Wie wir die Schwänzer durchs Dorf jagten
Die Schule war für Kinder früher kein Zuckerschlecken und das lag nicht nur am Stock des Hauptlehrers. Silvano Tuiach kam trotzdem durch und wurde Buchdrucker
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VON SILVANO TUIACH
er zwischen 1950 und, sagen wir 1956 eingeschult wurde, hat vielleicht noch die SchwarzWeiß-Fotos vom ersten Schultag irgendwo in einem Album oder einer Schachtel. Auf den Fotos: etwas unbeholfen und verlegen dreinschauende Knaben und Mädchen. Die Buben oft in Kniebundhosen und die Mädchen in selbst genähten Röckchen. Im Arm die obligate Schultüte – eine große Motivation, um überhaupt das Schulleben zu beginnen.
Auf dem Land gab es noch sogenannte „Zwergschulen“. Schulen, in denen alle Klassen in einem Raum unterrichtet wurden. In der Steppacher Volksschule, wo ich das „V8“absolvierte, waren immer zwei Klassen zusammengefasst, erste und zweite, dritte und vierte, usw. In der ersten und zweiten Klasse wurden wir von Fräulein Kränzle und Fräulein Henkel unterrichtet. Wie alt diese „Fräuleins“damals waren, weiß ich nicht. Aber als Kind kamen sie mir damals „uralt“vor, obschon sie sicher nicht älter als 40 waren. Später gesellte sich noch Fräulein Kirchner zu dieser Damenriege dazu. Im Gegensatz zu den beiden erstgenannten war sie sehr streng.
In der ersten Klasse mussten wir noch mit der altdeutschen Sütterlinschrift beginnen und ich erinnere mich an das hässliche Geräusch, das der „Griffel“auf der Schiefertafel verursachte. Erst nach einem Jahr stiegen wir dann auf die lateinischen Buchstaben um. In den Schulräumen standen noch große Holz- und Kohleöfen und die Aborte stanken grässlich.
Bis zur vierten Klasse waren die Schuljahre mit den Fräuleins noch ziemlich beschaulich. In der fünften Klasse wartete aber „Oberlehrer M.“auf uns, der von allen nur „Goofy“genannt wurde und dem kein guter Ruf vorausging. Meine Zeitgenossen wissen, dass damals die Prügelstrafe noch gang und gäbe war. Bei kleineren Vergehen (dreimal die Hausaufgabe vergessen) gab es Tatzen und bei gröberen Delikten Hosenspanner. Einige Mitschüler hatten deswegen ständig eine alte Zeitung in der Unterhose. Und wenn man vom Lehrer eine Watschen bekam und sich zu Hause bei den Eltern beklagte, setzte es oftmals vom Vater gleich noch eine.
Ab sofort war auch der tägliche Kirchgang um 7 Uhr am Morgen eigentlich Pflicht. Dafür gab es vom Pfarrer Fleißbildchen – gezeichnete Motive von Kanaan oder Betlehem. Erst viele, viele Jahre später Strande“kann ich heute noch auswendig. Der Lieblingsgegenstand des Hauptlehrers war sein Rohrstock, und der Schüler, an dem er ihn abschlug, musste am Nachmittag nach Augsburg zum „Mühlpoltner“fahren, um dort einen Neuen (für neue Prügeleien) zu kaufen.
Damals gab es auch noch den Typus des Schulschwänzers, was in einem kleinen Dorf (und sicherlich auch in der Stadt) eine riskante Sache war. Auf Befehl des Hauptlehrers mussten wir Braven den Schulschwänzer einfangen und zum Nachsitzen ins Schulgebäude bringen.
Während der achten Klasse (letztes Schuljahr) kam dann die „Eignungsprüfung“im Arbeitsamt, die Lehrzeit stand vor der Tür. Meine Mutter arbeitete damals als Buchbinderin und meinte: „Bua, mach Buchdrucker, die stehen nur den ganzen Tag vor der Maschine und schauen, wie da die Bogen rauskommen.“Gesagt, getan, aber so einfach gestaltete sich dieser Beruf dann doch nicht. Im September begann die Lehre und um 6.15 Uhr fuhr ich jeden Tag mit der Buslinie 25 zum Oberhauser Bahnhof und stieg dort in die Straßenbahn um, um mein Ziel Haltestelle „Englisches Institut“(heute „Mozarthaus“) zu erreichen.
„Lehrjahre sind keine Herrenjahre.“Dieses viel zitierte Motto bestimmte jetzt die kommenden Jahre. Ganz zu Ende war ja die Schulzeit noch nicht, denn einmal in der Woche mussten wir in die Berufsschule. Also auf zum „Kö“. Die Haltestelle der 4er befand sich an der Parkseite, an der damals auch noch einige Geschäfte standen. Die immer völlig überfüllte 4er fuhr zur Haunstetter Straße, wo das große, alte Berufsschulgebäude stand. Unser Fachkundelehrer war ein großer Erzähler vom Krieg und seinen Erlebnissen, aber wenigstens verherrlichte er diese Zeit nicht. Die „braven Schüler“(zu denen ich mich zählte) aßen in der Mittagspause ihre Brotzeit und die „Halbstarken“gingen über die Straße zur Gaststätte „Nagelschmiede“und tranken da schon eine „Moß Goiß“. 1970 hängte ich den Beruf an den Nagel und ging auf die Berufsaufbauschule, um dort die mittlere Reife nachzuholen.
Silva no Tuiach ist Jahr gang 1950. Er wuchs in Augsburg und Steppach auf, heute lebt er in Neusäß. Der Kabarettist auch als Herr Ranzmayr bekannt, einem „Augschburger“in Reinform. Regelmäßig ist er als solcher bei Hitradio rt1 zu hören. ist