Kopftuch und Minirock
Wie die Radikalisierung junger Muslime verhindert werden soll
Oben Hijab (Kopftuch), unten Minirock. Wenn der Theologe Mustafa Ayanoglu in seinen Workshops ein Foto mit dem Mädchen zeigt, wird die Diskussion hitzig. „Unislamisch“, finden sowohl die muslimischen wie auch die nichtmuslimischen Kritiker. „Sie widerspricht den Klischees und Vorurteilen aller Seiten. Sie irritiert und provoziert“, erklärt Ayanoglu. „In meinen Workshops für Lehrer, Sozialarbeiter und Jugendliche sind diese Vielfalt muslimischer Lebensstile und der notwendige Respekt vor diesen wichtigen Themen. Das Mädchen ist wie viele in ihrem Alter auf der Suche nach sich selbst. Wird sie in dieser Phase wegen Äußerlichkeiten abgelehnt und diskriminiert statt akzeptiert und unterstützt, kann das Folgen haben. Salafisten mit ihrer Gemeinschaft, ihrer Anerkennung und ihren einfachen Wahrheiten erscheinen ihr dann attraktiv.“
Der Religionspädagoge arbeitet bei ufuq.de, einem Verein, der mit Unterstützung des bayerischen und des Bundessozialministeriums seit 2015 von Augsburg aus in Bayern mit Workshops und Weiterbildungen zu den Themen Islam, Islamismus und Islamfeindlichkeit der religiösen Radikalisierung junger Leute vorbeugen soll. In diesem Jahr führte ufuq.de nach Auskunft des bayerischen Ministeriums 57 Veranstaltungen durch, 21 davon für Lehrer. 934 Lehrerinnen und Lehrer wurden bayernweit bereits geschult. Außerdem bildeten die Pädagogen zehn Augsburger Studentinnen und Studenten zu „Teamerinnen“aus, die nun selbst auf Anfrage Workshops in Schulen, Vereinen und Jugendtreffs leiten können. Direkte Kontakte zur salafistischen Szene in Augsburg, die sich bis zum Verbot an den Lies!-Tischen zur Koranverteilung versammelte, gehören nicht zur Präventionsarbeit.
Telefonische Beratung besorgter Lehrer, Sozialarbeiter, Flüchtlingsbetreuer oder auch Eltern hingegen schon. Etwa sieben bis acht solcher Anrufe gehen pro Woche bei ufuq.de ein, erklärte Ayanoglu bei
Was Extremisten den Jugendlichen anbieten
seinem Vortrag. Die Anrufe bleiben anonym, auch die Namen der betroffenen Schüler oder Jugendlichen fallen bei den Gesprächen nicht. Bisher stellten sich alle Vermutungen als unbegründet heraus. Sollte ein Jugendlicher mit markigen religiösen Sprüchen oder mit einem Bart nach Art des Propheten allerdings doch nicht nur provozieren, sondern tatsächlich in das radikale Milieu rutschen, übernehmen dies Sozialarbeiter des Virtual Prevention Network in München. Zugenommen hätten Anrufe von Lehrern wegen vermuteter türkisch-nationalistischer Radikalisierungen. Laut Ayanoglu fallen sie aber nicht in ihren Bereich, „weil sie ja meistens nichts mit Religion zu tun haben.“
Vier Dinge – so die Erfahrung von Ayanoglu – bieten Salafisten oder auch andere Extremisten Jugendlichen, die sich in einer Krise befinden: Gehorsam, Wahrheit, Gemeinschaft und Gerechtigkeit. Die korrekte Befolgung von Online-Anleitungen für ein islamisch korrektes Verhalten sorgt für Orientierung. Die Gemeinschaft, so Ayanoglu, vermittelt Stärke und Selbstwirksamkeit, und die Suche nach Gerechtigkeit sei vor allem ein Ruf nach Anerkennung der eigenen Diskriminierungserfahrungen. „Diese Angebote müssen wir als Zivilgesellschaft leisten, dann haben Extremisten keine Chance“, fordert Ayanoglu. Ungewohnte Lebenswelten junger Leute anzuerkennen und zu respektieren sei der Anfang.