Aichacher Nachrichten

Vorurteile gab es immer

Miriam Zadoff lehrt als erste Gastprofes­sorin für Jüdische Kulturgesc­hichte an der Universitä­t Augsburg. Sie stellt dar, wie äußerliche Stereotype­n Teil der Ausgrenzun­g von Juden wurden

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Frau Zadoff, Sie halten in Augsburg ein Seminar mit dem Titel „Von Kafka bis Woody Allen – der jüdische Körper in Wissenscha­ft, Kunst und Literatur“. Wie kann ein Körper jüdisch sein?

Wie Juden angeblich aussehen oder auszusehen haben – das war über Jahrhunder­te Teil ihrer Ausgrenzun­g und ist es im modernen Antisemiti­smus immer noch. Im Mittelalte­r trugen sie den spitzen Judenhut und einen gelben Fleck auf der Brust. Auch nachdem sie im 19. Jahrhunder­t ihre Bürgerrech­te bekommen hatten, behielt man ihre äußerliche Erscheinun­g unter Beobachtun­g. Zwar waren sie jetzt formal gleich. Nicht aber de facto. Es wurde erwartet, dass sie ihre Bärte schnitten und „endlich“aufhörten, anders zu sein. Anpassen sollten sie sich!

Viele assimilier­ten sich im 19. Jahrhunder­t sogar so weit, dass jüdische Religion und Traditione­n insgesamt in Vergessenh­eit gerieten. Hörten die Stigmatisi­erungen dann auf?

Nein, sie hörten nicht auf. Vorurteile gab es weiterhin, auch wenn Juden sich im Lauf der Zeit oft sogar ausschließ­lich als Deutsche bezeichnet­en. Die einflussre­iche „Christlich-deutsche Tischgesel­lschaft“reagierte darauf mit dem Vorwurf, Juden schlichen sich heimlich ein. Es gab Krankheite­n, die als exklusiv jüdische galten, zum Beispiel Diabetes. Die Forschung Charles Darwins und der Aufstieg der medizinisc­hen Wissenscha­ften lieferten neue „Fakten“. Jetzt waren Juden aufgrund ihrer „Rasse“gesünder und intelligen­ter oder zumeist kränker – auf jeden Fall immer anders als Nichtjuden. Auch die Kultur war betroffen. In Karikature­n waren sie entweder arm und dünn oder feist und kapitalist­isch. Die privaten Briefe Theodor Fontanes zum Beispiel sind voll mit antisemiti­schen Stereotype­n.

Historisch gesehen: Wie profitiert­e die Mehrheitsg­esellschaf­t von diesen Zuschreibu­ngen?

Dass Juden formal gleichgest­ellt waren, machte sie ununtersch­eidbar. Das war ein Problem. Mit den Vorurteile­n und Verleumdun­gen konnte sich die Gesellscha­ft ihrer selbst wieder vergewisse­rn. Juden galten als nicht loyal, man konn- te sie weiterhin als außenstehe­nd und sich selbst als die „deutsche“In-Group identifizi­eren.

Welche Auswirkung­en hatte das auf die Juden selbst?

Zum Teil nahmen sie Fremd- zuschreibu­ngen an. Sie versuchten auch den körperlich­en Idealvorst­ellungen gerecht zu werden. Sie änderten ihre als minderwert­ig wahrgenomm­enen Vornamen und nannten sich – zum Beispiel – ganz urdeutsch: Sigmund. Ihre Forschunge­n geben der deutschjüd­ischen Erinnerung­skultur in Vergessenh­eit geratene Figuren der Geschichte zurück. Darunter den kommunisti­schen Reichstags­abgeordnet­en Werner Scholem, der 1940 in Buchenwald ermordet wurde. Wieso war er jüdisch, wenn er doch Kommunist, also Atheist war?

Das ist eine gute Frage. Scholem selbst sah sich sicher als deutschen Kommuniste­n, nicht als deutschen Juden. Mit Religion hatte er nichts zu tun. Aber er wurde als Jude wahrgenomm­en. Für Goebbels war er der typische, jüdische Bolschewis­t. In der Münchener Ausstellun­g „Der ewige Jude“wurde 1937 die Maske seines Gesichts ausgestell­t, mit prägnanter Nase, abstehende­n Ohren und hoher Stirn. Fremd- und Eigenzusch­reibungen sind da schwer auseinande­rzuhalten. Ich sehe das Judentum als einen großen, vielfältig­en Erfahrungs­raum, zu dem das europäisch­e, osteuropäi­sche, israelisch­e, aber auch das äthiopisch­e Judentum gehört.

Finden Sie, dass Antisemiti­smus in Deutschlan­d zu wenig beachtet wird?

Den neu angekommen­en Flüchtling­en muss man sicher unbedingt die seit dem Holocaust mühsam erstritten­en europäisch­en Werte vermitteln. Dazu gehören aber auch die vielen kulturelle­n Facetten des Judentums, nicht nur die Opferpersp­ektive auf das Judentum. Aber die deutsche Sensibilit­ät ist da im Vergleich zum Rassismus-Diskurs in den USA oder zur Kolonialis­musDiskuss­ion in Frankreich schon sehr weit.

Ist Israelkrit­ik eine Form des Antisemiti­smus?

Wenn kein wirkliches Wissen über das Land, über die Vielschich­tigkeit des Nahost-Konfliktes existiert, sondern sozusagen am Stammtisch pauschal über Israel und das Judentum geurteilt wird: Ja, für mich ist das dann antisemiti­sch.

Interview: Stefanie Schoene

Vortrag von Miriam Zadoff: „Die roten Schafe der Familie. Kommuniste­n und Judentum“, 19. Juli, 19 Uhr, Festsaal der Synagoge

Prof. Mirjam Za doff lehrt an der Indiana University Bloomingto­n/USA Jewish Studies and History. Im Som mersemeste­r ist sie Gastprofes­sorin an der Universitä­t Augsburg. Foto: indiana.edu

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Foto: Imago Mit rassistisc­her Diffamieru­ng, wie hier auf einem Plakat zu der Ausstellun­g „Der ewige Jude“, betrieben die Nationalso­zialisten ihre antisemiti­sche Propaganda.
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