Und was bleibt im Alltag?
Erst der Kirchentag der evangelischen Christen, dann das Jubiläum der Synagoge. Die Religionen haben das öffentliche Leben in der Stadt zuletzt geprägt. Das wirkt nach, wenn man es zulässt
An einem gewöhnlichen Tag spielen Religion und Glaube im öffentlichen Leben der Stadt kaum eine Rolle. Man hetzt zur Arbeit, verpasst den Bus oder ärgert sich über den Autofahrer vor einem. An Kirchen und Gotteshäusern kommt man vorbei. Doch wer geht hinein, wenn schon am Sonntag die Bänke leer sind? Und wer ist in Gedanken drin?
Am vergangenen Samstag (und Sonntag) war das anders. Die evangelische Kirche war im öffentlichen Leben in der Innenstadt sehr präsent. Mit einem „Fest der Freiheit“zeigten die evangelischen Christen allen, wer sie sind, wofür sie stehen und woran sie glauben. Es war ein Bekenntnis – knapp 500 Jahre nach dem „Augsburger Bekenntnis“. Natürlich standen Gott und Glaube im Zentrum, doch es ging auch um Gemeinschaft. Das Fest und der Kirchentag danach erinnerten an die Bedeutung der Religionen in Augsburg. Sie prägten die Geschichte der Stadt durch, um nur zwei Schlagworte zu nennen, Reformation und Religionsfrieden. Kirchliche Einrichtungen – evangelisch und katholisch – sind soziale Stützen der Stadt, die Gemeinden sind Orte des Stadtlebens. Im Alltag schaut man darüber schnell mal hinweg. Doch die vergangene Woche war anders, das bewies auch der Mittwoch.
Die Feier zum 100-jährigen Bestehen der Synagoge rückte die jüdische Gemeinde in den Mittelpunkt. Das ist mit Schmerz und Scham verbunden, denn zur Freude darüber, dass das Gotteshaus den Vernichtungswahn der Nationalsozialisten überstand, gehört das Entsetzen darüber, welche Gräuel Juden angetan wurden. Und zur Freude darüber, dass es wieder jüdisches Leben in der Stadt gibt, gehört auch das Entsetzen, dass sich jüdische Gemeinden auch heute noch schützen müssen. Ein öffentliches Fest wie das der Protestanten lässt sich so leider nicht feiern. Dort fiel jedoch ein Satz, der die beiden religiösen Momente dieser Woche verbindet.
Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm sagte: „Wir werden uns nie damit abfinden, dass Men- schen deswegen verfolgt oder sogar umgebracht werden, weil sie einfach nur ihrem Gewissen folgen und ihren Glauben leben wollen.“Das hat zwei Seiten: Religion darf kein Grund sein für Attacken oder Kriege. Das Christentum hat diese Zeiten hinter sich, radikale Gruppen im Islam missbrauchen die Religion allerdings dazu.
Religion darf aber auch nicht der Grund sein, dass man Ziel von Angriffen wird. Antisemitismus darf keinen Raum haben – nicht unter Deutschen und nicht unter Zuwanderern. Auf der anderen Seite muss es möglich sein, seinen muslimischen Glauben – wir sprechen nicht von Extremen – hier zu leben. Um diese friedliche Vielfalt zu erreichen ist es kein Hindernis, in seinem eigenen Glauben verwurzelt zu sein. Im Gegenteil. Wer seinen eigenen Fixpunkt im Leben hat, tut sich leichter im Umgang mit Menschen, die anders leben und auch glauben.
Natürlich kann man auch ohne den Glauben an Gott ein guter und glücklicher Mensch sein. Doch diese Freiheit hat auch ihren Preis. Wer frei ist, kann auch Angst bekommen – wie ein Schwimmer, der aufs freie Meer schwimmt und in unsichere Gewässer gerät. Und wer von Traditionen und „Leitkultur“spricht, meint damit auch religiöse Werte, Bräuche und Historie. Sie können Sicherheit bieten in einer Welt, die an manchen Tagen aus den Fugen zu geraten scheint. Eine religiöse Heimat kann helfen. Man sagt dann schnell: Ja, aber die Kirche ... Stimmt. Als Protestant und Katholik kann man sich an vielem stören und reiben. Doch eines haben Kirchentag und „Fest der Freiheit“auch gezeigt: Am Ende sind es die Menschen, die die Kirche lebendig machen. Jeden Tag.
Am Ende gestalten die Menschen die Kirchen