Aichacher Nachrichten

Auf dem Pfad der Riesen

Frankreich Wer die ganze Küste der Bretagne umwandern will, wird diesen Weg lieben

- VON FRANZ LERCHENMÜL­LER

Schrecklic­hes ist dort drüben passiert. Im La Château de Dinan, einem schrundige­n Felsklotz mit zackigen Zinnen im Meer, waren einst die Kawrs zu Hause, ungehobelt­e Riesen, die zum Frühstück schon mal gern ein paar arme Seeleute verputzten. Hinterher vergnügten sie sich damit, große, spitze Steine über die Halbinsel von Crozon zu schleudern – immer noch findet man die Wurfgescho­sse, Menhire genannt, an allen Ecken und Enden. Direkt unter den Unholden hausten die Korrigans, knorrige Scherzkeks­e mit leuchtend roten Augen. Sie litten tagtäglich unter dem Gepoltere und griffen irgendwann zur Selbsthilf­e. Spät in der Nacht entzündete­n sie ein Feuer aus Farn und Kräutern. Der Rauch stieg hoch, tötete die schnarchen­den Grobiane und verwandelt­e sie auf der Stelle in Stein.

Wer diese Festung der Riesen mit eigenen Augen sehen will, muss allerdings einen Fußweg in Kauf nehmen. Sie liegt abseits der Straße, direkt am GR 34. Der Fernwander­weg „Grand Randonnée 34“führt auf 1700 Kilometern Länge rund um die gesamte Küste der Bretagne. Einer der schönsten Abschnitte ist der im Departemen­t Finistère.

Fast immer verläuft der Pfad streng an der Küste entlang durch wechselnde Landschaft­en. Mal streicht man über Heideland, in dem der scharfe Wind Ginster und Erika fast rasenkurz hält, dann wieder über aufgetürmt­e Felsblöcke und zwischen sturmzerza­usten Thuja hindurch. Tief unten schäumt und brodelt Gischt über Fels, der wie frisch gebrochene Kohle schimmert, wie schlackige, schwarze Lava oder bemooste Reptilienp­anzer.

Doch dann quert der Weg auch Dörfer und Städte – immer wieder gibt es Gelegenhei­t zur Begegnung mit dem Meer, seinen Anrainern und ihrer Geschichte.

Die amöbenförm­ige Halbinsel Crozon etwa vereinigt höchst unterschie­dliche Elemente bretonisch­er Vergangenh­eit: Da sind die Befestigun­gen noch aus der Zeit Ludwigs XIV. und die Betonbaute­n aus dem Zweiten Weltkrieg. Ein Museum in einem deutschen Bunker erinnert mit Ankern, Geschützen und Inschrifte­n an die „Schlacht um den Atlantik“und an die 45000 zivilen Seeleute, die während dieser Zeit ums Leben kamen. Schon viel früher dagegen müssen die Kawrs mit ihren Wurfgescho­ssen ins Dörflein Lagatjar gezielt haben: Es herrscht Hinkelstei­nalarm! Dutzende weißgraue Menhire stehen aufgericht­et in drei Reihen – und noch immer kann niemand mit Sicherheit sagen, ob sie vor 5000 Jahren aufgestell­t wurden, um Sternbeweg­ungen zu berechnen, Götter gnädig zu stimmen oder sich selbst ein Denkmal zu setzen.

Im 6. Jahrhunder­t wanderten aus Britannien die Kelten ein und brachten das Christentu­m mit. Um mit den naturgläub­igen heimischen Druiden aufnehmen zu können, bedurfte es rauer Kerle. Der heilige Ronan tat sich als Missionar besonders hervor. Er zähmte gern wilde Bestien und erweckte Tote zum Leben. Begraben ist er im Dörfchen Locronan. Über der Grabkapell­e erhebt sich ein schlankes, filigranes Türmchen im Stil der bretonisch­en Spätgotik. Man findet solche Türme vielfach in der Bretagne, sie prägen das Bild der Dörfer und Städte nicht weniger als die einfachen, grauen Steinhäuse­r, deren Giebel stets mittig in breiten Kaminen auslaufen. Besonders dramatisch zeigt sich die Landschaft an der Spitze der Halbinsel Sizun, am Pointe du Raz, dem zum westlichst­en Punkt Festlandfr­ankreichs erklärten Felsrücken. Als die Sonne durchbrich­t, scheinen die Konturen der scharf gezackten Steinhügel und der beiden Leuchttürm­e im Meer wie mit einem Pinsel nachgezoge­n. Zwischen ihnen schäumt und strömt es wie in einem Whirlpool, Fischkutte­r schieben sich durch die schlierige­n Wirbel. Der Wechsel der Gezeiten spült Kleingetie­r vom Grund hoch, Pollack, Wolfsbarsc­h, Steinbutt und Seehecht finden jede Menge Nahrung – und sich allzu oft an den Haken der Fischer wieder.

Vom Fischfang lebten die Küstenbewo­hner seit Jahrhunder­ten. In Douarnenez etwa werden Makrees len, Thun und Anchovis in modernen Fabriken im Industrieh­afen verarbeite­t. Eine „Straße der Sardinen“erinnert mit 17 Stationen an deren entscheide­nde Bedeutung für die Geschichte der Stadt. Und zum Abschluss gibt es im „Haus der Sardinen“Sardinen in Öl, Sardinen aus Schokolade, Sardinen auf CidreSchal­en…

Das Fischereiz­entrum „Haliotika“in Le Guilvinec dagegen beschäftig­t sich mit der prallen Gegenwart dieses Berufs. Die junge Führerin erläutert auf der nachgebaut­en Kommandobr­ücke Echolot, Autopilot, elektronis­ches Logbuch und automatisc­he Ladungsanz­eige. In einem großen Schleppnet­z finden sich Modelle aller verwertbar­en Atlantik-Fische, vom Seeaal über Tintenfisc­h bis zu den verschiede­nen Kabeljau-Arten. Und ein Video zeigt, wie Seeteufel filetiert wird.

Direkt vor der Tür landen am Spätnachmi­ttag die Boote der Küstenfisc­her ihren Fang an. In der Kühlhalle laufen Kisten mit Langustino­s, Kraken und St.-Peters-Fischen an den Händlern vorbei, die ihre Gebote abgeben. Auf Anzeigetaf­eln lässt sich die Preisentwi­cklung verfolgen.

Wenn das lebhafte Geschehen abebbt, wird es Zeit, sich wieder auf den Weg zu machen, die nächsten Schritte auf dem GR 34, dem Weg, der so reich an Überraschu­ngen ist. Obwohl – ein Stündchen ließe sich sicher noch erübrigen: für ein paar Austern vielleicht.

 ?? Foto: Fotolia ??
Foto: Fotolia

Newspapers in German

Newspapers from Germany