Eine Frage der Ehre
Seit fünf Jahren gibt es das Projekt „Heroes“in Augsburg. Es gilt als Erfolgsmodell. Worum es dabei geht
Wenn Alican Tuncer und MichaelSamet Jung vor Schulklassen treten, zeigen sie den Schülern meist zunächst einmal ein Musikvideo. „Köln Kalk Ehrenmord“heißt der Song des Rappers Eko Fresh, es geht darin um die Liebe eines Deutschen zu einer Türkin und um ihren Bruder, der das nicht erträgt und beide erschießt. Das Projekt „Heroes“in Augsburg soll Denkmuster aufbrechen, die manchmal sogar zu solchen Taten führen können. Dazu gehen Alican Tuncer und MichaelSamet Jung in Schulen und halten dort Workshops ab.
In eineinhalb Stunden diskutieren sie mit jungen Leuten über Gleichberechtigung, Toleranz und über Gewalt im Namen der Ehre. Sie führen Rollenspiele durch, es geht um exemplarische Konfliktsituationen. Etwa jene: Ein junger Mann wird als „Hurensohn“beschimpft. Wie reagiert er darauf? Mit den Fäusten? Oft, sagt Alican Tuncer, sei genau das die Haltung, die unter jungen Männern aus Ehrenkulturen vorherrsche. Die „Heroes“(zu deutsch: Helden) haben selbst Wurzeln in Kulturen, in denen das Wort „Ehre“oft eine große Bedeutung hat, das ist Teil des Konzeptes. Sie sollen einen guten Draht zu den Schülern haben, die selber aus Ehrenkulturen stammen, und sich für Themen wie Gleichberechtigung und Toleranz einsetzen. Seit fünf Jahren gibt es das Projekt in Augsburg, organisiert wird es vom Verein „Die Brücke“.
Es gilt als Erfolgsmodell. Als es vor Kurzem sein fünfjähriges Jubiläum feierte, lobte es ein Vertreter des Bayerischen Sozialministeriums als „echtes Vorzeigeprojekt“. 29 junge Männer sind in den vergangenen fünf Jahren in Augsburg zu „Heroes“ausgebildet worden, berichtet Brücke-Geschäftsführer Erwin Schletterer. 3500 Schüler haben an den Workshops in der Region bereits teilgenommen. Eine Studie über das Heroes-Projekt in Berlin, das 2012 startete, kommt zu einem eindeutigen Schluss: Die Umsetzung des Konzepts gelinge. In Augsburg, sagt Schletterer, orientiere man sich am Berliner Modell, die Rückmeldungen der Schüler und Lehrer seien positiv. Die 29 jungen Männer haben beim Verein in neun bis zwölf Monaten eine Ausbildung zum „Hero“gemacht, eine intensive Schulung mit Trainern.
Alican Tuncer, 22, und MichaelSamet Jung, 20, sind schon länger dabei. Tuncer ist Hero der ersten Stunde, seit 2012, Jung kam ein Jahr später dazu. Viele Schüler, sagt Jung, seien am Anfang der Workshops durchaus der Meinung, dass es keine Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen geben solle. Eines lasse sich beobachten: Durch das Seminar würden sie zumindest mal über ihre Haltung nachdenken, sie reflektieren. Künftig, sagt Brücke-Geschäftsführer Schletterer, wolle man erreichen, dass vermehrt Menschen zu Heroes werden, die aus Flüchtlingsländern kommen, aus Syrien etwa oder dem Irak. Für Tuncer und Jung steht jedenfalls eines fest. Als Heroes arbeiten, sagen sie, wollen sie noch eine ganze Weile.