Das schwierige Leben mit der Sucht
Therapie Die Zahl der Drogentoten im Freistaat ist so hoch wie nirgendwo sonst in Deutschland. Doch immer weniger bayerische Ärzte behandeln Heroinabhängige mit Ersatzstoffen. Sie haben Angst vor den Konsequenzen
Der Griff zum Methadonfläschchen ist für Alexandra P.* inzwischen so normal wie der tägliche Frühstückskaffee. Jeden Tag um 6 Uhr trinkt die 46-Jährige den Drogenersatzstoff. Würde sie bis zum Mittagessen warten, wären längst die ersten Entzugserscheinungen da. Die Nase würde triefen, sie müsste sich übergeben, hätte Durchfall. Alexandra P. ist heroinabhängig. Seit rund 15 Jahren bekommt sie die Ersatztherapie, die sogenannte Substitution. „Damit fühlt man sich komplett normal. Man funktioniert“, sagt sie.
Seit etwa 20 Jahren gibt es die Drogenersatztherapie. „Im Vergleich zum Entzug oder zur Beschaffung ist sie natürlich das geringere Übel. Man muss sonst Geld erbetteln oder sich prostituieren“, sagt Uwe Schmidt von der Drogenhilfe Schwaben. „Außerdem kann man sich si- sein, dass der Stoff rein ist.“Die Kosten für den Drogenersatz übernimmt die Krankenkasse. Das generelle Problem ist: Es gibt in Bayern zu wenige Ärzte, die eine Substitution anbieten. Und es werden immer weniger. Gleichzeitig steigt die Zahl der Drogentoten. Nirgendwo in Deutschland sind es so viele wie in Bayern. Seit 2011 hat sich deren Zahl fast verdoppelt.
Um die Versorgungsdichte mit Ärzten, die eine Drogenersatztherapie anbieten, zu erhöhen, hat nun der Bundesrat einer Neuregelung der Substitutionstherapie zugestimmt. „Bayern hat dafür unermüdlich fünf Jahre lang gekämpft. Dieser Schritt ist überfällig“, äußert sich Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml in einer Pressemitteilung. Die Versorgung der Patienten soll sich verbessern, Ärzte sollen künftig mehr Rechtssicherheit haben. „Wegen der bisherigen rechtlichen Unsi- waren manchmal nicht genügend Mediziner bereit, in der Drogenersatztherapie tätig zu werden“, sagt Huml.
Immer wieder waren Mediziner mit dem Betäubungsmittelgesetz in Konflikt geraten. Einem Kaufbeurer Arzt etwa wurde 2014 die Approbation entzogen. Ihm war vorgeworfen worden, die Methadon-Ausgabe nicht ausreichend zu überwachen. Erst nach zähem juristischen Ringen durfte er wieder als Arzt arbeiten. Gesundheitsministerin Huml macht deutlich: „Substitutionsmediziner sind keine Dealer in Weiß, sondern oft besonders engagierte Ärzte, die sich Menschen in extremen Notsituationen nicht verschließen. Die Substitutionstherapie ist anerkannter und bewährter Bestandteil der modernen Suchthilfe.“
Auch für Alexandra P. war die Substitution eine große Hilfe. Die Möglichkeit, trotz der Sucht ein einicher germaßen normales Leben zu führen, raus aus dem Drogensumpf zu kommen, in den sie als junge Frau hineingeraten war. „Ich habe viel konsumiert und am Tag etwa 20 Gramm verkauft. Junkie zu sein ist ein 24-Stunden-Job“, sagt sie. Anfang der 2000er ging Alexandra P. schließlich ins Substitutionsprogramm.
Einer, der Menschen wie ihr hilft, ist der Augsburger Arzt Dagobert Ross. Auch er weist auf den Schwund von Substitutionsmedizinern hin. Deren Zahl habe sich in der Stadt in den vergangenen zehn Jahren halbiert. „Es wäre sinnvoll, wenn jeder Arzt drei bis fünf Patienten annehmen würde. Dann gäbe es eine bessere Aufteilung“, sagt er. Weil es aber kaum Ärzte gibt, die sich um Heroinabhängige kümmern wollen, behandelt er derzeit rund 45 Patienten.
Ein breiteres Substitutionsangebot würde nicht nur den Menschen helcherheiten fen, sondern hätte nach Ansicht von Ross noch einen anderen Vorteil: Durch mehr Angebote könne ein großer volkswirtschaftlicher Schaden verhindert werden. „80 Prozent der Eigentumsdelikte kommen aus der Beschaffungskriminalität. Diese 80 Prozent könnte man praktisch streichen, wenn die Leute ihren Stoff beim Arzt bekommen.“Doch noch immer gebe es unter Medizinern Vorurteile. Als Ross in eine andere Praxis einsteigen wollte, scheiterte das daran, dass der Kollege nicht wollte, dass Ross Abhängige behandelt. „Der hatte Angst, dass Kriminelle in die Praxis kommen.“Viele der Abhängigen stehen indes voll im Leben, sind berufstätig – zum Teil in angesehenen Posten, erzählt der Arzt und fügt hinzu: „Auch wenn HartzIV-Empfänger überproportional vertreten sind, zieht sich das Problem durch alle gesellschaftlichen Schichten.“* Name geändert.