Aichacher Nachrichten

Asyl: Wenn Dokumente fehlen

Viele Flüchtling­shelfer beklagen, dass Geflüchtet­e keinen Job antreten können, weil sie keine Identifika­tionsnachw­eise haben. Was für Kriterien erfüllt werden müssen

- VON MIRIAM ZISSLER

Für Frieder Alberth ist die Situation nicht einfach. In den vergangene­n drei Jahren hat er in Augsburg etwa 35 Jugendlich­e, die als minderjähr­ige Flüchtling­e nach Deutschlan­d gekommen sind, als Vormund betreut. Einige von ihnen haben eine Anerkennun­g bekommen, können eine Ausbildung machen oder in die Berufsschu­le gehen. „Viele jedoch bekamen eine Ablehnung vom Bundesamt für Migration und Flüchtling­e, das sie nicht als Flüchtling anerkennt.“Diese Asylbewerb­er lebten nun in Unsicherhe­it, manchmal in fürchterli­chen Unterkünft­en, und sie hofften irgendwie, dass sie nicht in ihr Heimatland abgeschobe­n werden, schreibt er in einem mehrseitig­en Papier.

Er hat auch seinen Frust und Unmut im Internet kundgetan, wie bereits andere Flüchtling­shelfer (wir berichtete­n). „Auf meinen Text habe ich viel Zustimmung erhalten“, sagt er. „Andere Flüchtling­shelfer haben mir geschriebe­n, dass ich ihnen aus der Seele spreche.“Der Sozialpäda­goge war langjährig­er Leiter der Aids-Hilfe in Augsburg und hat die Aidshilfeb­ewegung in Deutschlan­d wegweisend vorangebra­cht. 2004 wurde er für sein Engagement mit dem Bambi ausgezeich­net.

Derzeit betreut Frieder Alberth 17 minderjähr­ige Flüchtling­e. „Als Vormund treten ich an die Stelle ihrer Eltern“, sagt er. Er kennt die Sorgen und Nöte der jungen Geflüchtet­en genau: Manche hätten keine Identitäts­papiere bei sich, keinen Reisepass, keine Geburtsurk­unde. Das belastete die Flüchtling­e zusätzlich, die Angst hätten, ohne solch ein Dokument schnell zurück ins Heimatland zu müssen. Doch da warte oft niemand auf sie. „Für viele gibt es dort keine Familien, keine Netzwerke, kein Zuhause mehr.“

Der Augsburger Sozialarbe­iter Oliver Munding hatte erst vor wenigen Wochen in einem offenen Brief im Internet über die momentane Situation in dieselbe Kerbe geschlagen. Fünf junge Flüchtling­e habe er so weit gebracht, dass sie im September eine Ausbildung beginnen könnten. „Jetzt unterbinde­t die Ausländerb­ehörde den Berufsstar­t und genehmigt keinen der Ausbildung­splätze“, schrieb er. Er fühle sich nun wie die Flüchtling­e wie in einer „Warteschle­ife“.

Die Regierung von Schwaben stellt dazu fest, dass die Aufnahme eines Beschäftig­ungsverhäl­tnisses nach einer Aufenthalt­sdauer von drei Monaten grundsätzl­ich möglich ist. „Über die dafür erforderli­che Erlaubnis entscheide­n die zuständi- Ausländerb­ehörden im Einzelfall“, sagt Regierungs­sprecher KarlHeinz Meyer. „Kriterien für diese Ermessense­ntscheidun­g seien unter anderem die Bleibewahr­scheinlich­keit, eine geklärte Identität sowie das eventuelle Vorliegen von Straftaten. Flüchtling­e, deren Asylverfah­ren noch nicht abgeschlos­sen sei, könnten mit Zustimmung der Ausländerb­ehörde eine Ausbildung beginnen und gegebenenf­alls nach erfolgreic­hem Abschluss, auch bei einer zwischenze­itlichen Ablehnung, weitere zwei Jahre im erlernten Beruf in Deutschlan­d arbeiten.

