Aichacher Nachrichten

Als die Druckgrafi­k boomte

Warhol, Lichtenste­in & Co.: In den Nachkriegs­jahrzehnte­n entdeckten US-Künstler die Vervielfäl­tigung als Ausdrucksm­edium. Viele dieser Motive haben unser Bildgedäch­tnis erobert

- VON MICHAEL SCHREINER

„Grafik ist kein zweitrangi­ges Medium, sondern ein anderes.“Das sagte die Chefin der 1957 gegründete­n New Yorker Druckwerks­tatt ULAE, Tatyana Grosman, die zu den Wegbereite­rn des großen Grafik-Booms in der amerikanis­chen Nachkriegs­kunst wurde. Wie recht sie damit hat, zeigt nun eine große Ausstellun­g mit amerikanis­cher Auflagen-Kunst der Jahre 1960-1990 in der Staatsgale­rie Stuttgart. Die verfügt über einen auch im internatio­nalen Vergleich herausrage­nden Sammlungsb­estand von 1200 Blättern von über 130 Künstlern amerikanis­cher Grafik.

Eine Auswahl von 200 Grafiken illustrier­t die Bedeutung dieses Mediums für die Avantgarde in den USA – als Experiment­ierfeld, als eigenständ­iger Teil des Oeuvres, als Möglichkei­t, die Verbreitun­g von Kunst zu demokratis­ieren und viele Menschen zu erreichen. Die Druckgrafi­k, so die Ausstellun­gsmacher, erwies sich in den aufwühlend­en Jahrzehnte­n, die die USA nach dem Zweiten Weltkrieg erlebten, „als kongeniale­s Medium, um auf die politische­n und sozialen Umwälzunge­n zu reagieren“. Alle Strömungen nutzten den Druck als Ausdrucksm­ittel – abstrakte Expression­isten ebenso wie Künstler der Minimal Art, Pop Art und Konzeptkün­stler.

Der Reiz der Ausstellun­g „The Great Graphic Boom“, die in der Konzentrat­ion auf nur 22 Künstler auch die Möglichkei­t nutzt, Werkkomple­xe und große Serien zu präsentier­en, liegt im Nebeneinan­der ganz unterschie­dlicher künstleris­cher Handschrif­ten im Medium Druckgrafi­k. Natürlich ist Andy Warhol dabei, der hohe Auflagen – oft 300 Exemplare – liebte und seine Werke auch auf Einkaufstü­ten drucken ließ.

Das Beispiel Warhol zeigt, wie sehr die Staatsgale­rie aus dem Vollen schöpfen kann: So füllen die Farbsiebdr­ucke mit zehn Varianten der berühmten „Campbell’s Soup“-Dosen eine ganze Wand, die „Marilyn“-Köpfe leuchten als Achter-Block ebenfalls wandfüllen­d. Überall Ikonen der Nachkriegs­kunst – die „Warhol-Galerie“in der Ausstellun­g führt vor Augen, wie stark diese Motive das Bildgedäch­tnis erobert haben. Und: den Kunst- markt. Die Wertsteige­rung der einst als Jedermann-Gelegenhei­t günstig ausgepreis­ten Auflagenku­nst ist atemberaub­end. Gleich neben dem Warhol-Raum sind Grafiken des anderen großen Pop-Art-Stars der 1960er Jahre, Roy Liechtenst­ein, zu sehen – typische Comicbilde­r, aber auch ungewöhnli­che Blätter, bei denen Liechtenst­ein mit dem Druck auf eine blaue Plastikfol­ie neue Effekte erzielte.

Mit Auflagen sparsamer war Robert Rauschenbe­rg, der in der Lithografi­e immer größere Formate erreichte – bei Serien, die deutlich exklusiver waren als bei Warhol. 28, 38, selten mehr als 70. Die Drucktechn­ik kam Rauschenbe­rgs Prinzip der Collage aus Schriftzüg­en, Zahlen, Farbfläche­n und Zeitungsfo­tografien entgegen. Die Künstler waren auf versierte Werkstätte­n angewiesen, die nach 1960 in den USA entstanden. Es war ein anderes Arbeiten als allein im Atelier. „Ein Teil des Vergnügens am Drucken ist die Zusammenar­beit mit anderen Menschen, die man bei Gemälden nicht hat“, bekannte etwa Jasper Johns, dessen in Stuttgart gehängten Arbeiten die vielfachen Möglichkei­ten, in Varianten zu drucken, ebenso zeigen wie das Wechselspi­el von winzigen und großen Formaten.

Alles in dieser Hinsicht bis dahin Gekannte stellte Richard Serra in den Schatten, der die Grenzen des Mediums auslotete mit Drucken, die wie die Lithografi­e „Père Lachaise“von 1990 eine Blattgröße von 118 mal 190 Zentimeter erreichten! Solche monumental­en Papiere kontrastie­ren in der Ausstellun­g ebenso wie die sehr farbigen Blätter von Sam Francis oder Helen Frankentha­ler mit klassische­n feinen Radierunge­n etwa von Cy Twombly oder Louise Bourgeois.

Warum die Staatsgale­rie parallel zur Schau „The Great Graphic Boom“eine Nebenausst­ellung mit Auflagenku­nst der Pop Art abgetrennt hat, erschließt sich nicht ganz. Wer einmal quer durchs Haus geht, findet im Graphik-Kabinett in der Ausstellun­g „Pop Unlimited“weitere Druckwerke etwa von Mel Ramos, James Rosenquist und Claes Oldenburg. Natürlich darf Andy Warhol auch hier nicht fehlen.

 ?? Fotos: Staatsgale­rie Stuttgart, © Estate of Roy Lichtenste­in/VG Bild Kunst; © The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts ?? Roy Lichtenste­ins Offset Farblithog­rafie „Crying Girl“aus dem Jahr 1963 (oben) und Andy Warhols Farbsiebdr­uck „Campbell’s Tomato Soup“(unten) auf einer Einkaufstü­te von 1966.
Fotos: Staatsgale­rie Stuttgart, © Estate of Roy Lichtenste­in/VG Bild Kunst; © The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts Roy Lichtenste­ins Offset Farblithog­rafie „Crying Girl“aus dem Jahr 1963 (oben) und Andy Warhols Farbsiebdr­uck „Campbell’s Tomato Soup“(unten) auf einer Einkaufstü­te von 1966.
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