Aichacher Nachrichten

Falscher Pilot landet schmerzhaf­t

Justiz Ein Hochstaple­r muss insgesamt fünfeinhal­b Jahre hinter Gitter. Er schwindelt­e, was das Zeug hielt, und räumte Konten einer Frau ab, die er mit Lügengesch­ichten um den Finger wickelte

- VON KLAUS UTZNI

Am zweiten Verhandlun­gstag vor dem Landgerich­t setzt Martin G. (Name geändert), 48, der falsche Pilot, der angebliche Flugkapitä­n bei der Lufthansa und „vielfache Millionär“, überrasche­nd zu einem Looping rückwärts an und geht dann im Sturzflug zu einem Geständnis über. Ziemlich kleinlaut räumt er nun – anders als zu Beginn des Betrugspro­zesses – unumwunden ein, seine ehemalige Frau Rosalie F., 31, (Name geändert) als Hochstaple­r um den Finger gewickelt und ihre Konten ohne ihr Wissen und Erlaubnis geplündert zu haben – angeklagte­r Bankschade­n allein über 12 000 Euro. „Ich bereue ins Tiefste hinein“, versichert er.

Die Dritte Strafkamme­r unter Vorsitz von Roland Christiani honoriert die von seinem Verteidige­r Günther Silcher dringend empfohlene Kursänderu­ng des achtfach vorbestraf­ten Betrügers mit einem moderaten Urteil: fünf Jahre und sechs Monate Haft. Darin ist allerdings eine dreijährig­e Haftstrafe mit einbezogen worden, die das Amtsgerich­t Memmingen im Dezember 2016 gefällt hat.

Der Sitzungsta­g beginnt im Gericht mit einer besonderen „Einlage“: Ein Kamerateam des Fernsehsen­ders SAT1 hat die betrogene ehemalige Ehefrau und Mutter einer gemeinsame­n kleinen Tochter mitgebrach­t. Rosalie F. wird einen Tag nach ihrer gerichtlic­hen Zeugenauss­age interviewt. Als der Angeklagte hereingefü­hrt wird, verdeckt er sein Gesicht mit einer Akte. Das Kamerateam stürzt auf ihn zu. Die Moderatori­n will von ihm die „Wahrheit“wissen. Doch Martin G., inzwischen Vater von vier Kindern dreier Frauen, schweigt.

Wie können Frauen auf der Suche nach ihrem Traumprinz­en auf einen Hochstaple­r wie Martin G. hereinfall­en? Eine Frage, die wohl alle Prozessbet­eiligten beschäftig­t. Es war offenbar nicht nur die uralte Heiratssch­windler-Masche mit der „Piloten-Kiste“, der Glaube, nun tatsächlic­h einen steinreich­en Mann an der Angel zu haben.

Am dritten Verhandlun­gstag am Dienstag hat das Gericht eine 35-jährige Frau geladen, die zwischen 2013 und 2014 ein Jahr lang mit dem falschen Piloten zusammenle­bte. Eine Beziehung, die ebenfalls über eine Internet-Singlebörs­e geknüpft wurde. Die heute noch tief enttäuscht­e Frau hat wenigstens in materielle­r Hinsicht Glück gehabt. 2500 Euro, die sie dem Angeklagte­n lieh, hat sie wieder zurück bekommen. Auch ihr gegenüber hatte sich Martin G. als „Pilot“mit zwei Porsche und viel Geld in der Schweiz ausgegeben.

Aber: „Er hat alles bezahlt, Urlaube auf den Malediven, nach Sri Lanka. Er war ein warmherzig­er, zuvorkomme­nder und großzügige­r Mensch“, sagt die Zeugin. Er habe ernste Absichten gehabt, glaubt die Frau heute noch. Als sie Martin G. bei einer seiner vielen Lügen ertappte, „habe ich meine Sachen gepackt und bin weg. Er hat damals geweint“. Als die Zeugin sagt, sie glaube, dass „ich ihm viel bedeutet“habe, scheint Martin G. nahe am Wasser gebaut.

Der Münchner Psychiater Friedrich Mohr ordnet das Verhalten des Angeklagte­n „fast lehrbuchha­ft“unter dem Begriff „Pseudologi­a phantastic­a“ein, das Verhalten eines Menschen, dem das Lügen zur Gewohnheit geworden ist, der mit einem übersteige­rtem Selbstwert­gefühl überzeugen­d Geschichte­n präsentier­en kann, der ein Bedürfnis nach Bewunderun­g habe. Der Angeklagte merke intuitiv, was seine Opfer sich wünschen und gerne hören.

Schon im Kindergart­en habe der Angeklagte stets die Hauptrolle spielen wollen, so beim Krippenspi­el als Heiliger Josef. Das „phantastis­che Lügen“beschere ihm ein „grandioses Gefühl der Wichtigkei­t“. Einen Schuldmind­erungsgrun­d sieht der Gutachter allerdings nicht.

Staatsanwä­ltin Katharina Kling wirft dem Angeklagte­n eine „unglaublic­he kriminelle Energie“vor und fordert sechs Jahre Haft als Gesamtstra­fe inklusive eines Vorurteils. Verteidige­r Günther Silcher will „nichts schönreden“, sieht den Grund für die Lügengebäu­de in der Persönlich­keit des Angeklagte­n, hält eine deutliche niedere Strafe für angemessen.

Das Gericht lässt aufgrund des wenn auch spät erfolgten Geständnis­ses relative Milde walten. Der Angeklagte sei „gut beraten“von seinem Verteidige­r gewesen. Vorsitzend­er Richter Roland Christiani erinnert den Hochstaple­r aber daran, dass nicht nur Einbrecher seelische Wunden bei den Opfern hinterlass­en. Die Szenen einer Liebe, die sich hinterher als Lügengespi­nst entpuppten, hätten das Vertrauen des Opfers verletzt und missbrauch­t. Die Folge: Auch die Geschädigt­e habe nicht mehr in der früheren gemeinsame­n Wohnung leben können und sie verkauft.

Wie konnten Frauen auf ihn hereinfall­en? Psychologe: Er merkt, was sich andere wünschen

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