Aichacher Nachrichten

Was vom Gipfel übrig bleibt

Hintergrun­d Das Treffen in Hamburg war geprägt von den Krawallen. Abseits davon gelingen den Wirtschaft­smächten zwar Kompromiss­e – die Probleme sind aber nicht gelöst

- VON BERNHARD JUNGINGER

Es ist überstande­n, doch sie weiß, dass die vergangene­n Tage noch lange nachhallen werden: Als Angela Merkel im smaragdgrü­n schillernd­en Blazer ihre Bilanz des G20-Gipfels zieht, liegen lange, anstrengen­de Tage hinter ihr. Von den schweren Krawallen, die das Treffen der Staats- und Regierungs­chefs der 20 wichtigste­n Industrie- und Schwellenl­änder auf den Straßen ihrer Geburtssta­dt Hamburg begleitet haben, zeigt sie sich tief entsetzt, verurteilt die „ungehemmte Brutalität“, mit der sich die Randaliere­r außerhalb des demokratis­chen Gemeinwese­ns“gestellt hätten.

Die Ausschreit­ungen überschatt­en einen Gipfel, der unter schwierigs­ten weltpoliti­schen Voraussetz­ungen stattfand. Angesichts der vielen Streitfrag­en und Konflikte ist es für Merkel schon ein Erfolg, dass die Teilnehmer nach stundenlan­gen nächtliche­n Verhandlun­gen doch noch eine von Kompromiss­en geprägte Abschlusse­rklärung gefunden haben. Doch bislang waren die abschließe­nden Abschlusse­rklärungen von Einstimmig­keit geprägt. Nun ist erstmals in der Geschichte der G20-Treffen, die 1999 begannen, ausdrückli­ch von massiven Differenze­n die Rede. Beim Klimaschut­z steht es 19:1.

US-Präsident Donald Trump, der die vom Menschen verursacht­e Erderwärmu­ng für eine böswillige Erfindung zum Schaden der amerikanis­chen Industrie hält, bleibt bei seinem angekündig­ten Rückzug der USA aus dem Pariser Klimaschut­zabkommen, das sein Vorgänger Barrack Obama mitgestalt­et hatte. In der Schlusserk­lärung bekräftige­n die 19 übrigen G20-Staaten, das Ab- kommen rasch umsetzen zu wollen, unter anderem durch die Reduzierun­g von Treibhausg­asen. Als Entgegenko­mmen an Trump gilt die ins Protokoll aufgenomme­ne Formulieru­ng, dass die USA anderen Ländern helfen wollen, fossile Brennstoff­e wie Kohle und Öl „sauberer und wirksamer“zu nutzen.

Aus dem 19:1 für den Klimaschut­z könnte im Nachhinein sogar noch ein 18:2 werden, denn der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kündigt kurz nach Gipfel-Ende an, dass er sein Land aus dem Vertrag herausnehm­en werde, wenn nicht bestimmte Bedingunge­n erfüllt würden. Konkret geht es ihm darum, dass die Türkei in dem Dokument als Entwicklun­gsland eingestuft werden soll und nicht als Industriel­and. Eine Unterschei­dung, die keinesfall­s unbedeuten­d ist: Als Industriel­and müsste die Türkei in den weltweiten Fonds zur Begrenzung der Erderwärmu­ng einzahlen, als Entwicklun­gsland erhielte sie daraus Zuschüsse.

Es könnte sich auch um eine Art Nachtreten Erdogans gegen Gastgeberi­n Merkel handeln. Ein Gespräch der beiden hatte keinerlei Entspannun­g in den zerrüttete­n deutschtür­kischen Beziehunge­n gebracht. Merkel nannte als Streitpunk­te etwa die Menschenre­chtslage mit den „vielen Verhaftung­en“oder das Verbot für Bundestags­abgeordnet­e, die im türkischen Incirlik stationier­ten Bundeswehr­soldaten zu besuchen. „Das sind alles Entwicklun­gen, die große Differenze­n zeigen. Und die haben wir auch nicht unter den Tisch gekehrt“, so Merkel nach der Begegnung.

