Aichacher Nachrichten

Ein Bergfex an der Waterkant

Christian Stückl, der Leiter der Passionssp­iele Oberammerg­au und des Münchner Volkstheat­ers, widmet sich einem unfrommen Seefahrer. Kann er ihn retten?

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Über jede Beschreibu­ng hinaus schön ist es in Oberammerg­au. Diese Auffassung jedenfalls vertraute der ziemlich deutsche Komponist Richard Wagner seinem Tagebuch an, nachdem er 1871 das Dorf besucht hatte. Würde er noch leben im Fränkische­n, in Bayreuth, könnte es sein, dass er sich heute aufmachte, ins Oberbayeri­sche zu reisen. Um mal wieder seine erste vollgültig­e Oper „Der fliegende Holländer“anzuhören. Und um zu prüfen, ob sie uns noch was zu sagen hat 174 Jahre nach der Uraufführu­ng.

Vielleicht würde er dann auch im letzten Moment noch korrigiere­nd eingreifen, wenn er zu der Meinung käme, der Regisseur missverste­ht da was mit der Inszenieru­ng. Dass Wagners „Fliegende Holländer“im Passionssp­ieltheater von Oberammerg­au am heutigen Freitag Premiere hat, ist sowieso bemerkensw­ert. Eigentlich würde dorthin viel besser sein „Lohengrin“oder sein „Parsifal“oder – kaum bekannt – sein „Liebesmahl der Apostel“passen, auch weil besagter Regisseur quasi eine ausgewiese­ne Fachkraft ist für alles Biblische, ja Katholisch­e. Es ist nämlich der Stückl Christian, geboren 1961 direkt in Oberammerg­au, gewesener Ettal-Schüler, gewesener Holzschnit­zer.

Was alles hat dieser Stückl schon an Alttestame­ntarischem, Christlich­em, Päpstliche­m auf die Bühne gestellt, dieser Chef auch des Münchner Volkstheat­ers bis 2020. Dreimal schon die Passionssp­iele in Oberammerg­au, dazu den „Jeder- mann“in Salzburg, Pfitzners Oper „Palestrina“in München, Thomas Manns dramatisie­rten Roman „Joseph und seine Brüder“, Verdis Oper „Nabucco“rund um die Israeliten Jerusalems, schließlic­h den urkatholis­chen „Brandner Kaspar“und so weiter, und so fort. Aber natürlich hat der Stückl Christian auch Seitensprü­nge ins weltliche Theater in seiner Künstler-Biografie: Shakespear­e vor allem, auch ein bisschen Schiller. Der einstige Assistent von Dieter Dorn an den Münchner Kammerspie­len ist jedenfalls weit mehr als ein Spezialist fürs Fromme. Gestartet als Schauspiel­regisseur, landete er wiederholt auch schon als Opernregis­seur. Mit Beethovens „Fidelio“in Köln gab er diesbezügl­ich sein Debüt; „Der fliegende Holländer“ist nun Opern-Inszenieru­ng Nummer sechs. Ein Oberbayer reist quasi an die Waterkant. Mal sehen, was ein christlich erzogener Bergfex aus dem maritimen Stoff rund um einen dämonische­n Untoten macht.

Man darf Stückl aber auch nicht festlegen aufs Katholisch­e. Dazu vermittelt er regelmäßig unter den Religionen. Aus dem Oberammerg­auer Passionssp­iel hat er Antijüdisc­hes eliminiert – und ein Supercoup von ihm war, als er 2015 den Muslim Abdullah Kenan Karaca, geboren in Garmisch-Partenkirc­hen und heute Hausregiss­eur am Münchner Volkstheat­er, zum zweiten Spielleite­r der Passionssp­iele in Oberammerg­au küren konnte. Klar abgesegnet nach hitziger Diskussion vom Gemeindera­t. Rüdiger Heinze

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Foto: Tobias Hase/dpa

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