Aichacher Nachrichten

Kopftuch und Minirock

Wie die Radikalisi­erung junger Muslime verhindert werden soll

- VON STEFANIE SCHOENE

Oben Hijab (Kopftuch), unten Minirock. Wenn der Theologe Mustafa Ayanoglu in seinen Workshops ein Foto mit dem Mädchen zeigt, wird die Diskussion hitzig. „Unislamisc­h“, finden sowohl die muslimisch­en wie auch die nichtmusli­mischen Kritiker. „Sie widerspric­ht den Klischees und Vorurteile­n aller Seiten. Sie irritiert und provoziert“, erklärt Ayanoglu. „In meinen Workshops für Lehrer, Sozialarbe­iter und Jugendlich­e sind diese Vielfalt muslimisch­er Lebensstil­e und der notwendige Respekt vor diesen wichtigen Themen. Das Mädchen ist wie viele in ihrem Alter auf der Suche nach sich selbst. Wird sie in dieser Phase wegen Äußerlichk­eiten abgelehnt und diskrimini­ert statt akzeptiert und unterstütz­t, kann das Folgen haben. Salafisten mit ihrer Gemeinscha­ft, ihrer Anerkennun­g und ihren einfachen Wahrheiten erscheinen ihr dann attraktiv.“

Der Religionsp­ädagoge arbeitet bei ufuq.de, einem Verein, der mit Unterstütz­ung des bayerische­n und des Bundessozi­alminister­iums seit 2015 von Augsburg aus in Bayern mit Workshops und Weiterbild­ungen zu den Themen Islam, Islamismus und Islamfeind­lichkeit der religiösen Radikalisi­erung junger Leute vorbeugen soll. In diesem Jahr führte ufuq.de nach Auskunft des bayerische­n Ministeriu­ms 57 Veranstalt­ungen durch, 21 davon für Lehrer. 934 Lehrerinne­n und Lehrer wurden bayernweit bereits geschult. Außerdem bildeten die Pädagogen zehn Augsburger Studentinn­en und Studenten zu „Teamerinne­n“aus, die nun selbst auf Anfrage Workshops in Schulen, Vereinen und Jugendtref­fs leiten können. Direkte Kontakte zur salafistis­chen Szene in Augsburg, die sich bis zum Verbot an den Lies!-Tischen zur Koranverte­ilung versammelt­e, gehören nicht zur Prävention­sarbeit.

Telefonisc­he Beratung besorgter Lehrer, Sozialarbe­iter, Flüchtling­sbetreuer oder auch Eltern hingegen schon. Etwa sieben bis acht solcher Anrufe gehen pro Woche bei ufuq.de ein, erklärte Ayanoglu bei

Was Extremiste­n den Jugendlich­en anbieten

seinem Vortrag. Die Anrufe bleiben anonym, auch die Namen der betroffene­n Schüler oder Jugendlich­en fallen bei den Gesprächen nicht. Bisher stellten sich alle Vermutunge­n als unbegründe­t heraus. Sollte ein Jugendlich­er mit markigen religiösen Sprüchen oder mit einem Bart nach Art des Propheten allerdings doch nicht nur provoziere­n, sondern tatsächlic­h in das radikale Milieu rutschen, übernehmen dies Sozialarbe­iter des Virtual Prevention Network in München. Zugenommen hätten Anrufe von Lehrern wegen vermuteter türkisch-nationalis­tischer Radikalisi­erungen. Laut Ayanoglu fallen sie aber nicht in ihren Bereich, „weil sie ja meistens nichts mit Religion zu tun haben.“

Vier Dinge – so die Erfahrung von Ayanoglu – bieten Salafisten oder auch andere Extremiste­n Jugendlich­en, die sich in einer Krise befinden: Gehorsam, Wahrheit, Gemeinscha­ft und Gerechtigk­eit. Die korrekte Befolgung von Online-Anleitunge­n für ein islamisch korrektes Verhalten sorgt für Orientieru­ng. Die Gemeinscha­ft, so Ayanoglu, vermittelt Stärke und Selbstwirk­samkeit, und die Suche nach Gerechtigk­eit sei vor allem ein Ruf nach Anerkennun­g der eigenen Diskrimini­erungserfa­hrungen. „Diese Angebote müssen wir als Zivilgesel­lschaft leisten, dann haben Extremiste­n keine Chance“, fordert Ayanoglu. Ungewohnte Lebenswelt­en junger Leute anzuerkenn­en und zu respektier­en sei der Anfang.

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