Achtung, die Kamera läuft!
Ein Mann benimmt sich daneben, er schreit seine Beleidigungen direkt ins gelbe Kästchen an der Schulter des Polizisten. Die Polizei testet auf dem Plärrer erstmals Uniformkameras. Welche Erfahrungen die Beamten damit machen
Die Band spielt die letzten Lieder des Abends, die Menschen stehen auf den Bierbänken. Und manch einer hat eine Maß zu viel getrunken. Es ist Samstag, gegen 22.45 Uhr, auf dem Plärrer. Auch einem Mann aus Königsbrunn, etwa 50 Jahre alt, ist der Alkohol zu Kopf gestiegen. Er hat andere Gäste belästigt, deshalb soll er raus aus dem BinswangerZelt. Doch er weigert sich. Die Sicherheitsleute rufen die Polizei.
Begleiter des Mannes reden auf den Betrunkenen ein. Er lässt sich dazu bewegen, das Zelt zu verlassen. Doch draußen, noch auf der Empore des Zelts, rastet er unvermittelt aus. Er will wieder rein, wütet und beschimpft die Polizisten. Hauptkommissar Peter Seidenbusch, der Chef der Plärrerwache, filmt die Szene. Er trägt ein gelbes Kästchen, so groß wie eine Zigarettenschachtel, an seiner Uniform, an der linken Schulter. Es ist eine Uniformkamera.
Der Betrunkene weiß, dass die Kamera läuft. Die Beamten kündigen es an, wenn sie zu filmen beginnen. Doch bremsen lässt sich der Mann dadurch nicht. Er schreit wüste Beleidigungen direkt in die Kamera. Mehrere Beamte des Einsatzzuges legen dem Betrunkenen schließlich Handschellen an. Die nächsten Stunden muss er in einer Ausnüchterungszelle des Präsidiums verbringen.
Diese Szene ist jetzt bei der Polizei gespeichert. Im Strafverfahren kann sie als Beweismittel genutzt werden. So können sich auch Staatsanwalt und Richter ein genaues Bild von dem Fall machen. Gut möglich, dass auch der Mann selbst erschrecken wird, wenn er sieht, wie er sich im Rausch danebenbenommen hat. Die Uniformkameras – auch Bodycams genannt – sind Neuland für die Polizei in Bayern. Seit Herbst vorigen Jahres werden sie in Nürnberg, München und Augsburg getestet. Jetzt sind sie erstmals auch auf Volksfesten im Einsatz. Aktuell auf dem Plärrer und auf dem Herbstfest in Rosenheim. Und demnächst werden auch die Beamten auf dem Münchner Oktoberfest die Kameras tragen.
Es ist Donnerstagabend, kurz vor 19 Uhr, der Festplatz füllt sich. Die meisten Dirndl- und Lederhosenträger steuern jetzt direkt die Bierzelte an. Am Autoskooter gegenüber der Sterndl-Alm sammelt sich eine Gruppe von Jugendlichen. Hier kann sich schnell mal ein Streit entzünden. Oder junge Frauen, die vorbeigehen, müssen sich dumme Kommentare anhören. Neu ist das nicht. Am Autoskooter abzuhängen, das gehört seit Jahrzehnten dazu. Doch dieses Jahr ist etwas anders. Wenn sich Peter Seidenbusch und seine Kollegen mit den Uniformkameras nähern, bemerken das die Jugendlichen sofort. Auch jetzt ist das wieder so. Ihre Blicke wandern zu der gelben Kamera. Einer zeigt auf den Polizisten. Eine größere Gruppe, die an einer Ecke des Fahrgeschäfts steht, löst sich kurz danach auf. Die Jugendlichen gehen in verschiedene Richtungen weiter.
Peter Seidenbusch ist von den neuen Kameras überzeugt. Natürlich auch, weil die Filme nun gute Beweise dafür liefern, mit welchen Aggressionen und welchem Hass die Beamten immer wieder bei Einsätzen konfrontiert werden. Er schätzt aber vor allem die „abschreckende“Wirkung. Auf Streife, aber auch jetzt auf dem Plärrer, spüren die Polizisten regelmäßig, wie Menschen ihr Verhalten ändern, wenn die Kamera läuft. Die meisten versuchen, wieder ruhiger zu werden und schalten einen Gang zurück. „Ich erlebe es auch, dass die Menschen plötzlich lächeln, weil sie die Kamera sehen“, erzählt Peter Seidenbusch. Andere Plärrerbesucher fragen nach und lassen sich erklären, wie die Polizei die neue Technik nutzt. Zu übersehen ist es nicht, dass sie die Kameras dabei haben. An der Uniform tragen sie vorne und hinten neongelbe Plaketten mit Aufschrift „Video“. Als Peter Seidenbusch eine weitere Runde auf dem Platz dreht, trifft er auf eine Rock’n’Roll-Tanzgruppe, die für diesen Abend engagiert worden ist. Ein Begleiter der Tänzer scherzt: „Können Sie das für uns filmen und ins Internet stellen?“
Der Beamte wird immer wieder angesprochen. Dumme Kommentare zu den Kameras hat er auf dem Plärrer bislang aber noch keine gehört. Ohnehin sind die Besucher ziemlich anständig in diesem Jahr. Die Bilanz vor dem letzten Wochenende: Vier Anzeigen wegen Beamtenbeleidigung, rund ein Dutzend Verfahren wegen Körperverletzungen. Es sind meist Betrunkene, die sich in die Haare geraten. Schubsereien gibt es dann meist, mal eine Watschn. „Aber eine richtige Schlägerei hatten wir bis jetzt noch gar nicht“, sagt Peter Seidenbusch.
So endet auch der Donnerstagabend. Als die Musik in den Zelten verstummt, schieben sich die Gruppen von Besuchern nach draußen. Einige wirken etwas wacklig auf den Beinen. Ein Mann, Anfang 20, stolpert über eine Schwelle am Boden und landet auf dem Hintern. Die Polizisten, die sich jetzt an den Ausgängen der Zelte postiert haben, schauen den Menschen beim Heimgehen zu. Einschreiten müssen sie nicht. Die Kamera bleibt aus.