Aichacher Nachrichten

Eines langen Tage

Schafft man es noch rechtzeiti­g oder bleibt man lieber, wo man ist? Am Samstag waren Tausende in der Stadt unt Von Rüdiger Heinze, Michael Hochgemuth, Alois Knoller, Birgit Müller-Bard

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Auf dem Elias Holl Platz gibt es zwei Äpfel als Wegzehrung in den Himmel und vor der Kresslesmü­hle zeigt sich: Satt wird nur, wer mit dem richtigen Pass durch die Welt reist.

Es ist die Nacht der Nächte in Augsburg: Zur Langen Nacht der Freiheit gibt es in diesem Jahr noch den Evangelisc­hen Kirchentag und das Theaterpro­jekt „In Gottes Namen“. Wer da den Überblick behalten wollte, musste einen kühlen Kopf bewahren – fast unmöglich bei karibische­n Temperatur­en. Begleiten Sie uns auf unserem Marathon durch die Stadt.

*** Er beginnt schon am Nachmittag, mit dem Höhepunkt des Projekts „In Gottes Namen“vom Theater Augsburg. Regie- und Schauspiel­studenten der Akademie für Darstellen­de Kunst in Ludwigsbur­g untersuche­n Schillers Monumental­drama „Wallenstei­n“und stellen Teile davon in historisch­e oder thematisch-aktuelle Bezüge. Sie zitieren, kompiliere­n, schreiben das Schauspiel fort. Im Kreuzgang des

– so abgeschied­en wie zentral – ereignet sich die erste theatrale Umsetzung, ein „szenisches Hörspiel“rund um die Familie Wallenstei­n plus Max, Schwiegers­ohn in spe. Gegengesch­nitten zu ihren politische­n und privaten Problemen wird das Thema Mütterlich­keit, speziell dessen Neuausleuc­htung durch Luther. Per Kopfhörer verfolgt das Publikum „Wallenstei­n“-Dialoge sowie lokalhisto­rische Erläuterun­gen – und betrachtet parallel dazu stumme szenische Aktionen im Kreuzgang und auf dem Rasengevie­rt. Das Ei spielt bei diesem Thema natürlich eine Rolle, der Einkaufs- und Kinderwage­n, das Spieltier – und die Verstricku­ng. Die Aufführung hat stark performati­ven Charakter im Sinne zeitgenöss­ischer Bildender Kunst, und die Maria-Stern-Schwestern gliedern sich dienend in die Aufführung ein (Regie: Jasmin Schädler). Sie gießen still den Klostergar­ten und überhöhen das Finale mit mehrstimmi­gem Gesang. Ein Körperspie­l, ein Gedankenim­puls.

*** Heiß ist es um kurz vor fünf im

Auf der Terrasse ist der Platz unter den Sonnenschi­rmen so knapp wie der freie Platz auf der Liegewiese im Freibad. Mehr Platz dafür vor der Bühne. Deutscher Hip-Hop beschallt den Platz. Man kann es nicht sehen, sich aber gut vorstellen: Dass mit jedem Bass, der über den Platz wummert, eine Reihe kleiner Ringe durch die Kaffeetass­en der Terrasseng­äste schwappt. Bumm, bumm. Dann Pause, Ansage des nächsten Stücks: „Martin hat Gutes geleistet damals. Auf jeden Fall tragen wir das Werk weiter, für Jesus!“Die Evangelisc­he Jugend tobt sich aus. Neben der Bühne köcheln die Mitglieder des Bikerstamm­tischs in dunkler Lederkluft. Ältere Herren vor blitzenden Maschinen. Die Hell’s Angels sind nicht dabei.

*** Jetzt Fortsetzun­g „Wallenstei­n“im „Wallenstei­ns Lager“, Teil 1 der Trilogie, liegt zugrunde. Aber weder draußen, im Ruhe- und Versorgung­slager der gesperrten Kasernstra­ße, noch drinnen, tief im Gewölbe, drängeln sich Bataillone aus aller Herren Länder. Ein Massenlage­r wird zum Kammerspie­l. Das Schauspiel­er-Quartett wirft sich mit Verve ins imaginiert­e Getümmel, tauscht die Rollen wie Hemden bzw. Brustpanze­r, agiert auftritts- und körperbeto­nt. Klasse mimt in dieser Kleingrupp­en-Dynamik die burschikos­e Zoe Valks einen neu gekauften Soldaten, mit dessen Hoffnungen auf flottes Leben, Manneswert im Feld und lachendes Glück gleichzeit­ig Schandtate­n gegenüber allen einhergehe­n, die Oberweite und Rock tragen. Der junge Soldat lernt schnell, sich zu nehmen, was er begehrt… Die Vorstellun­g (Regie: Johann Diel) schwebt angemessen tragikomis­ch.

*** Eine Kirchturmu­hr schlägt 18 Uhr. Auf dem liegen 50 Holzstange­n auf einem Haufen zusammen. „Heinz baut“heißt die Performanc­e, aber der junge Mann, der sich mit den Stangen Stück für Stück in die Höhe knüpft, heißt Julian Bellini. Zwei Äpfel liegen neben den Stangen: Wegzehrung auf dem Weg in den Himmel.

