Man prügelt sich, man kümmert sich
Der Schriftsteller Philipp Winkler hat einen Roman über Hooligans geschrieben. Trotzdem geht es nicht nur um Gewalt
Erst einmal 45 Minuten Verspätung wegen eines Baums auf den Gleisen. Zumindest die zweite Halbzeit aber wird gespielt. Autor Philipp Winkler tritt auf im Grandhotel Cosmopolis mit Royal-Antwerpen-Trikot, Turnschuhen und über die Knöchel gezogenen schwarzen Puma-Socken. Und auch wenn BR-Moderator Achim Bogdahn gleich verspricht, in Winklers Roman „Hool“gehe es nicht nur um Hooligans und Schlägereien: In der ersten Szene, die Winkler liest, wird ausgiebig geprügelt. Die Reizwörter der ersten Seiten heißen „Blut“und „Fäuste“. Winkler fängt die Sprache der Outlaws ein. Die Verabredung zu Schlägereien an verlassenen Orten heißen „Matches“, ein Schlag ins Gesicht „Backenfutter“, und derjenige, der unter Schmerzen zusammenbricht, „macht den Klappermann“.
Mit „Hool“stand Winkler 2016 auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. Der Autor gehörte zu den Schreibschülern aus Hildesheim. „Hool“ist seine Abschlussarbeit. Mit dem Schreiben angefangen, so sagt er, habe er erst, als er sich für Hildesheim mit Textproben beworben habe. Davor sei da nichts gelaufen, gelesen habe er sowieso nicht. Und dann kam seine Mutter, meinte, ihr Sohn sei doch ein „so kreativer Typ“, und erzählte ihm von der Möglichkeit, man könne kreatives Schreiben studieren. Und weil Winkler dachte, da ließe sich mit geringem Aufwand einem Studium nachgehen, bewarb er sich also in Hildesheim und wurde angenommen. So weit der Gründermythos.
Die Lesung an diesem Abend findet im Rahmen des Friedensfestes statt. Dass man in diesem Kontext darauf kommt, einen Autor mit seinem Buch über Hooligans, die darin zwar keinesfalls eine Glorifizierung, durchaus aber Akzeptanz erfahren, einzuladen, ist weniger abwegig, als es zunächst erscheint. Denn in „Hool“geht es vor allem um Freundschaft, Familie und den Zusammenhalt nicht trotz, sondern gerade wegen prekärer Umstände, in denen die handelnden Figuren aufwachsen. So liest Winkler dann auch vor, wie der Ich-Erzähler Heiko sich rührend um den Geier kümmert, den sein Kumpel in der Wohnung aufzieht, oder wie es war, früher, als Heiko zum ersten Mal mit seinem Vater zum Familienverein Hannover 96 ins Stadion gegangen ist.
Winkler gibt den lapidaren Tonfall des Buches größtenteils in einem Rhythmus wieder, der dem Text eine Musikalität zugesteht, die dieser nicht immer in sich trägt. Dafür erahnt der Zuhörer bereits in kurzen vorgetragenen Abschnitten eine Milieu-Beschreibung, die über eine reine Studie hinausgeht. Da ist der Vergleich mit Clemens Meyers „Als wir träumten“nicht fern. Auch der Autor räumt ein, diesen Bezug nachzuvollziehen, sehe sich selbst aber nicht in dieser Tradition. „Wir sind halt beide tätowiert, das reicht oft schon, um zusammengebracht werden.“
Die Fragen, die das Publikum im Anschluss stellt, befassen sich dann hauptsächlich mit dem Hooliganismus, weniger mit dem Buch „Hool“und gar nicht mit dem Schreiben. Winkler verweigert aber die Expertenrolle. Wiederholt mehrfach, dass er nur seine eigene Meinung und Erfahrung zum Besten geben könne – und diese beschränke sich auf seinen früheren Freundeskreis in Hagenburg bei Hannover. Weil sich das Interesse der Zuschauer aber so sehr auf die Hooligan-Subkultur beschränkt, betont Winkler zum Abschluss: „Ich werde das Buch niemals als Fußballroman bezeichnen. Es ist auch kein Männerroman. Auch kein Frauenroman. Es ist ein Roman.“