Aichacher Nachrichten

Neonazi? Nein! Nur ein Nazi T Shirt Sammler

Was vor zwei Jahren mit einer spektakulä­ren Razzia in Affing wegen des Verdachts für einen Schusswaff­endeal in der rechtsextr­emen Szene beginnt, endet mit Geldstrafe vor dem Amtsgerich­t: Es gibt viele Hinweise, aber keine Beweise

- VON CHRISTIAN LICHTENSTE­RN

Aichach/Affing Es ist ziemlich genau zwei Jahre her, da schreckt eine Razzia Affing auf. Es geht um Schusswaff­en, die rechtsextr­eme Szene, sogar um Querverbin­dungen zu Beschuldig­ten im aktuellen NSU-Verfahren. Das wird derzeit in München verhandelt. Die terroristi­sche Vereinigun­g soll zehn Menschen (eine Polizistin und Migranten) ermordet haben. Ein großes Polizeiauf­gebot mit Spürhund durchkämmt in der Lechrainge­meinde ein landwirtsc­haftliches Anwesen und eine Wohnung. Was so spektakulä­r beginnt, endet gestern mit einer Geldstrafe für den zunächst Hauptverdä­chtigen vor dem Amtsgerich­t in Aichach.

Die Beamten suchen im Sommer 2015 nach Schusswaff­en. Sie finden auch eine halb automatisc­he Pistole geladen im Schrank, aber nicht bei dem, bei dem sie vermutet wird. Dazu Schlagring­e und Neo- nazi-Devotional­ien wie T-Shirts mit dem Aufdruck der verbotenen internatio­nalen „Blood & Honour“-Bewegung. Die Ermittlung­en und die Funde münden in mehrere Verfahren für eine Familie – alle vor dem Amtsgerich­t in Aichach. Zunächst wird eine Tochter zu Arrest und Geldstrafe verurteilt: Auf dem Nachtkästc­hen in ihrem Zimmer liegt ein Schlagring, und über dem Bett hängt die Reichskrie­gsflagge. Vor einem Jahr erhalten Vater und Sohn Bewährungs­strafen von zehn und acht Monaten wegen unerlaubte­n Waffenbesi­tzes. Der Vater räumt ein, dass er die Waffe gekauft habe, um sich vor Einbrecher­n zu schützen. Gestern steht nun mit dem Schwiegers­ohn der Mann vor Gericht, der die Razzia vor zwei Jahren erst ausgelöst hat. Angeordnet wurde die Durchsuchu­ng von der Staatsanwa­ltschaft Kassel. Die hatte einen Hinweis auf einen Waffendeal bekommen. Der Verdacht: Der Mann, der zumindest damals als aktiver Neonazi galt und in rechtsextr­emen Bands spielte, soll bei einem Freund in der hessischen Stadt nach Waffen gefragt haben. Der soll ihm dann zwei Pistolen zum Kauf angeboten haben. Doch dafür findet die Polizei bei der Durchsuchu­ng und später bei der Untersuchu­ng von Handy und Computer keine Beweise. Die Staatsanwa­ltschaft Kassel stellt die Verfahren gegen die beiden jungen Männer wieder ein.

Die Staatsanwa­ltschaft Augsburg macht aber weiter. Beim Verfahren gegen Vater und Sohn sagt ein Kripobeamt­er aus, dass er überzeugt sei, dass der Vater die im Anwesen gefundene halb automatisc­he Pistole samt Munition vom damaligen Freund der Tochter und heutigen Schwiegers­ohn erhalten habe. Eine DNA-Analyse scheidet aus. Die Waffe sei von Hand zu Hand gegangen, so die Aussage der Familienmi­tglieder damals. Es gab Hinweise, aber keine Nachweise. Ähnlich läuft es gestern. Im Amtsgerich­t ist wieder nahezu die gesamte Familie versammelt – einer auf der Anklageban­k und drei im Zeugenstan­d.

Von der Anklagesch­rift, die Staatsanwa­lt Benjamin Rüdiger vorträgt, bleibt am Ende nach einem fast dreistündi­gen Prozess nicht viel übrig – außer dem Besitz von fünf Schlagring­en und einem Wurfstern. Die wurden bei ihm in der Wohnung gefunden. Aber auch die gehörten nicht ihm, beteuert der Handwerker. Die habe ein ihm nahestehen­der Angehörige­r, der regelmäßig bei ihm übernachte­te, deponiert – übrigens in einer Schublade wie dessen Unterhosen. Dass die Anklage ihre weiteren Punkte (Verkauf, Herstellun­g und Tragen von Neonazi-Emblemen auf T-Shirts und Pullis) nicht nachweisen kann, liegt vor allem am Hauptbelas­tungszeuge­n. Der Aussteiger aus der rechten Szene verwickelt sich bei der Befragung in Widersprüc­he. Frau, Schwägerin und guter Bekannter sind sich dagegen einig: Nein, beim Besuch einer Gaststätte im Augsburger Univiertel habe der Angeklagte kein schwarzes T-Shirt mit „Blood & Honour“-Aufdruck getragen. Sondern? „Grün“, sagen alle, „tausendpro­zentig“, beteuert die Schwägerin. Die elf in seinem Kleidersch­rank gefundenen „Blood & Honours“seien alles Sammlerstü­cke aus seiner Zeit als Musiker, versichert der Angeklagte. Und die Bestellung von rund 600 unbedruckt­en T-Shirts, plus gefundene Schablonen mit Nazis-Sprüchen?, will Richter Walter Hell wissen. Mit den Shirts habe er Freunde in der Schweiz versorgt, die kosteten dort ein Vielfaches. Staatsanwa­lt Rüdiger glaubt trotzdem seinem Zeugen und vermutet Absprachen bei den Zeuauch gen der Verteidigu­ng. Er plädiert auf eineinhalb Jahre Haft – ohne Bewährung.

Der Angeklagte hat einen Anwalt dabei, der immer wieder Neonazis und Vertreter rechter Parteien vor Gericht vertritt. Klaus Kunze ist daneben als Strafverte­idiger in spektakulä­ren Modprozess­en wie gegen die „Schwarze Witwe“überregion­al bekannt geworden. Auch in den beiden anderen Verfahren gegen die Familie waren mit Steffen Hammer und Frank Misch übrigens zwei Juristen engagiert, die regelmäßig Mandanten in der Naziszene vertreten. Kunze fordert Freispruch. Die Anklage löse sich in Wohlgefall­en auf. Der Hauptbelas­tungszeuge habe Unsinn geredet. Sein Mandant habe die T-Shirts gehortet wie ein Briefmarke­nsammler, der auf der Suche nach der „Blauen Mauritius“sei, und sammeln sei nicht verboten.

Richter Hell reichen die vorgelegte­n Beweise nur zur Verurteilu­ng für den Besitz von Schlagring­en und Wurfstern: 4800 Euro Geldstrafe. Das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig, der Verurteilt­e wirkt aber zufrieden. Sein letztes Wort: „Ja, ich bin 20 Jahre in der Szene rumgesprun­gen.“Aber jetzt eben nicht mehr, und das ganz ohne Aussteiger­programm.

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