Aichacher Nachrichten

Eine Künstlerin, die aneckt

Mit einer großen Installati­on ist Esther Glück gerade in Augsburg zu sehen. In ihrer Heimat Dachau haben sich an ihren Arbeiten mehrfach lange Diskussion­en entzündet. Widerstand zu leisten, das liegt bei ihr in der Familie

- VON ALEXANDER RUPFLIN

In diese stille, saubere Wohnstraße im Zentrum Dachaus will das blaue Haus, umgeben von einem großen, wilden Garten, sich nicht so recht einfügen. Hinter dem Gebäude, in einem kleinen quadratisc­hen, modernen und lichtdurch­fluteten Würfel, hängt auf einem Metallgest­ell ein aus Gras geflochten­er Mantel. Aus einem CD-Spieler auf dem Boden ist Monteverdi zu hören.

Dieser Mantel hat ihr eine Menge Anfeindung im Ort eingebrach­t, erzählt Esther Glück, die Künstlerin, die mit ihrer aktuellen „Garten <–> Gan“-Installati­on gerade die Synagoge in Kriegshabe­r bespielt. Das Gras stammt aus der KZ-Gedenkstät­te, für die der Ort weltweit traurige Berühmthei­t erlangte. „Da gibt es einfach Leute, die gerne das Deutungsmo­nopol für sich beanspruch­en“und so wird man mal eben als Diebin des Heus aus einem ehemaligen Konzentrat­ionslager hingestell­t. Das war 2005 und fand erst dann ein jähes Ende, als die Stiftung bayri- scher Gedenkstät­ten die Arbeit aus Überzeugun­g aufkaufte. Jetzt restaurier­t Glück den Mantel in ihrem Atelier im Garten ihres blauen Hauses.

Auch mit einer anderen Arbeit hatte Glück im Ort für Diskussion­sstoff gesorgt. Vor einem Kindergart­en errichtete sie ein Gestell, auf dem in fünf Metern Höhe ein kleiner Junge balanciert. Die Eltern beschwerte­n sich, die Figur mache ihren Kindern Angst oder sorge gar für Nachahmung. Eine Zeit lang verhüllte die Stadt das Kunstwerk und erst nach etlicher Überzeugun­gsarbeit, auch durch den Oberbürger­meister Florian Hartmann, wurde die Installati­on endlich als das, was sie ist – nämlich ein Zeichen für die Kinder und bestimmt nicht gegen sie – akzeptiert und schlussend­lich willkommen geheißen.

Ja, gibt Glück lachend zu, als bequemer Charakter werde sie wohl nicht wahrgenomm­en. Das war schon bei ihrem Großvater so. Der habe zu Lebzeiten Widerstand geleistet, Juden vor dem Regime ver- steckt. Die Haltung ließ auch sie nicht los. Und so zwingt sie den Betrachter ihrer Werke immer wieder, sich sowohl mit der nationalso­zialistisc­hen Vergangenh­eit des Landes, genauso aber mit der gegenwärti­gen Erinnerung­skultur und aktuellen gesellscha­ftspolitis­chen Strömungen auseinande­rzusetzen. „Es ist ein Unding, zu sagen, ‚Das ist heute kein Thema mehr’, wenn es noch Überlebend­e gibt, auch Nazis. Die Gesellscha­ft ist geprägt von ihrer Geschichte und daran muss man arbeiten.“

Dabei sei es wichtig, künstleris­ch mit diesen Themen umzugehen und diese aufzuarbei­ten, ein ums andere Mal. „Ich glaube, wenn man Geschichte nur liest, fehlt einem Erfahrung und um Erfahrung zu machen, kann man den Weg über die Kunst wählen.“Dass Glück das gelingt, zeigen allein die aufgebrach­ten Reaktionen ihrer Heimatstad­t, den Ort, den sie sich übrigens nicht bewusst für ihr Schaffen ausgesucht hat, sondern in den sie bereits 1966 hineingebo­ren worden ist und den sie trotz manches Widerspruc­hs als den Rückzugsor­t empfindet, an dem sie ihre künstleris­che Haltung immer wieder hinterfrag­t und „an dem mir keiner was kann“. Für ihre Kunst sucht sie willentlic­h den Weg hinaus aus dem Institutio­nellen, nutzt den öffentlich­en, konfrontat­iven Ort. Denn man müsse die Leute mitnehmen, alles andere wäre nicht klug, sagt sie. „Ich finde, dass die Kunst oft als elitär verkauft wird. Das halte ich nicht für richtig.“Das fange schon damit an, dass sich einige Künstler verweigern, sich selbst über ihre Kunstwerke zu äußern und den Betrachter oft unbeholfen zurücklass­en. Das sei eine Überheblic­hkeit, die ihr nicht liege.

In einem ihrer vergangene­n Großprojek­te, dem Kunstfilm „Für das Ende der Zeit“, welcher am Mittwoch im Rahmen der Installati­on „Garten <–> Gan“gezeigt wird, befasst sich Glück ebenfalls mit dem Erinnerung­s- wie Vergessens­prozess innerhalb der Gesellscha­ft. Für die Arbeit hatte Glück mehrere tausend Zeichnunge­n angefertig­t, dabei mit einer Radiertech­nik gearbeitet, sodass am Ende für alle Skizzen gerade einmal zehn Blatt Papier verwendet wurden. Die Spuren des vorangegan­genen Bildes sind immer auf dem nächsten und übernächst­en zu erkennen und verblassen nur allmählich. Der Film wird jährlich am Gedenktag für die Opfer des Nationalso­zialismus auf BR-Alpha ausgestrah­lt.

Glücks engagierte Kunst bedeutet in Zeiten gesellscha­ftlicher Zuspitzung, die in einer bisher nicht ahnbaren Geschwindi­gkeit vonstatten geht, eine Festigung sozialer Grundmaßst­äbe der Aufarbeitu­ng und des Vordenkens von Wertvorste­llung und Historie. Ein Prozess, der, mag es auch mancher anders sehen, keinen Abschluss oder Endpunkt kennt.

Filmvorfüh­rung Im Rahmen der Aus stellung „Garten < > Gan“in der ehe maligen Synagoge Kriegshabe­r wird am Mittwoch, 30. August, um 19.30 Uhr der Kunstfilm „Für das Ende der Zeit“von Esther Glück gezeigt.

 ?? Foto: Esther Glück ?? Die Künstlerin Esther Glück in ihrem Atelier in Dachau. Im Vordergrun­d der grüne Mantel, den sie aus Gras geflochten hat. Das hat ihr Anfeindung­en in Dachau gebracht, weil sie das Gras aus dem Konzentrat­ionslager Dachau verwendet hat.
Foto: Esther Glück Die Künstlerin Esther Glück in ihrem Atelier in Dachau. Im Vordergrun­d der grüne Mantel, den sie aus Gras geflochten hat. Das hat ihr Anfeindung­en in Dachau gebracht, weil sie das Gras aus dem Konzentrat­ionslager Dachau verwendet hat.

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