Pflanzenfreude
Wie Menschen fühlen sich Radieschen mit dem einen Nachbarn wohl – und mit dem anderen Gemüse dagegen gar nicht. Das Zauberwort heißt Mischkultur
Es gibt Freunde und es gibt Pflanzenfreunde. In meinem an sich gut gediehenen Freundeskreis habe ich nur eine Handvoll Pflanzenfreunde. Und so sehr ich alle anderen ins Herz geschlossen habe: Mit den Pflanzenfreunden verbindet mich etwas Besonderes. Wir tauschen unsere Setzlinge und unsere Sorgen über Mehltau und wissen, dass wir nicht der einzige Freak auf der Welt sind. Einmal stand ich mit einem Pflanzenfreund um Mitternacht im Garten mit einer Taschenlampe, weil er mir seine wunderbaren Rosen zeigen wollte. Seine Frau stand hinterm Fenster und lachte. So hatten wir alle was von dem Abend – und Sie verstehen, was ich mit Freaks meine?
Wir alle brauchen also Pflanzenfreunde, die Pflanzen selber ganz besonders. Bei Pflanzen nennt man das aber nicht Freundschafts-, sondern Mischkultur. Doch egal, wie es heißt: Wie Menschen, bei denen soziale Kontakte nachweislich das Leben verlängern, gedeihen Pflanzen in einer freundlichen Nachbarschaft viel besser. Das beste Beispiel auf meinem Acker Arthur sind die Radieschen. Sie ploppten Familie Bohne und mir nur so entgegen, als wir uns unlängst nach viel zu langer Abwesenheit mit schlechtem Gewissen zum Jäten aufs Meine-Ernte-Grundstück am See begaben. Und schmecken tun sie viel, viel besser als alle gekauften!
Liegt sicher daran, dass sie glücklich neben dem Kohl gedeihen dürfen. Das schließe ich aus einem wunderbaren kleinen Gerät, das mir eine Pflanzenfreundin ausgeliehen hat: der Mischkultur-Scheibe. Mithilfe der drehbaren Doppelscheibe lässt sich herausfinden, welche Pflanzen einander mögen, neutral gegenüberstehen oder sich nicht grün sind. Das würde man sich für Menschen auch mal wünschen. Es könnte so einige Enttäuschungen ersparen!
Mithilfe der Mischkultur-Scheibe habe ich zum Beispiel im Handumdrehen erfahren, dass Radieschen und Rettich sich unter anderem mit Kohl, Buschbohnen, Tomaten und Pastinaken verstehen. Dagegen stehen sie Rhabarber, Knoblauch und Ringelblumen neutral gegenüber. Und auf den Tod nicht leiden können sie Chinakohl und Gurken. Dazu gibt es detaillierte Hinweise: Spinat- und Salatgeruch vergrault zum Beispiel den Erdfloh an Radieschen und Rettich.
Mischkultur-Scheiben gibt es in Zeiten der allzeit verfügbaren Online-Information leider nicht mehr. Mein Leihexemplar, das jemand auf dem Flohmarkt ausgegraben hat, hat schon einige Jahre auf dem Buckel. Das zeigt nicht nur das Retrodesign, sondern auch, dass die Scheibe ein Gemüse auflistet, das nicht einmal meine älteren Kollegen kennen: Neuseeländer Spinat. Die Internetsuchmaschine Google ist zwar jünger als wir, kennt aber alles. Hier erfahre ich, dass Neuseeländer Spinat lange Ranken entwickelt. Verwenden kann man ihn wie Spinat, was sich gut anhört.
Weniger gut: Inzwischen schießen die Radieschen radikal in die Höhe. Das kann nicht nur am netten Nachbarn Kohl liegen; meine WhatsApp-Gruppe „Meine Ernte“mutmaßt, Ursache sei Kunstdünger der vergangenen Jahre. Egal. Mischkultur ist trotzdem toll.
*** 45, ist begeisterte Balkongärtnerin. Dann pachtete sie ein Grundstück von „Meine Ernte“am Friedberger See. Die Kolumne darüber finden Sie regelmäßig in unserem Lokalteil. Nächstes Mal: Gärtnern für Dummies.
„Ein Freund ist jemand, der deinen kaputten Zaun übersieht, aber die Blumen deines Gartens bewundert.“
Wilhelm Raabe