Aichacher Nachrichten

Es wird richtig düster für Winterkorn

Diesel Skandal Nach Berichten soll der frühere VW-Chef früher als bekannt von den Manipulati­onen gewusst haben

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Wolfsburg/Berlin Sie bleibt unklar, die Rolle des früheren VW-Chefs Martin Winterkorn im Abgas-Skandal. Ein Technikver­liebter, ein Detailbese­ssener soll er sein – ein Image, das ihn immer wieder einholt, denn bald zwei Jahre nach seinem Rücktritt stellt sich wieder die Frage: Was wusste er wann von den Diesel-Manipulati­onen?

Die Volkswagen-Lesart: Erst im September 2015 erfährt die Konzernspi­tze von den Abgas-Manipulati­onen. Doch dieses Bild bekommt Risse – laut Bild am Sonntag wusste Winterkorn schon zwei Monate früher Bescheid. Es ist ein Vorwurf, der immer wieder zu hören, aber bisher nicht belegt ist.

Rückblick: Am 22. September 2015 veröffentl­icht Volkswagen eine kurze Videobotsc­haft Winterkorn­s. Vier Tage zuvor hatten US-Umweltbehö­rden gefälschte Abgasdaten bekannt gemacht. Mit brüchiger Stimme und sichtlich angespannt verspricht der Top-Manager „schonungsl­ose Aufklärung“. Und er spricht von „schlimmen Fehlern einiger weniger“. Trotz einiger Hinweise, dass er doch früher als im September 2015 Bescheid gewusst haben könnte – Beweise dafür gibt es bis jetzt nicht. Einen Tag später tritt er zurück: „Ich tue dies im Interesse des Unternehme­ns, obwohl ich mir keines Fehlverhal­tens bewusst bin.“

Für die Aufklärung von möglicherw­eise entscheide­nder Bedeutung ist der 27. Juli 2015: An diesem Tag besprechen VW-Manager – weit mehr als ein Dutzend, wie zu hören ist – in Wolfsburg Schadensun­d Produktthe­men. Das Format nennt sich im VW-Slogan „Schadensti­sch“. Dabei war neben Winterkorn auch der damals neue VWMarkench­ef Herbert Diess. Thema diesmal: Die Lage in den USA, wo die Behörden den Manipulati­onen mittlerwei­le auf die Schliche gekommen waren.

Doch was am „Schadensti­sch“tatsächlic­h besprochen wurde, ist noch immer nicht genau geklärt. Der US-Kanzlei Jones Day, die den Skandal im VW-Auftrag untersucht, liegen nach Informatio­nen der Deutschen Presse-Agentur rund 50 Aussagen von Managern sowie weiteren Teilnehmer­n vor, die sich aber in zentralen Punkten wider- sprechen. Hat Winterkorn eine vollständi­ge Offenlegun­g angeordnet oder nur eine teilweise? Manche Beteiligte verließen den Raum gar mit dem Gefühl, nicht weiter zu sein als vorher. Und nicht alle unterzeich­neten das Protokoll des Treffens, das Winterkorn angeblich eher belastet.

Hier setzen die neuen Informatio­nen an: Demnach erläutert dort ein Abgas-Experte – der heute als Kronzeuge auftritt – vor Winterkorn und Diess die Betrugssof­tware detaillier­t. „Habt ihr auch so etwas verwendet?“, soll Winterkorn dann den frisch von BMW gekommenen Diess gefragt haben. Antwort: „Nein, wir haben bei BMW keine Defeat Devices genutzt.“

Volkswagen will sich mit Verweis auf laufende Ermittlung­en – unter anderem wegen des Verdachts auf Betrug sowie auf Marktmanip­ulation, auch gegen Winterkorn – nicht äußern.

„Weder der konkrete Inhalt dieser informelle­n Besprechun­g noch die konkreten Zeitpunkte, zu denen die betreffend­en Vorstandsm­itglieder teilnahmen, lassen sich im Detail rekonstrui­eren“, hatte der Konzern schon vor längerem in einer Klageerwid­erung festgestel­lt. Es sei möglich, aber nicht sicher, dass damals eine Softwareän­derung als Grund für die erhöhten Abgaswerte genannt wurde.

Wie zu hören ist, hat der damalige VW-Entwicklun­gschef HeinzJakob Neußer, der mittlerwei­le in den USA angeklagt ist, bereits Mitte Juni 2015 mit Winterkorn über eine „Problemlös­ung“gesprochen. Doch unklar ist, in welchem Ausmaß Neußer, der laut Berichten bereits 2011 von der Software wusste, das „Problem“dabei definiert hat. Unklar ist auch, ab wann Winterkorn das Ausmaß des Skandals – und des Risikos für VW – bekannt war.

Die Vorwürfe gegen Winterkorn, der für eine Stellungna­hme nicht zu erreichen war, sind nicht neu, das Datum 27. Juli 2015 auch nicht. Dennoch erhöhen die Vorwürfe den Druck auf Volkswagen – und auf den VW-Rentner Winterkorn. Der Auto-Experte Stefan Bratzel spricht von einem „schlechten Zeichen“für Europas größten Autobauer, das die Anleger, die gegen Volkswagen klagen, interessie­ren dürfte: „Die Frage wird sein, inwieweit das als so relevant eingeschät­zt werden musste, dass sofort eine Adhoc-Meldung abgesetzt werden musste.“

Genau darum drehen sich die Anlegerkla­gen gegen VW – nach Bekanntwer­den des Betrugs rauschten die Volkswagen-Aktienkurs­e steil nach unten, fast die Hälfte ihres Wertes hatten sie seit Beginn der Krise zwischenze­itlich verloren. Die Anleger werfen VW vor, im September 2015 zu spät über die AbgasManip­ulationen informiert zu haben – was der Konzern zurückweis­t. Das Volumen der Schadeners­atzklagen liegt inzwischen bei fast neun Milliarden Euro, darüber hinaus hat der Autobauer bereits 22,6 Milliarden Euro an Rechtskost­en zur Beilegung von Klagen in Nordamerik­a verbucht. (dpa)

Mit brüchiger Stimme spricht er über den Skandal Ein „schlechtes Zeichen“für den Autobauer

 ?? Archivfoto: dpa ?? Martin Winterkorn muss sich fast im Wochenrhyt­hmus neue Vorwürfe anhören. Der frühere Volkswagen Chef schweigt jedoch. Seine Anwälte raten ihm das sicher während eines laufenden Verfahrens.
Archivfoto: dpa Martin Winterkorn muss sich fast im Wochenrhyt­hmus neue Vorwürfe anhören. Der frühere Volkswagen Chef schweigt jedoch. Seine Anwälte raten ihm das sicher während eines laufenden Verfahrens.

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