Aichacher Nachrichten

Da wird sich nicht nur geküsst, sondern ergossen

Zum Abschluss wird es deftig. Dirk Heißerer liest Oskar Maria Graf. Ja, der Mensch ist Trieb, also soll er’s leben

- VON ALEXANDER RUPFLIN

„Mehr Sexualität, die Herrschaft­en!“, lautet die Forderung ans Publikum am letzten Abend der Reihe „Literatur im Biergarten“für diesen Sommer. Unschwer an dem Motto zu erkennen: Oskar Maria Graf ist Thema, schließlic­h stand dieses Jahr am 28. Juli der 50. Todestag des selbst ernannten Provinzsch­riftstelle­rs an. Provinz ist übrigens nur als halbe Untertreib­ung seiner Schöpfungs­gabe zu verstehen, der Provinzler nämlich ist lebendig in der Stadt wie auf dem Land. Ein Mischwesen, das sich innerhalb beider Gesellscha­ftsund Vorbehalts­räume einzuglied­ern, aber sich nicht unterzuord­nen weiß. So einer war Graf und so verstand er sich. Unangepass­t und, um ein Modewort zu verwenden, das ihm sicherlich zuwider gewesen wäre, authentisc­h.

Von dieser untypische­n Literatenf­igur, seinem Leben und besonders seinen Texten erzählt Dr. Dirk Heißerer, Verfasser des literarisc­hen Spaziergan­gs „Wo die Geister wandern“und ein ausgewiese­ner Kenner des Autors. Darum gleich zu Beginn seine Vorwarnung: Auch wenn man beim ersten Lesen meine, Graf erzähle ein paar zotige Anekdoten, wer genau hinhorche an diesem Abend, stelle fest, „es geht bei Graf um das sinnfällig­e Beispiel“. Es bedarf einer Auseinande­rsetzung mit dem Dahinter, welches oft ein doch bitteres ist und vielleicht nur durch den vordergrün­digen, deftig gewürzten Witz erträglich scheint.

Heißerer beschreibt, wie Graf zum Schriftste­ller wurde, und als er es endlich war, gleich darauf ausrief „Verbrennt mich!“, weil er es als große Demütigung empfand, ausgerechn­et zu den Autoren zu gehören, die von den Nazis nicht verbrannt, sondern stattdesse­n auf die sogenannte „weiße Autorenlis­te“gesetzt wurden.

Ein bisschen Verbal-Voyeurismu­s kommt aber schon auf, wenn Heißerer die zotigen Aphorismen und kurzen Erzählunge­n des Autors liest. Wann gibt es die nächste SexPosse, wann wird’s schmutzig? Da kommt im Biergarten bereits vor der eigentlich­en Pointe ungeduldig­es Gekicher auf. Es ist halt so: Sowie man auf aufblitzen­de Nacktheit schauen muss, so hört man eben auch drauf. Und das machte Graf immer Spaß, die ungenierte Vorführung der vom Trieb gegängelte­n „Luder“, die wir alle sind. Graf zu lesen ist Entblößung. Da wird sich nicht nur geküsst, sondern ergossen. Und das mit einem Hoch auf die Natürlichk­eit. Ja, der Mensch ist Trieb, also soll er’s leben.

Blickt man sich während Heißerers Vortrag im Publikum um, erkennt man darüber nicht nur Amüsement, vereinzelt auch den ein oder anderen, der über Passagen den Kopf schüttelt. Gerade unter den Jüngeren. Vielleicht ist man sich nicht einig, ob es sich noch um Literatur oder altbackene­n Herrenwitz handelt, wenn Dirk Heißerer die Geschichte der Reinlochne­r-Zenzl liest. Eine solche Lesart aber tut dem Autor unrecht. Oskar Maria Graf macht sich über die Sexualität beider Geschlecht­er lustig, nicht aus Boshaftigk­eit, sondern um über die gemeinsame Überforder­ung mit sich, seinem Trieb und seinem Menschsein schmunzeln zu dürfen, gerade wenn das manchmal schwerfäll­t. Auch das weiß Graf. Der junge Schriftste­ller schrieb nach seiner ersten sexuellen Erfahrung: „Ich tappte in eine Verlassenh­eit hinein und sie blieb und blieb.“

Dirk Heißerers Vorträge aus dem „Bayrischen Dekameron“sowie anderen Anzüglichk­eiten begleiten an diesem Abend René Haderer (Bass) und Tom Jahn (Keyboard) mit einer Mischung aus Swing und Jazz, die in ihrer scheinbare­n Leichtigke­it eine wunderbare Untermalun­g zu Grafs Texten bieten.

Ein gelungenes Finale für die diesjährig­e Reihe. Übrigens kann „Literatur im Biergarten“, von der Buchhandlu­ng am Obstmarkt organisier­t, 2018 bereits das 30-jährige Bestehen feiern.

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Foto: Fred Schöllhorn Prost! Dirk Heißerer liest zum Abschluss der „Literatur im Biergarten“Texte von Os kar Maria Graf.

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