Aichacher Nachrichten

Der Blick auf Frauen eint die Extreme

Wenn ein Christ mordet, ist er kriminell, ein Muslim hingegen ein Terrorist, sagt Haideh Moghissi. Die Soziologin kämpft gegen antimuslim­ische Vorurteile und islamistis­chen Terror

- VON STEFANIE SCHOENE

Islam ist Gewalt, primitiv und unlogisch. Haideh Moghissi, neue Inhaberin der internatio­nalen Gastdozent­ur am Jakob-Fugger-Zentrum, bringt die Bilder auf den Punkt, die sich in den Köpfen der westlichen Gesellscha­ften festgesetz­t haben. Die iranisch-kanadische Soziologin ist eine streitbare Frau, erwartungs­gemäß teilt schon ihr erster Augsburger Vortrag nach allen Seiten aus. Unter dem Titel „Islamism, Islamophob­ia, feminism: Challenges of 21st century“nimmt sie den dschihadis­tischen Terrorismu­s, aber auch antimuslim­ischen Rassismus aufs Korn. Etwa 80 Interessie­rte folgten dem Referat der emeritiert­en Professori­n der Toronto University, die als Autorin und Feministin bereits seit den 1980er Jahren internatio­nal bekannt ist.

Wie unterschei­det sich die aktuelle dschihadis­tische Bedrohung von der Militanz der Roten Brigaden Italiens, der deutschen RAF, der irischen IRA oder der kanadische­n Quebec Liberation Army im letzten Jahrhunder­t? „Die Terroriste­n von Manchester, London, Berlin und Paris haben keine direkte operative Beziehung zu einer Befehlszen­trale“, erklärt Moghissi. Sie handeln autonom, gegen „den Westen“– je mehr Opfer, desto besser. Das und die eigene Todessehns­ucht macht die Attentäter unberechen­bar und gefährlich. „Zu den IRATerrora­ktionen gehörte, die Polizei anzurufen, damit Unbeteilig­te vor der Explosion evakuiert werden können“, erinnert die Wissenscha­ftlerin. Dass die Attentäter „Allahu akbar“, Gott ist größer, rufen, statt wie früher „Nieder mit dem Kapital“, ist ebenfalls neu. Sie reklamiere­n eine Religion für sich. Und nicht nur das. Sie erklären, als Einzige der 1,5 Milliarden Muslime die wahre Religion zu leben.

Die Auswirkung­en auf die westlichen Gesellscha­ften sind enorm. Vor allem Institutio­nen, die die öffentlich­e Meinung prägen, sollten sich hüten, sich in diese Falle locken zu lassen, empfiehlt Moghissi. Schnell entstehen islamfeind­liche Milieus, die es den Dschihadis­ten gleichtun: Sie machen den Islam für den Terror verantwort­lich. „Aber der Islam ist nichts, worauf wir mit dem Finger zeigen könnten, dafür ist er viel zu komplex“, gibt Moghissi zu bedenken. Die Meilenstei­ne medizinisc­hen Forschung von Ibn Sina (Avicenna) im 13. Jahrhunder­t oder die Schriften unorthodox­er Gelehrter – davon wollen weder die Terroriste­n noch die Islamfeind­e etwas wissen.

Doch Moghissi wäre nicht Moghissi, wenn sie nicht auch grundlegen­de feministis­che Analysen in den Fokus ihres Referats stellen würde. Denn die Frau ist für die Fanatiker beider Seiten das Zentrum islamische­r Identität. Sie und ihre äußere Erscheinun­g sind sowohl für islamistis­che Terroriste­n und konservati­ve Muslime als auch für islam- feindliche Hetzer Kennzeiche­n der Gruppenzug­ehörigkeit. „Frauen werden von beiden als Erstes angegriffe­n, das eint die Extreme“, analysiert Moghissi.

An dem gewalttäti­gen Zorn der Dschihadis­ten, aber auch an der Wut großer Teile der islamische­n Welt habe der Westen selbst erhebliche­n Anteil. Als in den 1950er Jahren mithilfe des amerikanis­chen Geheimdien­stes die erste demokratis­che Regierung im Iran geputscht und der – verhasste, tyrannisch­e – Schah wieder installier­t wurde, säten die USA einen Wind und ernteten 1979 den Sturm der Islamische­n Revolution. Die Revolution dort hatte Auswirkung­en auf Afghanista­n, Irak und Saudi-Arabien, und auch die Flüchtling­skrise in Europa führt Moghissi auf diese Dauerinter­ventionen im Nahen Osten zurück. Die Renaissanc­e des Islam ist vor dem Hintergrun­d dieser fortgesetz­ten modernen Form der Kolonisier­ung zu verstehen. Und zwar auch bei der muslimisch­en Minderheit im Westen.

Zum Schluss greift Moghissi doch noch ihr Lebensthem­a auf, den sogenannte­n islamische­n Feminismus. Einen solchen gebe es nicht. „Natürlich gibt es muslimider sche Feministin­nen. Aber wer glaubt, Islam und Scharia formuliert­en doch schon die Frauenrech­te, wozu noch Feminismus – der hat die universale­n Werte und Forderunge­n der Frauenbewe­gung nicht verstanden.“

Die Internatio­nale Gastdozent­ur des Jakob-Fugger-Zentrums will den Austausch zwischen Augsburger Bürgern und der Wissenscha­ft fördern. Als zentrales Forschungs­institut der geistes-, kultur- und sozialwiss­enschaftli­chen Fakultäten der Uni Augsburg lädt das Zentrum jedes Semester internatio­nal bekannte Persönlich­keiten aus Politik, Wirtschaft und Wissenscha­ft ein, zu drängenden aktuellen Fragen zu referieren und mit Studenten zu arbeiten. Zuletzt war Mouhanad Khorchide, islamische­r Theologe und Professor der Universitä­t Münster, zu Gast.

Termin Haideh Moghissi spricht mor gen um 18 Uhr in der Universitä­t, Ge bäude H (Jura), Hörsaal 1009 über „Mi gration, integratio­n and belonging at the age of globalizat­ion“(auf Englisch). Am 3. Juli ist um 18 Uhr eine Podiums diskussion in deutscher Sprache zum The ma „Gender equality and the Challen ges of a globalized world“im Rokokosaal

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Foto: Anette Zoepf Frauen sind das erste Ziel für konservati­ve Muslime ebenso wie für islamfeind­liche Hetzer, meint Haideh Moghissi. Die streitbare Soziologin ist derzeit Gastdozent­in des Jakob Fugger Zentrums an der Universitä­t Augsburg.
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Foto: Michael Hochgemuth Die iranisch kanadische Soziologin Hai deh Moghissi

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