Eine kleine Linienkunde
Alle sind neugierig
Nachdem Walter Schels in den 1970er Jahren sein Projekt, Hän de zu fotografieren, begonnen hatte, war er überrascht. Fast nie mand lehnte seine „Handleidenschaft“ab. Nicht nur das. Carl Friedrich von Weizsäcker, Kernphysiker am Max Planck Institut, erzählte ihm, dass er „ein großer Freund des Handlesens“sei: „Ich weiß auch nur, dass es funktioniert. Aber ich weiß nicht, wa rum“, so der Wissenschaftler. Der Dalai Lama streckte ihm ki chernd seine Hände entgegen und fragte: „What can you see?“
Chirologie
Im 19. Jahrhundert galt das Handlesen als Kunstform und Wis senschaft. Es ging weniger um Zukunftsdeutung, mehr um den Ursprung menschlicher Identität und Vererbung. Gregor Mendel schrieb 1866: „So wenig man zwei sich vollkommen ähnliche Gesichter finden kann, so wenig wird man zwei sich vollkommen ähnliche Hände von zwei verschiedenen Personen finden.“Chi nesen und Inder begannen vor 3000 Jahren, aus Handlinien In formationen über Persönlichkeit und Schicksal zu gewinnen. Aristoteles sah darin „himmlische Einflüsse“.
Die Linien der Hand
Die waagerecht verlaufende Herzlinie im Handteller (ganz oben) steht für Liebe und Mitgefühl. Bei der Kopflinie darunter geht es um die Ausprägung von Intelligenz und Willensstärke. Die Sa turnlinie, die sich senkrecht vom Mittelfinger in Richtung Hand wurzel zieht, steht für die gesellschaftliche Position und das Er reichen von Lebenszielen. Die Lebenslinie rund um den Dau menhügel soll Gesundheit und Lebenskraft ausdrücken. Die Apollolinie, vom Ringfinger senkrecht, zeigt künstlerische Bega bung und Glücksempfinden. Die Merkurlinie, vom kleinen Finger senkrecht, organisatorische und pädagogische Fähigkeiten sowie Sprachtalent. Das Armband zwischen Handkante und Unterarm, meist dreifaltig, steht für Gesundheit und langes Leben.
Erkennt man Kriminelle an ihren Handlinien?
Nein, aber es gab immer wieder Versuche. Marianne Raschig hielt 1931 im Umfeld der NS Rassengesetze über Hände fest: „Sind die Nägel schief gewachsen, so gilt dies als ungünstiges Zeichen einer unehrlichen Gesinnung. Es besteht Hinneigung zum Betrug… Man spricht bei besonders anormaler Stellung und plumper, abstoßend wirkender Form des Daumens von ei nem ‚Mörderdaumen‘.“Nazi Eugeniker griffen das begierig auf, als sie etwa Juden von Nichtjuden unterscheiden wollten.
Die Dermatoglyphen
Das sind Hautleisten am Körper, wozu auch Handlinien gehören. Die Medizin hat sie bisher nur teilweise erforscht, etwa dass Herzfehler und geistige Behinderung teilweise im Handteller ab lesbar sind. Geplant ist, Handlinienmuster massenhaft zu scan nen und mit Gen Sequenzen abzugleichen.