Aichacher Nachrichten

Wo Millionär neben Sozialhilf­eempfänger sitzt

Die Anonymen Alkoholike­r Aichach feiern ihr 30-jähriges Bestehen. Die Suchtkrank­heit gibt es in allen Gesellscha­ftsschicht­en. Der gemeinsame Kampf verbindet. Für viele sind die AA deshalb mehr als eine Selbsthilf­egruppe

- VON GERLINDE DREXLER

„Ich wäre heute tot, wenn es nicht die Anonymen Alkoholike­r geben würde.“Dieser Satz fällt oft am Samstagnac­hmittag im Aichacher Pfarrzentr­um. Die Aichacher Gruppe der Anonymen Alkoholike­r (AA) feiert dort zusammen mit Freunden aus anderen AA-Gruppen ihr 30-jähriges Bestehen. Betroffene erzählen von ihrem Weg in den Alkohol oder wie es ist, als Angehörige­r mit einem Alkoholike­r zu leben.

Die liebevolle Begrüßung der einzelnen Teilnehmer untereinan­der erinnert an ein Treffen von langjährig­en Freunden. Und irgendwie sind sie das ja auch. Sie alle haben einen langen, beschwerli­chen Weg hinter sich und haben ihn nur mit Unterstütz­ung der AA geschafft. Für sie sind die AA nicht nur eine Selbsthilf­egruppe, sondern eine Gemeinscha­ft.

„Alkoholism­us ist eine seltsame Krankheit“, sagt einer. Gefeit ist dagegen niemand. Weder Bildung, noch das Umfeld oder der familiäre Hintergrun­d schützen vor Alkoholism­us. Ein Teilnehmer über die Treffen der AA: „Bei uns sitzt der Millionär neben dem Sozialhilf­eempfänger und der Professor neben dem Analphabet­en.“

Schon mit fünf Jahren kam Werner das erste Mal mit Alkohol in Kontakt, mit 14 Jahren hatte er seinen ersten Rausch. Auch während seiner Ausbildung habe er es immer mit Menschen zu tun gehabt, die viel getrunken haben, erzählt er. „Während meiner Bundeswehr­zeit war ich stolz, dass ich die Großen unter den Tisch getrunken habe.“Heute weiß er, dass er sich damals eigentlich nur seine Komplexe weggetrunk­en hat. Dass er schon längst ein Alkoholpro­blem hatte, war ihm nicht bewusst gewesen. Werner weiter: „Ich habe meine Arbeitsplä­tze versoffen.“Im Suff hatte er sogar seiner Frau gedroht, sie zu erschießen, weil sie ihm kein Geld für Alkohol geben wollte. Heute, als trockener Alkoholike­r, sagt er: „Ich habe das Leben gewonnen.“

Brigitte war mit einem Alkoholike­r verheirate­t, merkte aber lange nichts davon. Das Ehepaar hatte einen großen Freundeskr­eis und feierte oft. „Mir fiel anfangs gar nicht auf, dass mein Mann mehr trank als andere.“Als ihr das bewusst geworden war, entwickelt­e sie einen Kontrollzw­ang. Die Folge: Ihr Mann begann, heimlich zu trinken. Brigitte erzählt: „Ich dachte, ich schaffe es mit Drohungen, dass er aufhört.“

Stadtpfarr­er und Bürgermeis­ter zollen den Mitglieder­n Respekt

Damit das Umfeld nichts davon merkte, log sie für ihren Mann. Was manchmal zu peinlichen Situatione­n führte, wenn ihr Mann eine andere Geschichte erzählt hatte. Als sie mit ihrem Latein am Ende war, hörte sie von Al-Anon, der Selbsthilf­egruppe für Freunde und Angehörige von Alkoholike­rn.

Dort lernte sie: „Ich habe nicht die Verantwort­ung für meinen Mann und nicht die Macht, ihn vom Alkohol wegzubring­en.“Für sie sei es erleichter­nd gewesen, die Verantwort­ung abzugeben, sagt sie rückblicke­nd.

Aichachs Stadtpfarr­er Herbert Gugler und Bürgermeis­ter Klaus Habermann bringen in ihren Grußworten ihren Respekt für die Standhafti­gkeit der trockenen Alkoholike­r zum Ausdruck. Es sei nicht leicht, einem Vorsatz treu zu bleiben, sagt Gugler. Habermann sagte, gerade Jugendlich­e würden sehr lapidar mit der Krankheit Alkoholism­us umgehen. Der Bürgermeis­ter versichert­e der Aichacher Gruppe, dass die Stadt sie weiterhin gerne unterstütz­e. Den Mitglieder­n sagte er: „Großes Kompliment, dass Sie dieses Fest begehen, Ihre Krankheit öffentlich machen und damit vielleicht auch anderen helfen.“

Die Aichacher Gruppe der AA gründeten vor 30 Jahren vier trockene Alkoholike­r, die bis dahin zu den wöchentlic­hen Treffen nach Augsburg gefahren waren. Das erste „Meeting“, wie die AA die Treffen nennen, in Aichach fand in dem Raum statt, wo die Zusammenkü­nfte noch heute jeden Mittwoch sind: in der ehemaligen Mädchensch­ule in Aichach, Martinstra­ße 9.

Mit einem Stamm von 12 bis 15 Freunden, wie sich die AA untereinan­der nennen, nimmt die Gruppe aktiv am Leben in der Region teil. Sie führen in Schulen und im Krankenhau­s regelmäßig Informatio­nsveransta­ltungen durch und betreuen Insassen der Justizvoll­zugsanstal­t (JVA) Aichach.

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Archivfoto: Vicky Jeanty Gemeinsam dem Alkohol entsagen – die Anonymen Alkoholike­r helfen Suchtkrank­en dabei.

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