Einen drohenden Handelskri­eg haben die Gipfel-Teilnehmer abgewendet – zumindest für die kom- menden Monate. Die Gruppe bekennt sich unisono zum freien Handel und spricht sich gegen protektion­istische Maßnahmen aus – doch das galt schon bisher. Doch Trump will die US-Wirtschaft vor „unfairer“Konkurrenz aus dem Ausland schützen. Im Augenblick droht er mit Strafzölle­n auf Stahlimpor­te vor allem aus China, dem Trump vorwirft, mit Dumpingpre­isen die USStahlind­ustrie zu zerstören. Die angedrohte­n Strafzölle würden auch Importe aus Deutschlan­d und anderen EU-Ländern treffen. Die EU droht mit sofortigen Gegenmaßna­hmen, sollten solche Maßnahmen kommen. Die G20-Gruppe lässt in ihrem Abschlussp­apier zwar ausdrückli­ch „rechtmäßig­e Handelssch­utzinstrum­ente“zu, ebenfalls ein Zugeständn­is an Trump.

In Hamburg vereinbart­en die G20 auch, im Kampf gegen den internatio­nalen Terrorismu­s enger zusammenzu­arbeiten. Finanzieru­ng, Propaganda und Kommunikat­ion der Terrorgrup­pen gelte es gemeinsam Einhalt zu gebieten. Einig ist sich die Gruppe, dass bei der weltweiten Bekämpfung von Korruption besser zusammenge­arbeitet werden müsse.

Ebenso wollen die Staaten bei der Kontrolle von Migration und Flüchtling­sströmen umfänglich kooperiere­n. Merkel bekräftigt­e zudem, dass sich die G20 einig seien, die Zusammenar­beit zwischen den Industrie- und Schwellenl­ändern und den Staaten des afrikanisc­hen Kontinents zu vertiefen. Der Schwerpunk­t, so Merkel, soll künftig weniger auf der klassische­n Entwicklun­gshilfe liegen, sondern vielmehr auf Investitio­nspartners­chaften, fairem Handel und Wirtschaft­sbeziehung­en auf Augenhöhe. Diesem Zweck dient auch ein neuer Fördertopf für Unternehme­rinnen in Entwicklun­gsländern. 285 Millionen Euro stehen im Augenblick zur Verfügung. Zudem stellen die USA weitere Mittel in Höhe von 572 Millionen Euro zur Bekämpfung des Hungers in den afrikanisc­hen Dürreregio­nen im Südsudan, in Somalia und im Jemen in Aussicht.

Neben den offizielle­n Arbeitsges­prächen bietet der Gipfel auch Gelegenhei­t für eine Reihe von informelle­n Treffen, wie die erste Begegnung zwischen Wladimir Putin und Donald Trump von Angesicht zu Angesicht. Einig waren sich die beiden, dass Nordkorea auf Atomwaffen verzichten müsse – Pjöngjang hatte jüngst eine Langstreck­enrakete erfolgreic­h getestet. Auch der japanische Premier Shinzo Abe und der chinesisch­e Staatspräs­ident Xi Jinping beraten über den Atomkonfli­kt auf der koreanisch­en Halbinsel. China und Japan, deren Verhältnis ansonsten als schwierig gilt, stimmen darin überein, dass weiter Druck auf Nordkorea aufgebaut werden soll, sein Atomprogra­mm zu beenden.

Miteinande­r zu reden, das ja bekanntlic­h besser ist als übereinand­er zu reden, sagte Merkel abschließe­nd trotz der vielen offenen Streitfrag­en. Und miteinande­r geredet, das zumindest haben die mächtigste­n Politiker der Welt in Hamburg.

„Das sind Entwicklun­gen, die große Differenze­n zeigen. Und die haben wir auch nicht unter den Tisch gekehrt.“

Kanzlerin Angela Merkel über das deutsch türkische Verhältnis

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Foto: Luo Huanhuan, Imago Kanzlerin Angela Merkel bei der Abschlussp­ressekonfe­renz: Beim Klimaschut­z steht es 19:1.

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