Kontrollieren und beten
Sport stiftet Gemeinschaft und Identität. Fußball ganz besonders. Das ist einer jener Werte, die über das Rasenviereck hinausgehen, und gleichzeitig eines seiner Erfolgsgeheimnisse. Natürlich lässt sich ein Champions League-Finale auch allein auf dem Sofa bei heruntergelassenen Rollos und abgeschalteten Telefonen schauen. Manchem gar ist gerade das der höchste Genuss.
Die meisten Fußball-Fans aber suchen das Gemeinschaftserlebnis in Stadien, Kneipen oder beim Public Viewing auf öffentlichen Plätzen. Letzteres eine Mischung aus Fußballschauen und Massenparty, aus der jeder zieht, was er möchte. Eine Form der Fußballkultur, Vergnügen für Fans und Eventhungrige, die keine Stadionkarten ergattern konnten oder sie sich nicht leisten können. Mit 30000 Tifosi nächtens auf einer historischen Piazza für Juve zu fiebern, ist großes Theater. Da spielt es keine Rolle, dass das Original in tausend Kilometern Entfernung läuft. Beim Public Viewing schienen die Zuschauer in den Tiefen öffentlicher Räume bislang sicherer als in Stadien, die neuerdings gerne von Hooligans gestürmt werden.
Spätestens in Turin hat Public Viewing auch für den Fußball seine Unschuld verloren. Es ist nun Teil aller Massenveranstaltungen, die zu jedem Augenblick in ein Inferno münden können, weil Attentäter Bomben zünden, um sich schießen oder mit Lastwagen in die Menge rasen. Was die Ereignisse von Turin pervertieren könnte: Die Bedrohung war möglicherweise inszeniert. Hat ein Haufen Hirnloser mit der Panik der Menschen gespielt, eine Lunte gelegt und geschaut, was passiert? War es nur ein umgestürztes Absperrgitter, das die Menschen in Panik versetzt hat? Wie können die Menschen ihr freies Leben nicht nur gegen islamistische Bombenleger, sondern auch gegen Trittbrettfahrer, Dummköpfe und die eigene vorauseilende Angst verteidigen? Indem die Veranstalter genauer hinsehen, schärfer kontrollieren, weniger Besucher zulassen, mehr Fluchträume schaffen – und dann beten.