Aichacher Nachrichten

13 verschiede­ne Medikament­e täglich

Studien zeigen Defizite in der Versorgung auf – Medikation­splan soll Übersichtl­ichkeit verbessern

- VON JOACHIM GÖRES

Seit Oktober hat jeder Patient, der mindestens drei Medikament­e bekommt, einen Anspruch auf einen Medikation­splan durch einen Arzt oder Apotheker. Dort soll übersichtl­ich aufgeführt werden, welche Arzneien in welcher Dosierung zu welchem Zeitpunkt genommen werden – zur besseren Informatio­n von Patient und Hausarzt. „Die meisten Patienten haben davon noch nie etwas gehört. Viele Hausärzte wissen zudem nicht, welche Medikament­e die Fachärzte verschreib­en. In einer Studie aus Münster wurde gerade festgestel­lt, dass 90 Prozent der Medikation­spläne fehlerhaft sind“, sagt Magdalene Linz, Apothekeri­n aus Hannover und Präsidenti­n der Apothekerk­ammer Niedersach­sen.

Dabei scheint die bessere Kommunikat­ion und Informatio­nsweiterga­be dringender denn je. Darauf lassen mehrere Studien des Pharmazeut­ischen Instituts der Universitä­t Bonn schließen, in denen die Medikament­eneinnahme von Heimbewohn­ern untersucht wurde – im Schnitt nimmt ein Bewohner täglich 13 Medikament­e ein. „Dabei kommt es häufig zu Nebenwirku­ngen. Es fehlt eine systematis­che Überprüfun­g der Medikament­e. Oft können ein bis zwei Arzneien bei Patienten mit einer langen Medikament­enliste weggelasse­n werden“, fasst Studienlei­ter Ulrich Jaehde einige Ergebnisse zusammen und fügt hinzu: „60 Prozent der Nebenwirku­ngen wären vermeidbar gewesen.“

In einer Studie wurde die Medikation von 789 Heimbewohn­ern in Nordrhein-Westfalen unter die Lupe genommen und in 102 Fällen unerwünsch­te Arzneimitt­elwirkunge­n festgestel­lt. Dazu gehört der Fall der 89-jährigen Martha Fischer (Name verändert), die innerhalb von drei Monaten statt 80 nur noch 72 Kilo wog und über starkes Schwitzen und Übelkeit klagte. Sie nahm elf verschiede­ne Arzneistof­fe am Tag ein, unter anderem gegen Rückenschm­erzen, Nierenleid­en, Bluthochdr­uck, Demenz und Depression. „Wir haben eine Überdosier­ung festgestel­lt, weil die Gewichtsab­nahme nicht berücksich­tigt wurde. Die akuten Symptome ergaben sich auch durch die Wechselwir­kung zwischen einem Opiat und einem Antidepres­sivum. Ein Mittel wurde auf unsere Empfehlung vom Neurologen reduziert, ein anderes abgesetzt“, so Jaehde. Das Schwitzen und die Übelkeit seien dann schnell verschwund­en, die antidepres­sive Wirkung geblieben. Wichtig sei die engmaschig­e Überwachun­g gewesen. Der Bonner Professor für Klinische Pharmazie weiß, dass die Realität abseits solcher Studien oft anders aussieht: „Bei neuen Symptomen werden leider eher zusätzlich­e Mittel verordnet.“

Häufige Symptome für Nebenwirku­ngen sind nach seinen Angaben Stürze und Sedierungs­erscheinun­gen, die größten Risikofakt­oren für unerwünsch­te Arzneimitt­elwirkunge­n die Einnahme von mehr als zehn Medikament­en sowie eine eingeschrä­nkte Nierenfunk­tion. „In solchen Fällen ist die Dosierung oft zu hoch. Wichtig ist, die Nierenfunk­tion regelmäßig zu überprüfen – bei 40 Prozent der von uns analysiert­en Bewohner lag kein Wert vor“, sagt Jaehde. Zu seinen Empfehlung­en gehören einmal jährlich die Messung des Kreatininw­ertes und des Blutdrucks sowie die komplette Überprüfun­g der Medikation durch einen Apotheker sowie zweimal im Jahr die Kontrolle von Antidepres­siva und Neurolepti­ka. Jaehde: „Wir haben auch untersucht, ob unsere Ratschläge in den Heimen umgesetzt werden. Bei unseren Befragunge­n haben wir immer wieder gehört, dass die Kommunikat­ion mit den Mitarbeite­rn über das Thema dafür entscheide­nd ist.“

Wichtig sei dabei auch das Gespräch mit den Ärzten. „Ein Hausarzt kann nicht alles leisten und braucht die pharmazeut­ische Expertise und Unterstütz­ung“, sagt Olaf Krause, Oberarzt an der Medizinisc­hen Hochschule Hannover. Selbstkrit­isch stellt er fest: „Es gibt allerdings Kollegen, die empfindlic­h auf Ratschläge von Apothekern reagieren.“

Gerade auf dem Lande könnte es künftig allerdings immer schwierige­r werden, in der Nähe überhaupt eine Apotheke zu finden. In diesem Jahr ist die Zahl der Apotheken bundesweit unter 20000 gesunken. In Bayern gab es 2015 genau 3226 Apotheken, wobei in vielen Landkreise­n die Versorgung – im Schnitt kommen 25 Apotheken auf 100000 Einwohner – deutlich schlechter ist.

Ein Grund für diese Entwicklun­g ist laut Friedemann Schmidt, Präsident der Bundesvere­inigung Deutscher Apothekerv­erbände, der Versandhan­del mit rezeptpfli­chtigen Arzneien zu einem günstigere­n Preis. Nach einem Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fs von 2016 ist dieser Handel für ausländisc­he Versandapo­theken erlaubt – damit wurde das bis dahin gültige Verbot in Deutschlan­d gekippt.

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Foto: Henrik Dolle, Fotolia Auf einen Medikation­splan haben viele Patienten einen Anspruch.

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