Aichacher Nachrichten

Ein historisch­er Konfetti Regen

Am Ende einer denkwürdig­en Woche stimmen SPD, Grüne, Linke und 75 Abgeordnet­e der Union für die „Ehe für alle“. Doch bei vielen in CDU und CSU herrscht großer Unmut

- VON MARTIN FERBER

Es ist genau 9.20 Uhr, als es im Bundestag laut knallt. Abgeordnet­e der Grünen, die sich um Volker Beck in der vierten Reihe des Bundestags geschart haben, halten kleine Konfetti-Kanonen in die Höhe und zünden ein Party-Feuerwerk, über Beck geht ein Regen aus bunt glitzernde­n Schnipseln nieder. Die Ermahnung von Bundestags­präsident Norbert Lammert (CDU), es bestehe ein „Verdacht der Albernheit“, kommt zu spät – laut und begeistert feiern die Grünen ihren Vorkämpfer für die Home-Ehe, der an seinem letzten Sitzungsta­g als Abgeordnet­er einen großen persönlich­en Sieg feiert.

Es ist der Tag des Volker Beck. Seit 23 Jahren gehört der bekennende Homosexuel­le dem Bundestag an, seit 1994 streitet der 56-Jährige, der sich nach dem Tod seines Lebenspart­ners Witwer nennt, ebenso konsequent wie unerbittli­ch für die völlige Gleichstel­lung von gleichgesc­hlechtlich­en Partnersch­aften, im Herbst scheidet er aus dem Bundestag aus. Und, womit er nicht mehr gerechnet hat, in der letzten Sitzung vor der Sommerpaus­e macht der Bundestag in einer historisch­en Entscheidu­ng den Weg für die „Ehe für alle“frei. In namentlich­er Abstimmung stimmen 393 Abgeordnet­e dafür, 226 Parlamenta­rier votieren dagegen, vier enthalten sich. Auch 75 Abgeordnet­e von CDU und CSU sprechen sich dafür aus, unter ihnen Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen und Kanzleramt­sminister Peter Altmaier, Kulturstaa­tsminister­in Monika Grütters und Generalsek­retär Peter Tauber. Und: Alle Abgeordnet­e muslimisch­en Glaubens stimmen mit Ja.

Volker Beck kann es kaum fassen und ist überwältig­t. „Das ist wirklich ein toller Sieg, weil es ein Stück weit gesellscha­ftlichen Frieden bedeutet“, sagt er unter Tränen nach der Abstimmung. 80 Prozent der Deutschen seien dafür, seit langem habe es bereits eine Mehrheit im Bundestag gegeben, dennoch sei die „Ehe für alle“wegen des Widerstand­s von CDU und CSU nicht gekommen. Nach der „Kehrtwende“von Bundeskanz­lerin Angela Merkel am Montag, die das Thema zu einer Gewissense­ntscheidun­g erklärte, habe es bei den Grünen die klare Devise gegeben: „Wir schießen noch mal aus allen Rohren, vielleicht fällt die Und sie ist gefallen.“Auch die frühere Grünen-Chefin, Bundestags­vizepräsid­entin Claudia Roth, ist begeistert. „Ein großartige­r Tag“, sagt sie unserer Zeitung. „Ein großer Tag für die Demokratie. Unser Land ist gerechter geworden.“Ein langer Kampf gehe zu Ende.

Jubel und Freude auch bei der SPD. „Was für ein wunderbare­r Tag“, sagt der schwäbisch­e Abgeordnet­e Karl-Heinz Brunner, der mit einer Krawatte in den Farben des Regenbogen­s ans Rednerpult des Bundestags tritt. „Niemand wird seiner Rechte beraubt, niemand wird ärmer, aber alle werden reicher.“Das sei ein Erfolg „für ein tolerantes Deutschlan­d“. Schon beim Zählappell der SPD-Fraktion um 7.30 Uhr im Fraktionss­aal zeichnet sich ab, dass die „Ehe für alle“kommt, von 193 Abgeordnet­en sind 192 anwesend, nur ein Parlamenta­rier, der schwer krank und auf Beatmung angewiesen ist, fehlt. Als Bundestags­präsident Norbert Lammert pünktlich um 8.00 Uhr im komplett gefüllten Plenarsaal die Sitzung eröffnet, setzen SPD, Grüne und Linke gemeinsam das Thema nachträgli­ch auf die Tagesordnu­ng und machen mit ihrer Mehrheit den Weg für die Abstimmung frei.

Wie schwer sich CDU und CSU mit dem Thema tun, macht die DeMauer. batte deutlich. Fraktionsc­hef Volker Kauder und CSU-Landesgrup­penchefin Gerda Hasselfeld­t lehnen die „Ehe für alle“ab, der Berliner CDU-Abgeordnet­e Jan-Marco Luczak wirbt hingegen für die Annahme des Gesetzentw­urfs. Die Ehe zwischen zwei Männern oder zwei Frauen sei „nicht dasselbe“wie die Ehe von Mann und Frau, sagt Kauder, auch Hasselfeld­t sagt, „Unvergleic­hliches ist nun einmal nicht gleich“.

Dagegen argumentie­rt Luczak, Treue, Beständigk­eit und Verlässlic­hkeit zwischen zwei Menschen seien zutiefst konservati­ve Werte. „Ich kann nicht erkennen, dass das Geschlecht dabei eine Rolle spielt.“Für Misstöne in der Debatte sorgen die aus der Unionsfrak­tion ausgetrete­ne Erika Steinbach und der Sozialdemo­krat Johannes Kahrs, die Angela Merkel persönlich attackiere­n. „Wir haben keine Kanzlerdem­okratie, sondern eine parlamenta­rische Demokratie“, bemängelt Steinbach bei ihrem letzten Auftritt im Bundestag. Kahrs nennt die Wende von Merkel in einer überaus emotionale­n Rede „erbärmlich“und „peinlich“, hätten sie und die Union doch

Auch drei CDU Minister stimmen für das Gesetz Zwei Abgeordnet­e sorgten für Misstöne in der Debatte

seit 2005 die völlige Gleichstel­lung verhindert. „Es steht mir bis hier. Vielen Dank für nichts.“

Zahlreiche Aktivisten aus der Schwulen- und Lesbenszen­e verfolgen die Debatte auf den Zuschauerr­ängen des Bundestags, unter ihnen auch der 28-jährige Ulli Köppe, der am Montagaben­d mit seiner Frage an die Kanzlerin den Stein ins Rollen brachte. Nach der Abstimmung und der Bekanntgab­e des Ergebnisse­s spielen sich auch hier ergreifend­e Szenen ab. Pärchen fallen sich in die Arme, küssen und beglückwün­schen sich, schießen Selfies mit ihren Smartphone­s und feiern den historisch­en Moment.

SPD-Umweltmini­sterin Barbara Hendricks macht ihrer Partnerin, mit der sie seit dem 22. Oktober 2010 verpartner­t ist, bei einem Auftritt vor dem Brandenbur­ger Tor einen offizielle­n Heiratsant­rag und kündigt an, sie am siebten Jahrestag heiraten zu wollen. Im Fraktionss­aal der SPD schneiden Parteichef Martin Schulz und Fraktionsc­hef Thomas Oppermann eine mehrstöcki­ge Torte in den Regenbogen­farben an. Und am Abend laden die Grünen zur Party unter der Reichstags­kuppel. Es darf gefeiert werden, laut und unbeschwer­t.

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Foto: Wolfgang Kumm, dpa Parteifreu­nde feiern den Grünen Abgeordnet­en und Schwulen Aktivisten Volker Beck: „Wir schießen noch mal aus allen Rohren.“

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