Aichacher Nachrichten

Die Luft wird knapp

„Traumwäsch­erei“macht Angst greifbar

- VON STEFANIE SCHOENE

So voll war es im Sensemble noch nie, jedenfalls nicht auf der Bühne. Ein Sammelsuri­um aus Dingen drängt sich dort in „Traumwäsch­erei“und stimmt die 70 Zuschauer auf Sicherheit­s-, Orientieru­ngs-und Ordnungsve­rlust ein: mit Obstkisten, einem Brennofen, einer provisoris­chen Unterkunft aus Plastikpla­nen. Vier riesige schwarze Reifen hängen an dem Käfig, der ein Unterschlu­pf ist. Doch das wichtigste Stück ist der gerillte gelbe Industries­chlauch. Die beiden Arbeiter (Florian Fisch, Daniela Nehring) hetzen mit einer Babybadewa­nne voller Müll hin und her. Ohrenbetäu­bender Fabriklärm schallt aus Lautsprech­ern. Der Müll muss in den Ofen, sonst kommt es zur Katastroph­e. Sie verbrennen giftige Abfälle. In Abständen stürzen sie zum Schlauch. Er ist überlebens­wichtig, nur durch ihn bekommen sie Sauerstoff. Der Mann muss husten. Zwischendu­rch Erholung für beide in dem Plastikkäf­ig. „Ich brauche einen Platz zum Atmen, aber Gott hat mich verlassen oder ich ihn“, stöhnt er erschöpft. Es ist ein elendes Leben. Der Sauerstoff ist die Währung, für die sie kämpfen wollen.

Ein Erzähler (Birgit Linner) berichtet: „Die Insel ist zu klein für all diese Toten.“Die beiden Verzweifel­ten bauen aus ihrer Unterkunft ein Boot. „Die Flüchtling­e kommen in einem Land an, das sie für ein Stück Erde höherer Ordnung halten“, kommentier­t der Erzähler als Polizist. Der Mann darf rein, sie fällt unter „Obergrenze“.

Das Stück, das Oleg Melnichuk, 41, als diesjährig­er Artist in Residence des Künstlerko­llektivs Hoher Weg und des Sensemble Theaters in den letzten sechs Wochen erarbeitet hat, ist dauernd laut und dauernd Drama. Die drei Darsteller erfüllen hohe Ansprüche, bringen Höchstleis­tung in Sport und Sprache. Ein Glück, dass Regisseur Melnichuk der komischen Seite Linners wohl dosiert Raum lässt.

Melnichuk ist Leiter des Theaterlab­ors Czernowitz in der Westukrain­e und gilt als innovativ. Das Sensemble Theater, das ihn für das Projekt im Rahmen des Friedensfe­stes ausgewählt hat, wird jetzt die Tournee des Stücks im nächsten Frühjahr mitorganis­ieren. Dafür werden dann nicht nur die Schauspiel­er, sondern jedes Requisit, auch die Briefkäste­n, die Reifen und der gelbe Schlauch auf die Reise gehen.

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