Was vom Gipfel übrig bleibt
Hintergrund Das Treffen in Hamburg war geprägt von den Krawallen. Abseits davon gelingen den Wirtschaftsmächten zwar Kompromisse – die Probleme sind aber nicht gelöst
Es ist überstanden, doch sie weiß, dass die vergangenen Tage noch lange nachhallen werden: Als Angela Merkel im smaragdgrün schillernden Blazer ihre Bilanz des G20-Gipfels zieht, liegen lange, anstrengende Tage hinter ihr. Von den schweren Krawallen, die das Treffen der Staats- und Regierungschefs der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer auf den Straßen ihrer Geburtsstadt Hamburg begleitet haben, zeigt sie sich tief entsetzt, verurteilt die „ungehemmte Brutalität“, mit der sich die Randalierer außerhalb des demokratischen Gemeinwesens“gestellt hätten.
Die Ausschreitungen überschatten einen Gipfel, der unter schwierigsten weltpolitischen Voraussetzungen stattfand. Angesichts der vielen Streitfragen und Konflikte ist es für Merkel schon ein Erfolg, dass die Teilnehmer nach stundenlangen nächtlichen Verhandlungen doch noch eine von Kompromissen geprägte Abschlusserklärung gefunden haben. Doch bislang waren die abschließenden Abschlusserklärungen von Einstimmigkeit geprägt. Nun ist erstmals in der Geschichte der G20-Treffen, die 1999 begannen, ausdrücklich von massiven Differenzen die Rede. Beim Klimaschutz steht es 19:1.
US-Präsident Donald Trump, der die vom Menschen verursachte Erderwärmung für eine böswillige Erfindung zum Schaden der amerikanischen Industrie hält, bleibt bei seinem angekündigten Rückzug der USA aus dem Pariser Klimaschutzabkommen, das sein Vorgänger Barrack Obama mitgestaltet hatte. In der Schlusserklärung bekräftigen die 19 übrigen G20-Staaten, das Ab- kommen rasch umsetzen zu wollen, unter anderem durch die Reduzierung von Treibhausgasen. Als Entgegenkommen an Trump gilt die ins Protokoll aufgenommene Formulierung, dass die USA anderen Ländern helfen wollen, fossile Brennstoffe wie Kohle und Öl „sauberer und wirksamer“zu nutzen.
Aus dem 19:1 für den Klimaschutz könnte im Nachhinein sogar noch ein 18:2 werden, denn der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kündigt kurz nach Gipfel-Ende an, dass er sein Land aus dem Vertrag herausnehmen werde, wenn nicht bestimmte Bedingungen erfüllt würden. Konkret geht es ihm darum, dass die Türkei in dem Dokument als Entwicklungsland eingestuft werden soll und nicht als Industrieland. Eine Unterscheidung, die keinesfalls unbedeutend ist: Als Industrieland müsste die Türkei in den weltweiten Fonds zur Begrenzung der Erderwärmung einzahlen, als Entwicklungsland erhielte sie daraus Zuschüsse.
Es könnte sich auch um eine Art Nachtreten Erdogans gegen Gastgeberin Merkel handeln. Ein Gespräch der beiden hatte keinerlei Entspannung in den zerrütteten deutschtürkischen Beziehungen gebracht. Merkel nannte als Streitpunkte etwa die Menschenrechtslage mit den „vielen Verhaftungen“oder das Verbot für Bundestagsabgeordnete, die im türkischen Incirlik stationierten Bundeswehrsoldaten zu besuchen. „Das sind alles Entwicklungen, die große Differenzen zeigen. Und die haben wir auch nicht unter den Tisch gekehrt“, so Merkel nach der Begegnung.
Einen drohenden Handelskrieg haben die Gipfel-Teilnehmer abgewendet – zumindest für die kom- menden Monate. Die Gruppe bekennt sich unisono zum freien Handel und spricht sich gegen protektionistische Maßnahmen aus – doch das galt schon bisher. Doch Trump will die US-Wirtschaft vor „unfairer“Konkurrenz aus dem Ausland schützen. Im Augenblick droht er mit Strafzöllen auf Stahlimporte vor allem aus China, dem Trump vorwirft, mit Dumpingpreisen die USStahlindustrie zu zerstören. Die angedrohten Strafzölle würden auch Importe aus Deutschland und anderen EU-Ländern treffen. Die EU droht mit sofortigen Gegenmaßnahmen, sollten solche Maßnahmen kommen. Die G20-Gruppe lässt in ihrem Abschlusspapier zwar ausdrücklich „rechtmäßige Handelsschutzinstrumente“zu, ebenfalls ein Zugeständnis an Trump.
In Hamburg vereinbarten die G20 auch, im Kampf gegen den internationalen Terrorismus enger zusammenzuarbeiten. Finanzierung, Propaganda und Kommunikation der Terrorgruppen gelte es gemeinsam Einhalt zu gebieten. Einig ist sich die Gruppe, dass bei der weltweiten Bekämpfung von Korruption besser zusammengearbeitet werden müsse.
Ebenso wollen die Staaten bei der Kontrolle von Migration und Flüchtlingsströmen umfänglich kooperieren. Merkel bekräftigte zudem, dass sich die G20 einig seien, die Zusammenarbeit zwischen den Industrie- und Schwellenländern und den Staaten des afrikanischen Kontinents zu vertiefen. Der Schwerpunkt, so Merkel, soll künftig weniger auf der klassischen Entwicklungshilfe liegen, sondern vielmehr auf Investitionspartnerschaften, fairem Handel und Wirtschaftsbeziehungen auf Augenhöhe. Diesem Zweck dient auch ein neuer Fördertopf für Unternehmerinnen in Entwicklungsländern. 285 Millionen Euro stehen im Augenblick zur Verfügung. Zudem stellen die USA weitere Mittel in Höhe von 572 Millionen Euro zur Bekämpfung des Hungers in den afrikanischen Dürreregionen im Südsudan, in Somalia und im Jemen in Aussicht.
Neben den offiziellen Arbeitsgesprächen bietet der Gipfel auch Gelegenheit für eine Reihe von informellen Treffen, wie die erste Begegnung zwischen Wladimir Putin und Donald Trump von Angesicht zu Angesicht. Einig waren sich die beiden, dass Nordkorea auf Atomwaffen verzichten müsse – Pjöngjang hatte jüngst eine Langstreckenrakete erfolgreich getestet. Auch der japanische Premier Shinzo Abe und der chinesische Staatspräsident Xi Jinping beraten über den Atomkonflikt auf der koreanischen Halbinsel. China und Japan, deren Verhältnis ansonsten als schwierig gilt, stimmen darin überein, dass weiter Druck auf Nordkorea aufgebaut werden soll, sein Atomprogramm zu beenden.
Miteinander zu reden, das ja bekanntlich besser ist als übereinander zu reden, sagte Merkel abschließend trotz der vielen offenen Streitfragen. Und miteinander geredet, das zumindest haben die mächtigsten Politiker der Welt in Hamburg.
„Das sind Entwicklungen, die große Differenzen zeigen. Und die haben wir auch nicht unter den Tisch gekehrt.“
Kanzlerin Angela Merkel über das deutsch türkische Verhältnis