Aichacher Nachrichten

Wie flexibel wollen wir arbeiten?

Zwischen Beruf und Freizeit soll ein Gleichgewi­cht bestehen, das wünschen sich immer mehr Arbeitnehm­er. Deshalb geraten Unternehme­n in ein Spannungsf­eld

- VON CHRISTINA HELLER

Lange Zeit schien in Deutschlan­d alles klar, wenn es um das Thema Arbeitszei­ten ging: Wer viel arbeitete, galt als fleißig und zielstrebi­g. Er genoss Ansehen und hatte gute Karriere-Chancen. Doch dieses Bild gerät zusehends ins Wanken. Der Grund: Die Menschen wollen mehr von ihrer Freizeit genießen. Work-Life-Balance heißt das, also ein Gleichgewi­cht zwischen der Arbeit und restlichem Leben.

An der Hochschule Augsburg hat sich Professori­n Erika Regnet mit diesem Thema befasst. Dazu befragte sie Bachelor- und Master-Absolvente­n. Einmal im Jahr 2013 und dann wieder 2017. Sie wollte wissen, was den jungen Menschen bei der Wahl eines Arbeitgebe­rs am wichtigste­n sei. „2013 landete die WorkLife-Balance noch auf dem sechsten Rang“, sagt die Professori­n für Personalma­nagement. „Vier Jahre später kam sie bei schon auf den dritten Platz – und zwar bei den Männern und den Frauen.“Und noch etwas ergab die Umfrage unter den Hochschula­bsolventen: 2017 liegt die Schmerzgre­nze für die wöchentlic­he Arbeitszei­t deutlich niedriger als bei der ersten Umfrage. Vor vier Jahren sagte noch mehr als jeder Dritte, dass er 45 Stunden und mehr in der Woche arbeiten würde. Heuer waren es nur noch zehn Prozent. Dafür konnte sich nun ein Drittel der Studenten mit einer wöchentlic­hen Arbeitszei­t von höchstens 39 Stunden anfreunden.

Doch es sind nicht nur die Jungen, die weniger arbeiten möchten. Bei Fach- und Führungskr­äften sei die Toleranzgr­enze ebenfalls gesunken, berichtet Regnet. In einer anderen Befragung unter Fach- und Führungskr­äften fand sie heraus, dass nur noch jeder Zehnte mit einer Arbeitszei­t von mehr als 50 Wochenstun­den einverstan­den war. „Die Arbeitgebe­r geraten also von zwei Seiten unter Druck. Von Berufsanfä­ngern und von Führungskr­äften“, fasst Regnet zusammen.

Die Gewerkscha­ften haben das Thema erkannt und es zu ihrem gemacht. So kündigte etwa die IGMetall an, die Arbeitszei­ten zum bestimmend­en Thema ihrer Tarifpolit­ik machen. „Die Beschäftig­ten wollen Arbeitszei­ten, die zu ihrem Leben passen“, sagte IG-MetallChef Jörg Hofmann und fordert etwa selbst gewählte freie Tage oder die Möglichkei­t, die Wochenarbe­itszeit flexibel senken oder erhöhen zu können. Denn formell gelte zwar die 35-Stunden-Woche, aber nur in der Theorie, so die Gewerk- schafter. So ergab der Mikrozensu­s, dass Beschäftig­te im Schnitt 41,7 Stunden die Woche arbeiten. Die IG-Metall hat in einer Befragung unter ihren Mitglieder­n herausgefu­nden, dass aber 68 Prozent gerne weniger als 35 Stunden arbeiten würden.

Auch eine Kommission der gewerkscha­ftsnahen Hans-BöcklerSti­ftung beschäftig­te sich unlängst mit dem Thema Arbeitszei­ten. Sie gab diese Woche die Forderung heraus, dass Arbeitszei­ten in Deutschlan­d flexibler werden müssen. Arbeitgebe­r sollten ihre Angestellt­en in regelmäßig­en Abständen nach deren Arbeitszei­twünschen fragen und auf dieser Grundlage ein Modell entwickeln, hieß es im Abschlussb­ericht der Kommission.

Das Verrückte ist: Gewerkscha­ften und Arbeitgebe­r fordern das Gleiche. Fragt man bei Unternehme­n nach, wie die Arbeitszei­ten in Zukunft aussehen sollen, sagen sie auch, dass sie sich mehr Flexibilit­ät wünschen. Allerdings definieren sie diese eher aus Kundensich­t. Sie wollen ihre Mitarbeite­r so einsetzen, dass sie Aufträge erfüllen können, wenn diese da sind. Herrscht Flaute, sollen sie weniger arbeiten. Peter Lintner von der Industrie- und Handelskam­mer Schwaben sagt, dass viele Kunden heute erwarten, dass Firmen und Händler rund um die Uhr erreichbar seien. „Man kann online jederzeit alles bestellen und das Bedürfnis wächst, dass die Waren dann auch möglichst schnell da sind“, fügt er an. Um das sicherzust­ellen, müssten die Mitarbeite­r dann einsatzber­eit sein, wenn die Nachfrage groß ist. Doch nicht nur Kunden haben höhe Ansprüche – auch die Weltmärkte seien heutzutage sehr sensibel. „Man kennt ja solche Nachrichte­n, dass ein Zulieferer Probleme hat und schon gibt es ganze Produkte nicht mehr. Darauf müssen auch produziere­nde Betriebe achten“, sagt er.

Obwohl also Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er sich mehr Flexibilit­ät wünschen, wird die Suche nach Arbeitszei­tmodellen in Zukunft wohl nicht so leicht. „Für die Firmen ist es eine schwierige Gratwander­ung zwischen den Anforderun­gen der Kunden an die Verfügbark­eit und den Arbeitszei­twünschen der Mitarbeite­r. Denn beide Seiten müssen am Ende zufrieden sein, damit das Geschäft funktionie­rt“, sagt Professori­n Regnet. Und ergänzt: „Aber aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass die meisten Unternehme­n hinsichtli­ch der Arbeitszei­ten gute Lösungen mit ihren Mitarbeite­rn finden.“

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Foto: Armin Weigel, dpa Arbeiten nach der Stechuhr? In manchen Betrieben ist das noch Alltag. Aber die Wünsche nach flexiblen Arbeitszei­ten werden immer lauter.
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