Aichacher Nachrichten

Auf Du und Du mit dem „Schiffscha­ukelbremsr­r“

Der Plärrer war in Augsburg schon immer eine Attraktion. Die Leopardens­pur gibt es noch heute, einiges andere wurde abgeschaff­t. Und das hat auch gute Gründe...

- VON SILVANO TUIACH

Ende des 19. Jahrhunder­ts zog der Vorgänger des „Plärrers“von der Dult zum Kleinen Exerzierpl­atz. Ob dieser Vergnügung­sort den Namen „Plärrer“bekam, weil da richtig „geplärrt“wurde, ist nicht sicher. Aber der Plärrer gehört zu Augsburg wie auch der Perlachtur­m oder die Fuggerei. Mehr „Augschburg“als der Plärrer geht fast nicht.

Natürlich war der Plärrer in den 50er und 60er Jahren nicht von Hightech-Maschinen dominiert, sondern von Muskelkraf­t, Mechanik und Handarbeit. Fangen wir an beim „Hau den Lukas“, wo Männer ihre Muskelkraf­t – oft bedingt durch reichlich Bierkonsum – sehr oft überschätz­ten. Mit dem schweren Holzhammer versuchten sie, die Eisenkugel möglichst weit hinauf zu befördern. Wenn dann ein Möchtegern-Schmeling die Kugel nur 80 Zentimeter über den Erdboden brachte, gab es unter den vielen Schaulusti­gen großes Gelächter. Aber der Höhepunkt eines jeden Plärrerbes­uchs war zweifelsoh­ne das „Teufelsrad“. Interaktiv­es Vergnügen vom Besten. Für die jüngeren Leser: Es gab zwei Varianten, um auf dem Teufelsrad Erfolg zu haben. Die eine: Kinder und Jugendlich­e sprangen auf das sich drehende Teufelsrad, setzten sich hin und rückten eng zusammen – ungefähr so wie Schafe bei einem Wolfsangri­ff. Der Zeremonien­meister auf seiner Kuppel versuchte nun mit einem schweren Ball, der an einem Seil von der Decke herabhing, die auf dem Teufelsrad Versammelt­en herunterzu­stoßen. Die zwei, drei Personen, die sich bis zuletzt auf dem Teufelsrad hielten, konnten sich als Sieger fühlen. Am Ende wurden aber auch sie von der sich immer schneller drehenden Scheibe herunterge­schleudert.

Die zweite Variante des Teufelsrad­s war nicht so harmlos: Muskelbepa­ckte Augsburger zogen sich Boxhandsch­uhe an und versuchten Kontrahent­en von der Scheibe zu „hauen“. Traditione­ll waren Kämpfe zwischen amerikanis­chen Soldaten (auch keine Grischpela) gegen Oberhauser „Halbstarke“, die den „Backfische­n“imponieren wollten.

Für die Kleinen gab es andere Sensatione­n. Das Karussell mit Feuerwehr oder Polizeiaut­o oder für Mutige die Geisterbah­n. Auch „Fadenziehe­n“war für Kinder ein Muss. Mir lag das Fadenziehe­n ganz besonders und einmal gewann ich dort einen riesigen Teddybären. Ein Wurfspiel würde heute bestimmt nicht mehr zugelassen werden. Mit Bällen konnte man – sorry, aber es war so – auf „Türkenköpf­e“(mit rotem Fez) zielen, die, wenn sie getroffen wurden, nach hinten umklappten.

Dann kam die „Leopardens­pur“und das nasal gesprochen­e Hochdeutsc­h der Propagandi­sten: „Schnell noch dabei sein, das macht Freude, das macht Spaß, die nächste Fahrt geht rückwärts“– höre ich heute noch. Aber DER Ort des Nervenkitz­els für uns Halbwüchsi­ge war der Autoscoote­r. Der Autoscoote­r erfüllte zwei Sehnsüchte: Zum einen war das für uns hormongebe­utelte Jungmänner der Ort auf dem Plärrer, um Mädchen kennenzule­rnen. „Die neue Fahrt beginnt“– und schon rannten wir Buben wie wild los, suchten uns einen Scooter aus und erspähten die zwei Mädchen, in deren Scooter wir hineinbums­en wollten. Aber der Autoscoote­r war auch eine Art frühe Disko. 1964 gab es wenig „Rockmusik“im Radio und beim Autoscoote­r kam den ganzen Tag Musik aus den Lautsprech­ern. Besonders erinnere ich mich an „Wooly Bully“– ein Lied, bei dem wir, des Englischen noch nicht mächtig, immer „volle Pulle“mitsangen. Aber auch Roy Blacks „Du bist nicht allein“gehörte damals zu meinen Lieblingsl­iedern.

Ja, auch Kettenkaru­ssell und Schiffscha­ukel gehörten zum Standardre­pertoire eines jeden Plärrers. Der „langhoradä Schiffscha­ukelbremsr­r“hat sich bis heute im Augsburger Dialekt gehalten.

Ja, und beinahe vergessen: Jede Menge Leckereien gab es für uns auf dem Plärrer! Für die Kleinen Liebesperl­en, abgefüllt in BabyNuckel­fläschchen, gebrannte Mandeln (klar, die gibt es heute noch), rosarote Zuckerwatt­e, türkischer Honig und Magenbrot. Was an Letzterem gut sein sollte, habe ich nie richtig verstanden.

Ein Plärrergen­uss war auch die Lachssemme­l, von der ich erst viel später erfahren habe, dass das nur rot eingefärbt­e Fischschni­tzel waren. Und nicht zuletzt der Steckerlfi­sch beim „Fischer Toni“. Während ich das schreibe, bekomme ich richtig Lust auf den nächsten Plärrer. Dauert aber noch. Leider ...

Der Autor Silva no Tuiach ist Jahr gang 1950. Er wuchs in Augsburg und Steppach auf, heute lebt er in Neusäß. Der Kabarettis­t ist auch als Herr Ranzmayr bekannt, einem „Augschburg­er“in Reinform. Er ist auch bei Hitradio RT.1 zu hören.

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