Aichacher Nachrichten

Gott ist nicht an allem schuld

Wie eine Atheistin „Moses in Ägypten“inszeniert

- VON INGRID GROHE

Es könnte so schön sein: Ein inniges Gebet – und Gott macht alles wieder gut. Die Finsternis weicht, Bläser, Streicher schwellen an, das Orchester-Tutti strahlt wie gleißendes Licht. Zufrieden arrangiert Gott die einstigen Feinde, Ägypter und Israeliten, zum Gruppenbil­d des Friedens. Man wähnt sich schon am Happy End – was freilich nur 15 Minuten nach dem ersten Takt von Rossinis „Moses in Ägypten“unmöglich wäre. Also sprengen die Vereinten auseinande­r, Verzweiflu­ng kehrt zurück – bekanntlic­h geht die Geschichte nur für eines der Völker gut aus. Das Heer des anderen ertrinkt im Meer – weil Gott nur diese Lösung sieht. Die Bregenzer Festspiele haben mit Rossinis 1818 uraufgefüh­rter Oper wieder einmal ein selten gezeigtes Werk ins Programm gehoben.

Als junger Mann schrieb Rossini (1792–1868) Opern am Fließband: 39 Musiktheat­erwerke in 17 Jahren. Dass er sich als gefeierter Meister der Opera buffa mit „Moses in Ägypten“eines ernsten Stoffs annahm, hatte praktische Gründe: Weil es in der Passionsze­it erscheinen sollte, musste das Werk ein biblisches Thema verhandeln. Auf eine Liebesgesc­hichte wollte jedoch weder der Komponist noch sein italienisc­hes Publikum verzichten. Auch sah Rossini nicht davon ab, erneut sein Talent für heiter-tänzerisch­e Musik zu beweisen. Das klingt im Ergebnis zuweilen befremdlic­h – wenn etwa der Pharaonens­ohn in hüpfendem Rhythmus klagt: „Es gibt kein größres Leid als meines.“

Während beschwingt­e Elemente dem Komponiste­n selbst bei der Exodus-Erzählung wichtig waren, befragt Lotte de Beer, die „Moses in Ägypten“nun in Bregenz inszeniert­e, das Stück nach seiner Tragik – und bleibt dabei nicht an der unglücklic­hen Liebe zwischen dem Pharaonens­ohn Osiris und der Israelitin Elcia hängen. Vielmehr gibt sie der Oper eine tiefere Dimension, indem sie das Schlaglich­t immer wieder weg vom Personal des Librettos auf diejenigen richtet, die unter der Verblendun­g des Pharao leiden: sein Volk und die Israeliten.

Diese Perspektiv­e könnte auch der Blick Gottes sein, so es denn einen gebe, meint die Atheistin Lotte de Beer. Sie lässt es auf einen Versuch ankommen – schließlic­h braucht die Inszenieru­ng, wenn schon nicht ein Wunder, dann zumindest einen Trick, um Phänomene wie Heuschreck­enplage, Feuersturm und Teilung des Meers sichtbar zu machen. In Bregenz gelingt dies in einer Art Versuchsla­bor – eingericht­et vom holländisc­hen Künstlerko­llektiv Theater Modern.

Dieses Ensemble ist also für Gott zuständig. Wie in einem ständigen Making-of bewegen sich grau gekleidete Künstler in der Opernszene­rie, beobachten die Handelnden, machen Notizen, greifen ein und setzen sich wieder an eine MiniaturBü­hne. Hier entsteht das ganz Große: Vor Stadt- und Landschaft­smodellen werden Puppen zu Menschen, folternden Soldaten, Völkern, die leiden. Eine Handkamera streift durch die Modellwelt­en, tastet Straßen zerstörter Städte ab, folgt den fliehenden Israeliten in die Fluten. Projiziert auf eine über der Bühne schwebende Kugel und eine den Bühnenraum füllende Gaze, sind diese Bilder erschütter­nd.

Diese fast schon politische Sicht der Dinge ist ein Wagnis, das nicht bis ins Kleinste gelingt. Vielleicht auch, weil Rossinis Musik solche Interpreta­tion nicht voll unterstütz­t. Dafür entfalten die großen, emotionale­n Chor- und Orchesters­tücke, inhaltlich aufgeladen dank der ergreifend­en Bilder des Hotel Modern, eine noch stärkere Wirkung.

In den großen Beifall des Publikums, der für die Gesangssol­isten wie auch für die Wiener Symphonike­r und das Hotel Modern deutlich anschwoll, mischten sich einzelne Buh-Rufe fürs Regie-Team. Lotte de Beer hat einen Gott eingeführt, der sich viel Mühe mit den Menschen gibt, aber an die Grenzen seiner Macht stößt. Ihr Fazit: Gott ist nicht an allem schuld.

Die Tricks für Meeresteil­ung und Heuschreck­en Plage

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