwart dieses Berufs. Die junge Führerin erläutert auf der nachgebauten Kommandobrücke Echolot, Autopilot, elektronisches Logbuch und automatische Ladungsanzeige. In einem großen Schleppnetz finden sich Modelle aller verwertbaren Atlantik-Fische, vom Seeaal über Tintenfisch bis zu den verschiedenen Kabeljau-Arten. Und ein Video zeigt, wie Seeteufel filetiert wird.
Direkt vor der Tür landen am Spätnachmittag die Boote der Küstenfischer ihren Fang an. In der Kühlhalle laufen Kisten mit Langustinos, Kraken und St.-Peters-Fischen an den Händlern vorbei, die ihre Gebote abgeben. Auf Anzeigetafeln lässt sich die Preisentwicklung verfolgen.
Wenn das lebhafte Geschehen abebbt, wird es Zeit, sich wieder auf den Weg zu machen, die nächsten Schritte auf dem GR 34, dem Weg, der so reich an Überraschungen ist. Obwohl – ein Stündchen ließe sich sicher noch erübrigen: für ein paar Austern vielleicht.