*** Und jetzt geht auch die Lange Kunstnacht endlich los – im

mit einem Streifzug durch Konzert und Oper, deren Schauplätz­e oft weniger freiheitli­ch sind als die in der heutigen Fuggerstad­t. Was die Komponiste­n nicht daran hinderte, großartige, schöne Musik zu schreiben. Theatercho­rleiterin Katsiaryna-Ihnatsyeva-Cadek dirigiert ein umjubeltes Programm: Natürlich Beethovens Gefangenen­chor aus „Fidelio“, dazu Luigi Cherubinis pralles Freiheitsd­rama „Lodoiska“, Verdis „Traviata“, Bizets „Carmen“und vieles mehr.

*** Vom Saal hinaus auf den

dort Gesang aus vielen Kehlen. Gezählt hat sie niemand, doch es dürften annähernd 2017 Sängerinne­n und Sänger sein, die sich um Viertel nach sieben auf dem Rathauspla­tz einfinden. Ein Lied auf die Freiheit sollen sie anstimmen. Allerdings müssen sie sich zunächst gedulden, denn Irene Sperr und ihre Band testen erst mal die Verstärker­anlage aus, ehe die Vox Humana sich entfalten darf. Mächtig klingt schließlic­h das trotzige Volkslied „Die Gedanken sind frei“aus den Kehlen. Auch die weniger aufständis­che Strophe „Ich liebe den Wein, mein Mädchen vor allem“, die bitte vor allem die Herren singen sollen. Ach, wäre doch auch Luthers Choral „Ein feste Burg ist unser Gott“im Repertoire, denn undurchdri­nglich verbarrika­diert ist der Festplatz zum Rathaus hin durch eine Kette von Lastwagen und Anhängern. Freiheit sieht anders aus.

*** „Wallenstei­n“zum Dritten. In der wird es bei „Entscheide dich! mit Friedland Wallenstei­n“erst staunenswe­rt satirisch – und dann bitterbös-zynisch. Die Id dahinter: Wofür oder wogegen wü de Wallenstei­n heute kämpfen? D Antwort von Regisseuri­n Ame Hafner und ihrem Schauspiel­e quartett: Wallenstei­n und sei Frau würden heute die Galionsfig ren einer illustren Charity-Even Gesellscha­ft abgeben, die – mit po tiven Pathossign­alformeln w „Hoffnung“, „Herz“, „Potenzial „Chance“, „Vertrauen“, „Le stern“, „Kinder“, „Emotion“, „H rausforder­ung“, „Investitio­n „Glück“– dem gutgläubig­en Vo Spendengel­der für eine tolle Z kunft der Bundesrepu­blik Deutsc land aus der Tasche ziehen. Großa tige, überdies sprachlich geschliff ne Idee! Das würde mit Sicherh auch klappen – wenn es nicht Stö feuer seitens der Gräfin Terzky u seitens Max Piccolomin­i geben wü de, die linkssozia­l für das Volk u gegen die schwerreic­he Machtspit im Land antreten. Der Plot ist sta im ersten Drittel und im Fina zwischenre­in purzelte manches e was unübersich­tlich durcheinan­d Am Ende aber blieb die herzlich l pidare Frage offen, ob es sich übe haupt lohne, diese Welt zu rette Im Trubel der langen Kunstnac wurde die Auseinande­rsetzung d rüber erst einmal vertagt.

*** Auf dem Weg zur Kresslesmü­h noch einmal schnell bei „Hei baut“auf den vo bei. Julian Bellini hat begonnen, si ben Stangen sind mit Seilen sch aneinander­geknüpft, der Weg zu Himmel ist noch weit.

*** Schafft man es noch rechtzeiti­g

 ??  ?? „Ich wünsche mir eine Reise um die Erde mit meiner ganzen Klasse.“Wünsche von Kindern trug dieser Baum im illumin Besucher Träume, Wünsche und Geschichte­n entdecken konnten.
„Ich wünsche mir eine Reise um die Erde mit meiner ganzen Klasse.“Wünsche von Kindern trug dieser Baum im illumin Besucher Träume, Wünsche und Geschichte­n entdecken konnten.
 ??  ?? Die evangelisc­he Jugend traf sich auf dem Martin Luther Platz, um der Musik zu lauschen.
Die evangelisc­he Jugend traf sich auf dem Martin Luther Platz, um der Musik zu lauschen.
 ??  ?? Ein albanische­r Männerchor verblüffte im Goldenen Saal mit iso polyphonem Gesang.
Ein albanische­r Männerchor verblüffte im Goldenen Saal mit iso polyphonem Gesang.
 ??  ?? Zum großen Freiheitsc­hor fanden sich viele Augsburger auf dem Rathauspla­tz ein.
Zum großen Freiheitsc­hor fanden sich viele Augsburger auf dem Rathauspla­tz ein.
 ??  ?? Mancher nahm sich die Freiheit, auch außerhalb des Pro gramms auf der Straße zu musizieren.
Mancher nahm sich die Freiheit, auch außerhalb des Pro gramms auf der Straße zu musizieren.
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„Wallenstei­ns Lager“im Hoffmannke­ller: Ein junger Soldat lernt schnell, sich zu nehmen, was er begehrt.
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„In Gottes Namen“fand das Wallenstei­n Projekt als Festival des Theaters Augsburg statt.

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