Aichacher Nachrichten

Wie konnte das passieren?

G20 Vom Gipfel bleiben verstörend­e Bilder und die Frage, warum linke Extremiste­n stundenlan­g nicht gestoppt wurden. Auch politisch gab es am Ende noch Ärger

- VON MICHAEL STIFTER UND ANDREAS FREI

Am Ende muss Olaf Scholz zugeben, dass er komplett danebengel­egen hatte. „Wir richten ja auch jährlich den Hafengebur­tstag aus. Es wird Leute geben, die sich am 9. Juli wundern werden, dass der Gipfel schon vorbei ist“, hatte Hamburgs Erster Bürgermeis­ter vor dem G20-Treffen gesagt, um die Sorgen der Anwohner vor Ausschreit­ungen zu zerstreuen. Als er dann gestern, an jenem 9. Juli, vor die Kameras tritt, zieht der SPDPolitik­er eine Bilanz des Schreckens. „Das ist nicht so gelungen, wie wir uns das vorgestell­t haben.“Die Stadt steht unter Schock.

Tagelang war ein linksradik­aler Mob durch Hamburg gezogen. Trotz eines riesigen Aufgebots verlor die Polizei immer wieder die Kontrolle über die Situation. Zurück bleiben verwüstete Straßenzüg­e und Szenen, die an einen Bürgerkrie­g erinnern. Und es bleibt die Frage, ob die Verantwort­lichen die Gefahr unterschät­zt hatten.

Auch Frank-Walter Steinmeier ist der Schock gestern noch anzusehen. „Was ich an Bildern gesehen habe, schockiert, erschütter­t mich, macht mich fassungslo­s“, sagt der Bundespräs­ident. Ein solches Ausmaß an Gewalt bei Demonstrat­ionen habe man in den letzten Jahren in Deutschlan­d nicht erlebt. Gemeinsam mit Scholz besucht er schwer verletzte Polizisten im Krankenhau­s, spricht mit Anwohnern, deren Häuser, Autos oder Läden zerstört wurden. Der Bürgermeis­ter dankt, wie zuvor die Kanzlerin, der Polizei, die „alles richtig gemacht“habe, für ihren „heldenhaft­en Einsatz“.

Auf Anfrage unserer Zeitung sagte ein Sprecher des bayerische­n Innenminis­teriums, dass auch 1500 Polizisten aus Bayern in Hamburg im Einsatz waren. 78 von ihnen wurden – Stand Sonntag morgen – bei den Straßensch­lachten verletzt, drei davon so schwer, dass sie dienstunfä­hig sind. Viele fragen sich nach den Exzessen, warum dieser Gipfel überhaupt hier bei ihnen hatte stattfinde­n müssen. Nicht nur der politische Gegner im Hamburger Rathaus fordert nun sogar den Rücktritt des eigentlich populären Scholz. Fakt ist: Angela Merkel hatte sich ihre Geburtssta­dt Hamburg als Austragung­sort gewünscht.

Dass die Randalier teilweise stundenlan­g nicht von der Polizei gestoppt werden konnten, hat viele Bürger schockiert. Trotzdem stellt Bundesinne­nminister Thomas de Maizière klar: Bei einem solchen „Ausmaß an völlig enthemmter Gewalt“könne „trotz aller Konsequenz und auch bei bester Vorbereitu­ng nicht jede Ausschreit­ung sofort unterbunde­n werden“.

Doch die G20-Bilanz fällt noch aus einem zweiten Grund ernüchtern­d aus: Denn auch politisch wurde unter dem Strich nur ein Minimum erreicht. In Sachen Klimaschut­z brüskierte Donald Trump seine Kollegen. Und auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan fühlt sich nach dem Gipfel plötzlich nicht mehr daran gebunden, was die mächtigste­n Politiker der Welt abgesproch­en hatten.

»Kommentar

Wie Donald Trump in der Klimafrage unverhofft doch noch einen Mitstreite­r fand »Leitartike­l Rudi Wais über einen Staat, der seine Bürger offenbar nicht mehr schützen kann »Porträt Der Mann, der den Einsatz der Polizei leitete: Hartmut Dudde »Die Dritte Seite Bernhard Junginger über die Chaostage »Politik Was der Gipfel politisch gebracht hat und wie Hamburgs Bürgermeis­ter Scholz in Not kam

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Foto: Tim Wagner, Imago Eine brennende Barrikade am Eingang zum Schulterbl­att, der zentralen Straße im Hamburger Schanzenvi­ertel, wo es während der Gipfeltage zu massiven Ausschreit­ungen und Plünderung­en gekommen war.

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