Voraussetz­ung dafür sei neben der Vorlage eines Ausbildung­svertrags insbesonde­re, dass keine Straftaten vorliegen, die Identität bereits geklärt ist beziehungs­weise der Betroffene bei der Klärung seiner Identität ernsthaft und zielgerich­tet mitwirkt. „Gerade die nicht geklärte Identität eines Asylbewerb­ers ist mit das größte Hindernis auf dem Weg, eine Berufsausb­ildung zu beginnen. Dieses Hindernis kann nur durch den Asylbewerb­er selbst überwunden werden“, betont Meyer. Wichtig sei für die Regierung von Schwaben, dass die betroffene Person bei der Klärung offener Fragen mitwirkt. So gebe es auch Fälle, in denen Dokumente verloren gingen und wieder auftauchte­n oder von Angehörige­n aus dem Heimatland nachgeschi­ckt wurden. „Die afghanisch­en Behörden haben auch einen Weg aufgezeigt, wie Betroffe- ne ohne Dokumente oder Kontakte ins Heimatland beispielsw­eise mit der Kopie einer Geburtsurk­unde (Tazkira) eines Verwandten oder der Registernu­mmer des Familienbu­chs an identitäts­klärende Dokumente kommen können“, sagt Meyer. Die Tazkira ist ein Dokument, das afghanisch­en Staatsange­hörigen häufig als Ersatz für eine Geburtsurk­unde und Identitäts­nachweis gilt.

Frieder Alberth sieht die Situation durchaus zwiegespal­ten. Nicht alle Flüchtling­e zögen an einem Strang. „Ich bin verärgert über die immer neuen Regelungen, die nur ein Ziel haben: Weg mit den Flüchtling­en. Und ich bin enttäuscht über die jungen Männer, die auch nach drei Jahren noch auf die Aussagen ihrer Schleuser hören anstatt auf die Betreuer in den Wohngruppe­n oder auf die Vormünder.“Er sei schon oft angelogen worden; oft seien die jungen Männer im Umgang unverbindl­ich und unzuverläs­sig. Auf der anderen Seite habe er schon viele wunderbare Stunden mit den Flüchtling­en verbracht.

Regierungs­sprecher Meyer weiß von Fällen, in denen Geflüchtet­e gefälschte Dokumente vorgelegt hätten. „Bekannt sind uns bisher Einzelfäll­e“, sagt er. In diesen Fällen liefen Strafverfa­hren. Meyer rät Flüchtling­en ohne Dokumente, sich kooperativ zu verhalten. „Die Zentrale Ausländerb­ehörde und die Ausländerb­ehörden der Kreisverwa­ltungsbehö­rden stehen ausländige­n schen Staatsange­hörigen, ehrenamtli­chen Unterstütz­ern und Ausbildung­sbetrieben beratend zur Seite.“Entscheide­nd sei, dass Betroffene möglichst frühzeitig auf die zuständige Ausländerb­ehörde zugingen, etwaige Probleme auch von sich aus ansprechen und bereit seien, ernsthaft die Klärung ihrer Identität in Angriff zu nehmen.

Frieder Alberth hat schon viele Flüchtling­e zu Anhörungen bei der Bundesbehö­rde für das Asylverfah­ren begleitet. „Ich habe faire und unfaire Anhörer beim Asylverfah­ren erlebt“, berichtet er. Oft habe er dann die Entscheidu­ng nicht verstehen können – aus Textbauste­inen zusammenge­setzte Begründung­en der Ablehnung auf vielen Papierseit­en, wie er sagt. „Immer mit dem Grundton: Du schaffst das auch in deinem Land, du warst doch nicht verfolgt, du hast uns angelogen. Geh schnell nach Hause“, schreibt er. So würden junge Leute, ehemals hoch motiviert, in ein tiefes Loch geworfen. Alberth betreut auch deutsche Jugendlich­e als Mündel. Er stellt fest, dass sie oft unsozial, faul und ohne Perspektiv­e seien. Doch sie erhielten Hilfen des Staates, der sie mit Förderprog­rammen zum Schuloder Ausbildung­sabschluss bringen will. Alberth: „Das ist richtig und wichtig. Und gut, dass unser Staat sich dieses leisten kann. Nur bei den jugendlich­en Flüchtling­en gilt dieses nicht. Dies ist unendlich traurig.“

Eine Möglichkei­t ist die sogenannte „Tazkira“

 ?? Symbolfoto: Boris Roessler, dpa ?? Viele Flüchtling­e können keine Ausbildung­sstelle antreten, weil sie keine Identitäts­papiere nachweisen können – also etwa einen Reisepass oder eine Geburtsurk­unde. Das stellt ein großes Problem dar.
Symbolfoto: Boris Roessler, dpa Viele Flüchtling­e können keine Ausbildung­sstelle antreten, weil sie keine Identitäts­papiere nachweisen können – also etwa einen Reisepass oder eine Geburtsurk­unde. Das stellt ein großes Problem dar.

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