Aichacher Nachrichten

Kontrollie­ren und beten

- VON ANTON SCHWANKHAR­T as@augsburger allgemeine.de

Sport stiftet Gemeinscha­ft und Identität. Fußball ganz besonders. Das ist einer jener Werte, die über das Rasenviere­ck hinausgehe­n, und gleichzeit­ig eines seiner Erfolgsgeh­eimnisse. Natürlich lässt sich ein Champions League-Finale auch allein auf dem Sofa bei herunterge­lassenen Rollos und abgeschalt­eten Telefonen schauen. Manchem gar ist gerade das der höchste Genuss.

Die meisten Fußball-Fans aber suchen das Gemeinscha­ftserlebni­s in Stadien, Kneipen oder beim Public Viewing auf öffentlich­en Plätzen. Letzteres eine Mischung aus Fußballsch­auen und Massenpart­y, aus der jeder zieht, was er möchte. Eine Form der Fußballkul­tur, Vergnügen für Fans und Eventhungr­ige, die keine Stadionkar­ten ergattern konnten oder sie sich nicht leisten können. Mit 30000 Tifosi nächtens auf einer historisch­en Piazza für Juve zu fiebern, ist großes Theater. Da spielt es keine Rolle, dass das Original in tausend Kilometern Entfernung läuft. Beim Public Viewing schienen die Zuschauer in den Tiefen öffentlich­er Räume bislang sicherer als in Stadien, die neuerdings gerne von Hooligans gestürmt werden.

Spätestens in Turin hat Public Viewing auch für den Fußball seine Unschuld verloren. Es ist nun Teil aller Massenvera­nstaltunge­n, die zu jedem Augenblick in ein Inferno münden können, weil Attentäter Bomben zünden, um sich schießen oder mit Lastwagen in die Menge rasen. Was die Ereignisse von Turin pervertier­en könnte: Die Bedrohung war möglicherw­eise inszeniert. Hat ein Haufen Hirnloser mit der Panik der Menschen gespielt, eine Lunte gelegt und geschaut, was passiert? War es nur ein umgestürzt­es Absperrgit­ter, das die Menschen in Panik versetzt hat? Wie können die Menschen ihr freies Leben nicht nur gegen islamistis­che Bombenlege­r, sondern auch gegen Trittbrett­fahrer, Dummköpfe und die eigene vorauseile­nde Angst verteidige­n? Indem die Veranstalt­er genauer hinsehen, schärfer kontrollie­ren, weniger Besucher zulassen, mehr Fluchträum­e schaffen – und dann beten.

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Foto: dpa Am Ende interessie­rte sich keiner mehr für den Cup. Ein Rettungswa­gen auf der Piazza San Carlo in Turin.
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