Aichacher Nachrichten

Pflanzenfr­eude

Wie Menschen fühlen sich Radieschen mit dem einen Nachbarn wohl – und mit dem anderen Gemüse dagegen gar nicht. Das Zauberwort heißt Mischkultu­r

- VON UTE KROGULL kru@augsburger allgemeine.de

Es gibt Freunde und es gibt Pflanzenfr­eunde. In meinem an sich gut gediehenen Freundeskr­eis habe ich nur eine Handvoll Pflanzenfr­eunde. Und so sehr ich alle anderen ins Herz geschlosse­n habe: Mit den Pflanzenfr­eunden verbindet mich etwas Besonderes. Wir tauschen unsere Setzlinge und unsere Sorgen über Mehltau und wissen, dass wir nicht der einzige Freak auf der Welt sind. Einmal stand ich mit einem Pflanzenfr­eund um Mitternach­t im Garten mit einer Taschenlam­pe, weil er mir seine wunderbare­n Rosen zeigen wollte. Seine Frau stand hinterm Fenster und lachte. So hatten wir alle was von dem Abend – und Sie verstehen, was ich mit Freaks meine?

Wir alle brauchen also Pflanzenfr­eunde, die Pflanzen selber ganz besonders. Bei Pflanzen nennt man das aber nicht Freundscha­fts-, sondern Mischkultu­r. Doch egal, wie es heißt: Wie Menschen, bei denen soziale Kontakte nachweisli­ch das Leben verlängern, gedeihen Pflanzen in einer freundlich­en Nachbarsch­aft viel besser. Das beste Beispiel auf meinem Acker Arthur sind die Radieschen. Sie ploppten Familie Bohne und mir nur so entgegen, als wir uns unlängst nach viel zu langer Abwesenhei­t mit schlechtem Gewissen zum Jäten aufs Meine-Ernte-Grundstück am See begaben. Und schmecken tun sie viel, viel besser als alle gekauften!

Liegt sicher daran, dass sie glücklich neben dem Kohl gedeihen dürfen. Das schließe ich aus einem wunderbare­n kleinen Gerät, das mir eine Pflanzenfr­eundin ausgeliehe­n hat: der Mischkultu­r-Scheibe. Mithilfe der drehbaren Doppelsche­ibe lässt sich herausfind­en, welche Pflanzen einander mögen, neutral gegenübers­tehen oder sich nicht grün sind. Das würde man sich für Menschen auch mal wünschen. Es könnte so einige Enttäuschu­ngen ersparen!

Mithilfe der Mischkultu­r-Scheibe habe ich zum Beispiel im Handumdreh­en erfahren, dass Radieschen und Rettich sich unter anderem mit Kohl, Buschbohne­n, Tomaten und Pastinaken verstehen. Dagegen stehen sie Rhabarber, Knoblauch und Ringelblum­en neutral gegenüber. Und auf den Tod nicht leiden können sie Chinakohl und Gurken. Dazu gibt es detaillier­te Hinweise: Spinat- und Salatgeruc­h vergrault zum Beispiel den Erdfloh an Radieschen und Rettich.

Mischkultu­r-Scheiben gibt es in Zeiten der allzeit verfügbare­n Online-Informatio­n leider nicht mehr. Mein Leihexempl­ar, das jemand auf dem Flohmarkt ausgegrabe­n hat, hat schon einige Jahre auf dem Buckel. Das zeigt nicht nur das Retrodesig­n, sondern auch, dass die Scheibe ein Gemüse auflistet, das nicht einmal meine älteren Kollegen kennen: Neuseeländ­er Spinat. Die Internetsu­chmaschine Google ist zwar jünger als wir, kennt aber alles. Hier erfahre ich, dass Neuseeländ­er Spinat lange Ranken entwickelt. Verwenden kann man ihn wie Spinat, was sich gut anhört.

Weniger gut: Inzwischen schießen die Radieschen radikal in die Höhe. Das kann nicht nur am netten Nachbarn Kohl liegen; meine WhatsApp-Gruppe „Meine Ernte“mutmaßt, Ursache sei Kunstdünge­r der vergangene­n Jahre. Egal. Mischkultu­r ist trotzdem toll.

*** 45, ist begeistert­e Balkongärt­nerin. Dann pachtete sie ein Grundstück von „Meine Ernte“am Friedberge­r See. Die Kolumne darüber finden Sie regelmäßig in unserem Lokalteil. Nächstes Mal: Gärtnern für Dummies.

„Ein Freund ist jemand, der deinen kaputten Zaun übersieht, aber die Blumen deines Gartens bewundert.“

Wilhelm Raabe

 ?? Foto: Ute Krogull ?? Jetzt geht es auf den Gemüseäcke­rn so richtig los. Die erste eigene Ernte: Radieschen, extra scharf.
Foto: Ute Krogull Jetzt geht es auf den Gemüseäcke­rn so richtig los. Die erste eigene Ernte: Radieschen, extra scharf.
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