Helfen statt gaffen und Videos drehen
Um Zivilcourage dreht sich ein Workshop des Kreisjugendamtes. Aichacher Realschüler üben richtiges Verhalten
Ein kräftiges „Stopp, keinen Schritt weiter“schleudert Lisa ihrem Angreifer entgegen und verdeutlicht das mit einer entsprechenden Geste. Lisa ist eine von rund 170 Neuntklässlern der Wittelsbacher Realschule Aichach, die im Aichacher Kino einen Projekttag zum Thema Zivilcourage hatten. Das Kreisjugendamt veranstaltet den Tag mit der Kriminalpolizei Augsburg und dem Cineplex.
Der Einstieg von Klaus Kratzer in das Thema ist emotional: „Ich bekomme langsam einen Vogel, was Ihr mit dem Handy alles anstellt.“Kratzer ist bei der Kripo Augsburg für Präventionsarbeit zuständig und erlebt mit, was Jugendliche über Kurznachrichtendienste wie WhatsApp verbreiten. Eindringlich weist Kratzer die Schüler darauf hin, dass das kein Spaß sei. „Wer peinliche Bilder, gewalthaltige Videos oder Pornos verschickt, riskiert ein Strafverfahren wegen Verbreitung von Gewalt und Pornografie.“
Und: Nicht jeder Betroffene findet es lustig, beleidigt oder lächerlich gemacht zu werden. Der Hauptkommissar zu den Neuntklässlern: „Ich kenne Jugendliche in Eurem Alter, die halten das nicht mehr aus.“Zivilcourage ist für Kratzer schon, sich nicht daran zu beteiligen, wenn jemand im Klassenchat fertiggemacht wird.
Zivilcourage bedeute, Mut zu zeigen, erklärt der Polizeibeamte. „Wir wollen nicht, dass Ihr den Helden spielt.“Es gehe darum, vernünftig zu helfen. Was also, wenn man etwa Zeuge einer gewalttätigen Auseinandersetzung wird? „Als Al- lererstes die Polizei rufen und sich Verbündete suchen“, sagt Kratzer. Wie das aussehen kann, führt er vor. Als imaginärer Angreifer pöbelt er Luis an. Klassenkamerad Daniel soll andere Schüler durch konkretes Ansprechen als Verbündete gewinnen, um Luis zu helfen. Die Schüler giggeln zwar, merken aber auch, dass es gar nicht so einfach ist, in einer solchen Situation richtig zu handeln.
Weiter geht es mit der persönlichen Intimsphäre. „Gruselig“empfindet Lisa es, als Klaus Kratzer ihre Bitte einfach ignoriert und ihr zu dicht auf die Pelle rückt. Dass Lisa dabei lacht, hat nichts mit Vergnügen zu tun. Der Beamte erklärt den Schülern: „Sie hat gelacht, weil sie hilflos war.“Umso energischer setzt die Sielenbacherin den Rat Kratzers um, wie sie sich vor einer solchen Situation schützen kann. Mit ausgestrecktem Arm und einem lauten „Stopp, keinen Schritt weiter“hält sie sich Kratzer auf Abstand.
Eine knappe halbe Stunde dauert der Workshop des Kripobeamten. Sein Ziel: Den Schülern zu zeigen, wie sie nicht selbst zum Opfer werden und schon im Kleinen Zivilcourage zeigen können. Kratzers Appell an die Neuntklässler: „Wenn jeder nur noch auf sich selber schaut, können wir langsam einpacken.“
In diese Richtung gehen auch die Worte von Manfred Losinger. Der stellvertretende Landrat ist ehemaliger Polizeibeamter. Zivilcourage sei einer der wichtigsten Pfeiler der Demokratie, sagt Losinger. „Man kann mit kleinen Mitteln einwirken, dass nichts passiert.“Losingers Appell: „Nicht bloß gaffen und Videos machen, sondern helfen.“Dem stimmt Erich Weberstetter zu, Lei- ter der Polizei Aichach. „Nicht tatenlos herumstehen, sondern helfen. Das ist auch mit einfachen Mitteln möglich.“Gleichgültigkeit und Respektlosigkeit würden sich immer mehr breitmachen, sagt er. Gerade dann sei Zivilcourage wichtig.
Um das Thema Zivilcourage geht es auch in dem gleichnamigen Film mit Götz George, den die Schüler im Anschluss an den Workshop sehen. Darin geht es um den Besitzer eines kleinen Antiquariats, der mit einer Gang und seinem Gewissen in Konflikt gerät. Im Film findet er eine Lösung, um sich nicht von der Gewalt unterkriegen zu lassen.