Aichacher Nachrichten

Wenn der Staat seine Bürger nicht mehr schützen kann

Leitartike­l Hat die Polizei die Situation unterschät­zt? War Hamburg der falsche Ort? Was die Krawalle rund um den G20-Gipfel mit der Kölner Silvestern­acht verbindet

- VON RUDI WAIS rwa@augsburger allgemeine.de

Machen wir uns nichts vor: Die Eskalation der Gewalt war geplant – und gewollt. Linke Randaliere­r wie die Horde von Autonomen, die eine Schneise der Verwüstung durch Hamburg geschlagen hat, arbeiten nicht anders als die Polizei auch: Sie bereiten sich gut vor, sie vernetzen sich, holen sich Unterstütz­ung aus anderen Bundesländ­ern und dem Ausland und haben für den Fall der Fälle stets einen Plan B in petto. Wird eine Demonstrat­ion gestoppt oder aufgelöst, beginnen die Krawalle ein paar Straßen weiter aufs Neue. Noch brutaler. Noch aggressive­r. Noch enthemmter. Die Konfrontat­ion mit der Staatsmach­t ist Teil dieses grotesken Spiels. Sie garantiert den Extremiste­n eine Aufmerksam­keit, die sie andernfall­s nie hätten.

Ob die Hamburger Polizei zu zögerlich vorgegange­n ist, ob ihr Einsatzkon­zept nicht aufgegange­n ist oder ob sie die Situation schlicht und einfach unterschät­zt hat, wird sich vermutlich erst mit einigen Tagen Abstand beantworte­n lassen. Die Bilder von brennenden Barrikaden, von abgefackel­ten Autos und geplündert­en Supermärkt­en aber sind in der Welt, sie dominieren die Berichters­tattung über diesen Gipfel und zeigen ein Deutschlan­d, das man so bis dahin nicht kannte. Oder soll man sagen: Bis vor eineinhalb Jahren nicht? Wie schon in der Kölner Silvestern­acht hat ein marodieren­der Mob den Staat erneut in einem verwundbar­en Moment vorgeführt. Nur mit großer Mühe ist es der Polizei in Hamburg gelungen, dessen Gewaltmono­pol am Ende doch noch durchzuset­zen.

Ja, schlimmer noch: Teilweise wird sie sogar für die Eskalation verantwort­lich gemacht, als sei der Schwarze Block ein Teil der Friedensbe­wegung und jeder Polizeibea­mte ein potenziell­er Aggressor. So werden Täter zu Opfern stilisiert und auch die vielen Demonstran­ten diskrediti­ert, die friedlich gegen die Politik der G20 protestier­t haben. Sie treibt eine ernste Sorge um die Welt an, bei den Autonomen ist es blinde Zerstörung­swut. Gezielt suchen sie den Konflikt mit dem verhassten Staat – und bekommen ihn auch. So war die Sicherheit­sgarantie, die Hamburgs Bürgermeis­ter der Stadt gegeben hat, das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt wurde. „Seien Sie beruhigt“, hatte Olaf Scholz in einem Interview gesagt: Ein Satz, der ihn noch lange verfolgen wird.

Mag sein, dass es ein strategisc­her Fehler war, den Gipfel nach Hamburg zu vergeben, wo die linke Szene besonders auf Krawall gebürstet ist. Das Treffen der sieben großen Industrien­ationen im abgelegene­n Bergschlos­s Elmau vor zwei Jahren war im Vergleich dazu einfach zu sichern – eine Großstadt ist in dieser Hinsicht eine ungleich größere Herausford­erung. Auf der anderen Seite zeigt München bei der ähnlich prominent besetzten Sicherheit­skonferenz jedes Jahr neu, dass es auch anders geht: Unspektaku­lär, ruhig, friedlich. In Hamburg dagegen ist ein Damm gebrochen, der nie hätte brechen dürfen.

Deutschlan­d hat nicht nur mit rechter und islamistis­cher Gewalt ein Problem, sondern auch mit der von links. Mehr als 19000 Polizisten haben nicht ausgereich­t, um eine randaliere­nde Rotte rechtzeiti­g zu stoppen – und selbst wenn die Kanzlerin den Opfern nun finanziell­e Hilfe verspricht, war es doch die Pflicht von Bund und Land, nicht nur den Gipfel selbst zu schützen, sondern auch die Stadt, die ihn ausrichtet. Die Ladenbesit­zer zum Beispiel, deren Auslagen zertrümmer­t oder deren Geschäfte geplündert wurden. Oder die Anwohner, deren Autos angezündet wurden. Mag sein, dass der Vergleich hinkt – aber wie die Frauen in der Kölner Silvestern­acht waren auch diese Menschen der Situation ohnmächtig ausgeliefe­rt. Ein Armutszeug­nis für einen Rechtsstaa­t.

Ein Satz wird Olaf Scholz noch lange verfolgen

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