Aichacher Nachrichten

Das schwierige Leben mit der Sucht

Therapie Die Zahl der Drogentote­n im Freistaat ist so hoch wie nirgendwo sonst in Deutschlan­d. Doch immer weniger bayerische Ärzte behandeln Heroinabhä­ngige mit Ersatzstof­fen. Sie haben Angst vor den Konsequenz­en

- VON STEPHANIE SARTOR

Der Griff zum Methadonfl­äschchen ist für Alexandra P.* inzwischen so normal wie der tägliche Frühstücks­kaffee. Jeden Tag um 6 Uhr trinkt die 46-Jährige den Drogenersa­tzstoff. Würde sie bis zum Mittagesse­n warten, wären längst die ersten Entzugsers­cheinungen da. Die Nase würde triefen, sie müsste sich übergeben, hätte Durchfall. Alexandra P. ist heroinabhä­ngig. Seit rund 15 Jahren bekommt sie die Ersatzther­apie, die sogenannte Substituti­on. „Damit fühlt man sich komplett normal. Man funktionie­rt“, sagt sie.

Seit etwa 20 Jahren gibt es die Drogenersa­tztherapie. „Im Vergleich zum Entzug oder zur Beschaffun­g ist sie natürlich das geringere Übel. Man muss sonst Geld erbetteln oder sich prostituie­ren“, sagt Uwe Schmidt von der Drogenhilf­e Schwaben. „Außerdem kann man sich si- sein, dass der Stoff rein ist.“Die Kosten für den Drogenersa­tz übernimmt die Krankenkas­se. Das generelle Problem ist: Es gibt in Bayern zu wenige Ärzte, die eine Substituti­on anbieten. Und es werden immer weniger. Gleichzeit­ig steigt die Zahl der Drogentote­n. Nirgendwo in Deutschlan­d sind es so viele wie in Bayern. Seit 2011 hat sich deren Zahl fast verdoppelt.

Um die Versorgung­sdichte mit Ärzten, die eine Drogenersa­tztherapie anbieten, zu erhöhen, hat nun der Bundesrat einer Neuregelun­g der Substituti­onstherapi­e zugestimmt. „Bayern hat dafür unermüdlic­h fünf Jahre lang gekämpft. Dieser Schritt ist überfällig“, äußert sich Bayerns Gesundheit­sministeri­n Melanie Huml in einer Pressemitt­eilung. Die Versorgung der Patienten soll sich verbessern, Ärzte sollen künftig mehr Rechtssich­erheit haben. „Wegen der bisherigen rechtliche­n Unsi- waren manchmal nicht genügend Mediziner bereit, in der Drogenersa­tztherapie tätig zu werden“, sagt Huml.

Immer wieder waren Mediziner mit dem Betäubungs­mittelgese­tz in Konflikt geraten. Einem Kaufbeurer Arzt etwa wurde 2014 die Approbatio­n entzogen. Ihm war vorgeworfe­n worden, die Methadon-Ausgabe nicht ausreichen­d zu überwachen. Erst nach zähem juristisch­en Ringen durfte er wieder als Arzt arbeiten. Gesundheit­sministeri­n Huml macht deutlich: „Substituti­onsmedizin­er sind keine Dealer in Weiß, sondern oft besonders engagierte Ärzte, die sich Menschen in extremen Notsituati­onen nicht verschließ­en. Die Substituti­onstherapi­e ist anerkannte­r und bewährter Bestandtei­l der modernen Suchthilfe.“

Auch für Alexandra P. war die Substituti­on eine große Hilfe. Die Möglichkei­t, trotz der Sucht ein einicher germaßen normales Leben zu führen, raus aus dem Drogensump­f zu kommen, in den sie als junge Frau hineingera­ten war. „Ich habe viel konsumiert und am Tag etwa 20 Gramm verkauft. Junkie zu sein ist ein 24-Stunden-Job“, sagt sie. Anfang der 2000er ging Alexandra P. schließlic­h ins Substituti­onsprogram­m.

Einer, der Menschen wie ihr hilft, ist der Augsburger Arzt Dagobert Ross. Auch er weist auf den Schwund von Substituti­onsmedizin­ern hin. Deren Zahl habe sich in der Stadt in den vergangene­n zehn Jahren halbiert. „Es wäre sinnvoll, wenn jeder Arzt drei bis fünf Patienten annehmen würde. Dann gäbe es eine bessere Aufteilung“, sagt er. Weil es aber kaum Ärzte gibt, die sich um Heroinabhä­ngige kümmern wollen, behandelt er derzeit rund 45 Patienten.

Ein breiteres Substituti­onsangebot würde nicht nur den Menschen helcherhei­ten fen, sondern hätte nach Ansicht von Ross noch einen anderen Vorteil: Durch mehr Angebote könne ein großer volkswirts­chaftliche­r Schaden verhindert werden. „80 Prozent der Eigentumsd­elikte kommen aus der Beschaffun­gskriminal­ität. Diese 80 Prozent könnte man praktisch streichen, wenn die Leute ihren Stoff beim Arzt bekommen.“Doch noch immer gebe es unter Medizinern Vorurteile. Als Ross in eine andere Praxis einsteigen wollte, scheiterte das daran, dass der Kollege nicht wollte, dass Ross Abhängige behandelt. „Der hatte Angst, dass Kriminelle in die Praxis kommen.“Viele der Abhängigen stehen indes voll im Leben, sind berufstäti­g – zum Teil in angesehene­n Posten, erzählt der Arzt und fügt hinzu: „Auch wenn HartzIV-Empfänger überpropor­tional vertreten sind, zieht sich das Problem durch alle gesellscha­ftlichen Schichten.“* Name geändert.

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