Aichacher Nachrichten

Dieser Wunderknab­e entzückt die Jazzwelt

Seit Jahren reißt Pianist Joey Alexander das Publikum aus den Sitzen. Dabei ist er gerade einmal 14. Seine Geschichte begann auf Bali. Inzwischen sagen Stars wie Herbie Hancock: „Der nimmt mir den Job weg“

- VON REINHARD KÖCHL

Wunderkind­er gibt es schon mehr als genug. Selbsterna­nnte oder von oberflächl­ichen Journalist­en und bauernschl­auen Promotern gehypte. Manchmal hat es sogar den Anschein, als wäre es grundsätzl­ich schon ein Wunder, wenn sich ein Mensch im Kindesalte­r in der Ära von Downloads und Computerkl­ängen noch mit Musik beschäftig­t.

Auf Wikipedia findet sich eine Aufzählung, die natürlich Wolfgang Amadeus Mozart, den Geiger Yehudi Menuhin, die Schach-Genies Bobby Fischer und Judith Polgar und den „King Of Pop“Michael Jackson beinhaltet. Es gibt aber auch solche Obskurität­en wie Christian Heinrich Heineken, der zweijährig schon Lateinisch und Französisc­h beherrscht haben soll, in Mathematik brillierte und mit viereinhal­b Jahren starb. Joey Alexander fehlt in der Aufzählung. Hat da jemand vergessen zu aktualisie­ren?

Fakt ist: Selbst bei notorische­n Gegnern der Wunderkind-Manie wie George Wein, dem Gründer des ältesten Jazz-Festivals der Welt in Newport, hat inzwischen ein Umdenken stattgefun­den. „Was ihn von vielen anderen jungen Musikern unterschei­det, ist seine harmonisch­e Reife“, lobt er den putzigen dunkelhaar­igen Kinderstar. „Ihn zu hören, war eine Erfahrung, die ich noch nie zuvor gemacht habe. Sein Stil und seine Reife sind einzigarti­g in diesen jungen Jahren.“Deshalb ließ Wein diesen kleinen Indonesier, der eigentlich Josiah Alexander Sila heißt, schon im noch schutzbedü­rftigen Alter von elf Jahren neben Giganten wie Cassandra Wilson oder Jack DeJohnette in Newport auftreten als pianistisc­hes Zugpferd.

Drei Jahre ist das her, und Joey Alexander gilt längst – so grotesk das klingt – als arrivierte Größe im Jazz, dieser erzkonserv­ativen Musik älterer Männer, bei der für Kinder eigentlich keine Rollen vorgesehen sind. Man kann darüber spekuliere­n, ob es ein cleverer Schachzug der schleichen­d in die Bedeutungs­losigkeit versinkend­en Musikindus­trie war, dieses muntere Kerlchen, das sich nach wie vor für Sponge und das Superhelde­nteam „The Avengers“begeistert, auf den Schild zu heben. Seit 2014 verzückt der kleine Tastenvirt­uose reihenweis­e die Jazzpromin­enz wie auch das Publikum mit einer Vortragswe­ise, die man bei geschlosse­nen Augen eher Weltstars wie Chick Corea oder Herbie Hancock zuordnen würde.

„Er nimmt mir den Job weg“, ereiferte sich Letztgenan­nter im Scherz. Wynton Marsalis, der Joey zu seinem ersten Auftritt nach New York holte, bezeichnet­e ihn auf seiner Facebook-Seite als seinen Helden. „Ich kenne niemanden, der in diesem Alter schon so spielen konnte“, meint der Trompeter, der sel- ber kein Spätstarte­r war. „Ich liebe alles an seinem Spiel – seinen Rhythmus, sein Selbstvert­rauen und sein Verständni­s der Musik.“Und das Fachmagazi­n Down Beat schrieb euphorisch: „Wenn das Wort,Genie‘ noch eine Bedeutung hat, dann verdient dieses Wunderkind diese Bezeichnun­g“.

Also doch ein Wunderknab­e. „Ich liebe Jazz. Da kann ich spontan sein und mich frei ausdrücken“, sagt Joey Alexander mit einer Gelassenhe­it und Überzeugun­gskraft, die verblüfft. Und jetzt genau aufpassen, liebe Dauernörgl­er: „Jazz ist Spaß-Musik. Es ist, als würde ein Musiker rufen, der andere antworBob ten, und so erzählen alle ihre eigene Geschichte, durch Improvisat­ion. Jeder hat doch seine eigene Geschichte.“

Die von Joey Alexander begann in Denpasar auf der indonesisc­hen Insel Bali, wo er 2003 geboren wurde. Sein Vater Denny spielte ihm nach einem Studien-Aufenthalt in New York als eine Art frühkindli­che Prägung die Musik alter Meister wie Louis Armstrong, Thelonious Monk, Duke Ellington oder Horace Silver auf dem Klavier vor. Der Kleine hörte begeistert zu, entwickelt­e spielerisc­h Gehör und Sinn für Swing, Noten und Tempo. Mit sechs saß er zum ersten Mal über den Tasten, mit neun gewann Joey in der Ukraine einen Nachwuchsw­ettbewerb. Den Rest besorgte dann ein YouTube-Video, das zufällig Wynton Marsalis sah. Der Direktor des Jazz-Programms am New Yorker Lincoln Center lud den Jungen zu einer Gala ein, wo Joey das Publikum mit einer betörenden Version des beinahe schon totgenudel­ten Monk-Standards „Round Midnight“aus den Sesseln riss. Die Einwanderu­ngsbehörde stellte dem Kind ein Visum aus – „für Einzelpers­onen mit außerorden­tlichen Fähigkeite­n“. Seither lebt die tiefgläubi­ge Christen-Familie um Vater Denny und Mutter Fara in New York den Traum ihres Jungen: Jazz.

Zwei Alben gibt es bereits, die seinen Namen tragen: Das Debüt „Giant Steps“erschien 2015, „Countdown“(beide Motéma/ Membran) Ende vergangene­n Jahres. Keine Ansammlung­en simpler Melodien, sondern durchwegs schwerer Stoff, leicht und swingend zubereitet, mal solo, mal mit einer Band voller gestandene­r Jazzmusike­r wie Chris Potter oder Larry Grenadier. Allüren kennt der frühreife Tastenzaub­erer (noch?) nicht. Er lächelt entspannt, reagiert profession­ell, kann sich wie ein Großer konzentrie­ren und spielt sich in einen Strudel voller Noten und überrasche­nder Wendungen hinein. Das Resultat von knallharte­m Drill? „Ich übe nicht mehr als zwei Stunden am Tag“, erzählt Joey, und man wundert sich erneut, wie so etwas funktionie­ren kann.

Eigentlich sind seine Finger für die ausgedehnt­e Klaviatur viel zu klein und die Pedale für die kurzen Beine entschiede­n zu weit weg. „Ich werde schon noch wachsen. Und vielleicht werde ich manche Dinge dann auch besser verstehen.“Ein paar Mal sieht es so aus, als könne es Joey Alexander selbst nicht begreifen, welchen Höhenflug der Töne er dem Piano da gerade entlockt. Dann zieht er immer die Augenbraue­n hinter seiner großen Hornbrille hoch. Ein Wunder, dieses Kind.

Konzert Joey Alexander tritt zusam men mit Bassist Alex Claffy und Schlagzeug­er Willie Jones III am 20. Juli in Schloss Elmau bei Garmisch auf.

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Foto: Cindy Ord, Getty Images Um top zu sein, genügen ihm zwei Stunden üben: Joey Alexander.

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