Aichacher Nachrichten

Achtung, die Kamera läuft!

Ein Mann benimmt sich daneben, er schreit seine Beleidigun­gen direkt ins gelbe Kästchen an der Schulter des Polizisten. Die Polizei testet auf dem Plärrer erstmals Uniformkam­eras. Welche Erfahrunge­n die Beamten damit machen

- VON JÖRG HEINZLE

Die Band spielt die letzten Lieder des Abends, die Menschen stehen auf den Bierbänken. Und manch einer hat eine Maß zu viel getrunken. Es ist Samstag, gegen 22.45 Uhr, auf dem Plärrer. Auch einem Mann aus Königsbrun­n, etwa 50 Jahre alt, ist der Alkohol zu Kopf gestiegen. Er hat andere Gäste belästigt, deshalb soll er raus aus dem Binswanger­Zelt. Doch er weigert sich. Die Sicherheit­sleute rufen die Polizei.

Begleiter des Mannes reden auf den Betrunkene­n ein. Er lässt sich dazu bewegen, das Zelt zu verlassen. Doch draußen, noch auf der Empore des Zelts, rastet er unvermitte­lt aus. Er will wieder rein, wütet und beschimpft die Polizisten. Hauptkommi­ssar Peter Seidenbusc­h, der Chef der Plärrerwac­he, filmt die Szene. Er trägt ein gelbes Kästchen, so groß wie eine Zigaretten­schachtel, an seiner Uniform, an der linken Schulter. Es ist eine Uniformkam­era.

Der Betrunkene weiß, dass die Kamera läuft. Die Beamten kündigen es an, wenn sie zu filmen beginnen. Doch bremsen lässt sich der Mann dadurch nicht. Er schreit wüste Beleidigun­gen direkt in die Kamera. Mehrere Beamte des Einsatzzug­es legen dem Betrunkene­n schließlic­h Handschell­en an. Die nächsten Stunden muss er in einer Ausnüchter­ungszelle des Präsidiums verbringen.

Diese Szene ist jetzt bei der Polizei gespeicher­t. Im Strafverfa­hren kann sie als Beweismitt­el genutzt werden. So können sich auch Staatsanwa­lt und Richter ein genaues Bild von dem Fall machen. Gut möglich, dass auch der Mann selbst erschrecke­n wird, wenn er sieht, wie er sich im Rausch danebenben­ommen hat. Die Uniformkam­eras – auch Bodycams genannt – sind Neuland für die Polizei in Bayern. Seit Herbst vorigen Jahres werden sie in Nürnberg, München und Augsburg getestet. Jetzt sind sie erstmals auch auf Volksfeste­n im Einsatz. Aktuell auf dem Plärrer und auf dem Herbstfest in Rosenheim. Und demnächst werden auch die Beamten auf dem Münchner Oktoberfes­t die Kameras tragen.

Es ist Donnerstag­abend, kurz vor 19 Uhr, der Festplatz füllt sich. Die meisten Dirndl- und Lederhosen­träger steuern jetzt direkt die Bierzelte an. Am Autoskoote­r gegenüber der Sterndl-Alm sammelt sich eine Gruppe von Jugendlich­en. Hier kann sich schnell mal ein Streit entzünden. Oder junge Frauen, die vorbeigehe­n, müssen sich dumme Kommentare anhören. Neu ist das nicht. Am Autoskoote­r abzuhängen, das gehört seit Jahrzehnte­n dazu. Doch dieses Jahr ist etwas anders. Wenn sich Peter Seidenbusc­h und seine Kollegen mit den Uniformkam­eras nähern, bemerken das die Jugendlich­en sofort. Auch jetzt ist das wieder so. Ihre Blicke wandern zu der gelben Kamera. Einer zeigt auf den Polizisten. Eine größere Gruppe, die an einer Ecke des Fahrgeschä­fts steht, löst sich kurz danach auf. Die Jugendlich­en gehen in verschiede­ne Richtungen weiter.

Peter Seidenbusc­h ist von den neuen Kameras überzeugt. Natürlich auch, weil die Filme nun gute Beweise dafür liefern, mit welchen Aggression­en und welchem Hass die Beamten immer wieder bei Einsätzen konfrontie­rt werden. Er schätzt aber vor allem die „abschrecke­nde“Wirkung. Auf Streife, aber auch jetzt auf dem Plärrer, spüren die Polizisten regelmäßig, wie Menschen ihr Verhalten ändern, wenn die Kamera läuft. Die meisten versuchen, wieder ruhiger zu werden und schalten einen Gang zurück. „Ich erlebe es auch, dass die Menschen plötzlich lächeln, weil sie die Kamera sehen“, erzählt Peter Seidenbusc­h. Andere Plärrerbes­ucher fragen nach und lassen sich erklären, wie die Polizei die neue Technik nutzt. Zu übersehen ist es nicht, dass sie die Kameras dabei haben. An der Uniform tragen sie vorne und hinten neongelbe Plaketten mit Aufschrift „Video“. Als Peter Seidenbusc­h eine weitere Runde auf dem Platz dreht, trifft er auf eine Rock’n’Roll-Tanzgruppe, die für diesen Abend engagiert worden ist. Ein Begleiter der Tänzer scherzt: „Können Sie das für uns filmen und ins Internet stellen?“

Der Beamte wird immer wieder angesproch­en. Dumme Kommentare zu den Kameras hat er auf dem Plärrer bislang aber noch keine gehört. Ohnehin sind die Besucher ziemlich anständig in diesem Jahr. Die Bilanz vor dem letzten Wochenende: Vier Anzeigen wegen Beamtenbel­eidigung, rund ein Dutzend Verfahren wegen Körperverl­etzungen. Es sind meist Betrunkene, die sich in die Haare geraten. Schubserei­en gibt es dann meist, mal eine Watschn. „Aber eine richtige Schlägerei hatten wir bis jetzt noch gar nicht“, sagt Peter Seidenbusc­h.

So endet auch der Donnerstag­abend. Als die Musik in den Zelten verstummt, schieben sich die Gruppen von Besuchern nach draußen. Einige wirken etwas wacklig auf den Beinen. Ein Mann, Anfang 20, stolpert über eine Schwelle am Boden und landet auf dem Hintern. Die Polizisten, die sich jetzt an den Ausgängen der Zelte postiert haben, schauen den Menschen beim Heimgehen zu. Einschreit­en müssen sie nicht. Die Kamera bleibt aus.

 ?? Foto: Annette Zoepf ?? Peter Seidenbusc­h auf Streife mit der Kamera: Der Augsburger Plärrer ist eines von drei Volksfeste­n in Bayern, auf denen die Polizei jetzt sogenannte Bodycams testet.
Foto: Annette Zoepf Peter Seidenbusc­h auf Streife mit der Kamera: Der Augsburger Plärrer ist eines von drei Volksfeste­n in Bayern, auf denen die Polizei jetzt sogenannte Bodycams testet.

Newspapers in German

Newspapers from Germany