Aichacher Nachrichten

Friedberg öffnet seine Kirchen in der Nacht

Christen schlendern durch die Dämmerung der Stadt auf der Suche nach geistliche­n und musikalisc­hen Impulsen zur Reformatio­nszeit. Was es in den Gotteshäus­ern zu sehen, hören und erleben gibt

- VON ELISA MADELEINE GLÖCKNER

Es ist Freitagabe­nd und Dutzende Menschen hasten durch die Innenstadt. Sie machen sich auf den Weg zum Supermarkt, erledigen letzte Besorgunge­n oder suchen nach Gesellscha­ft in Cafés und Bars. Indes zeigt sich in den Kirchen ein anderes Bild: Hier herrschen Stille, Andacht und Entschleun­igung, hier suchen die Menschen nach Gott.

Bereits zum zweiten Mal öffnen St. Jakob, Der Gute Hirte, Herrgottsr­uh und Pallotti ihre Pforten zur langen Nacht der Kirchen. Unter dem Motto „Schaue in den Himmel“nutzen viele Gläubige die Gelegenhei­t und lassen sich von Impulsen zur Reformatio­nszeit inspiriere­n.

„Alle Kirchen haben sich ein Lied zur Reformatio­n ausgesucht“, erklärt Stadtpfarr­er Markus Hau. Durch St. Jakob klingt in dieser Nacht „Geh aus mein Herz und suche Freud“von Paul Gerhardt – „einer der ganz bekannten Lieddichte­r“, so der Pater. Dazu singt der Kirchencho­r.

Für Zuman, der ursprüngli­ch aus Mali kommt, ist es heute die erste Nacht der Kirchen. „Es gefällt mir sehr“, betont er. Für ihn sei es etwas schwierig, alles zu verstehen – interessan­t sei es allemal. Zumans Mutter ist katholisch, sein Vater Muslim. Er selbst sei für alles offen, sagt er und zieht weiter in die Nacht hinaus. „Stimmungsv­oll“, findet auch eine Seniorin die Atmosphäre in der Stadtpfarr­kirche. Sie hat sich in die letzte Reihe des Gotteshaus­es gesetzt, um sich vom Geschehen und dem Gesang berieseln zu lassen. Die Seniorin hat eine besondere Beziehung zu Chören: „Unsere Mutter hat früher in einem gesungen“, erinnert sich die gebürtige Sudetendeu­tsche. Vielleicht stamme daher ihre zu mehrstimmi­gem Gesang. Die ältere Frau lächelt und begibt sich auf den Weg zum evangelisc­hen Gotteshaus.

Und während auf der Orgel in St. Jakob das letzte Stück erklingt, geht es in Der Gute Hirte moderner zu. Mithilfe von Leinwand, Beamer und Internet erklärt Pfarrer Volker Nickel die Bedeutung von „Ein feste Burg ist unser Gott“, das aus der Feder Luthers selbst stammt. In seiner Predigt geht es um den Sitz des Lebens eines Textes: „Wo hinein ist ein bestimmter Text gesungen und gesprochen worden?“, fragt er in die Reihen. Szenen aus einer DDRFilmrei­he machen deutlich: Das Lied ist in einer Zeit entstanden, in der Luther angefochte­n wurde. „Er stand der päpstliche­n Anschauung entgegen. Das konnte nicht gut gehen“, so der Theologe. Das Lied habe er ausgesucht, weil es für die evangelisc­he Kirche wichtig ist. „Luther und seine Anhänger wussten damals nicht, wie es weiter gehen sollte“, erklärt Pfarrer Nickel. Ihre Existenz stand infrage. Aber: Sie blieben standhaft, vertrauten auf Gott.

Die Seniorin aus St. Jakob ist auch wieder da. Sie bewundert Martin Luther: „Ich finde ihn sehr mutig“, sagt sie. Sie ist katholisch getauft, dennoch interessie­rt sie sich für die Vielfalt der Konfession­en. „Ich engagiere mich im Frauenbund.“Dort unternehme man vieles gemeinsam mit den Protestant­en. „Die Basis ist einander ohnehin viel näher, als es die Obrigkeit ist“, denkt sie.

Viele lassen die geistliche­n Worte bei einem Stück Kuchen Revue passieren. Andere begeben sich zum nächsten Gotteshaus. „Der Weg ist das Ziel“, bekräftigt Hans-Jürgen Brams, der gerade Herrgottsr­uh betritt. Der Mittsechzi­ger muss lachen, als er erfährt, dass die WallLiebe fahrtskirc­he im Zeichen des Reformatio­nsliedes „Befiehl du deine Wege“von Paul Gerhardt steht. „Müde und einsam. Müde bis der Verstand schmerzt“, zitiert Brams den Text. „Ein wunderbare­s Lied“, sinniert er.

Einige Hundert Meter weiter finden viele den Weg in die PallottiKi­rche – so auch die Seniorin. Pater Jochen Ruiner begrüßt die Besucher mit einem Impuls aus dem Geiste Pallottis, während Pater Alexander Holzbach das Lied „Wer nur den lieben Gott lässt walten“von Johann Georg Neumann und Johann Sebastian Bach deutet. Die ältere Frau sieht sich um, sieht durch die Reihen, betrachtet die Kirche. Die Seniorin kennt sie auswendig. Wo es ihr heute Nacht am besten gefallen hat? Schwierig, meint sie. „Alle Kirchen waren verschiede­n, jede hat es auf andere Weise getan, schön war es überall.“

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Fotos: Elisa Glöckner Bereits zum zweiten Mal öffneten mehrere Gotteshäus­er in Friedberg ihre Pforten zur langen Nacht der Kirchen.
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Maria Wunder am Flügel (links), Sarah Wunder an der Querflöte und Maria Herbst an der Oboe (rechts) sorgten in der Pallotti Kirche für die musikalisc­he Untermalun­g.
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Pfarrer Volker Nickel brachte die Situation nahe, in der das Lied „Ein feste Burg ist unser Gott“von Martin Luther entstand.
 ??  ?? Marietta Weindl (links) und Kristin Schädel standen vor der Kirche Der Gute Hirte mit Leckereien und Erfrischun­gen bereit.
Marietta Weindl (links) und Kristin Schädel standen vor der Kirche Der Gute Hirte mit Leckereien und Erfrischun­gen bereit.

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