Das Fenster des Auges
Die Hornhaut ist nur ein winziges Scheibchen. Doch für das Sehen spielt sie eine entscheidende Rolle. Daher sind viele Menschen dankbar für eine Gewebespende, die auch nach dem Tod noch möglich ist
Tübingen Sie ist das „Fenster des Auges“, doch meist nimmt man kaum Notiz von ihr: die Hornhaut. Dabei handele es sich um ein ganz besonderes Gewebe, sagt Professor Sebastian Thaler. Um eines, das völlig klar und durchsichtig sei wie eine Glasscheibe – und dabei trotzdem lebe. Die Hornhaut und ihre Fähigkeiten faszinieren ihn. Auch, dass dieses Gewebe so wahnsinnig alt werden kann, wie er erklärt. Die älteste Hornhaut, von der man weiß, sei weit über hundert Jahre alt geworden.
Das hat natürlich nur funktioniert, weil diese Hornhaut einmal verpflanzt wurde – und so Lebensjahre bei Spender und Empfänger zusammenkamen. Die Möglichkeit, Hornhäute zu verpflanzen, gibt es schon sehr lange. Bereits 1905 fand laut Thaler der erste erfolgreiche derartige Eingriff statt. Heute handelt es sich bei der Hornhauttransplantation um eine der häufigsten Verpflanzungen überhaupt: Bundesweit werden jährlich 5000 bis 6000 Hornhäute übertragen. So schonend wie heute aber sind die Transplantationen erst seit wenigen Jahren. Denn bei den meisten Verpflanzungen kommt man inzwischen ganz ohne Nähte aus, was bedeutet: Das Auge wird bei dem Eingriff kaum verletzt.
Die Hornhaut ist ein kleines, transparentes Scheibchen mit einem Durchmesser von nur rund elf Millimetern. Und doch ein Wunderwerk. Denn dieses hauchfeine Gebilde, das an seiner dicksten Stelle gerade mal einen halben Millimeter misst, besteht aus mehreren Schichten. Und für eine moderne Form der Hornhauttransplantation, die sogenannte DMEK („Descemet Membrane Endothelial Keratoplasty“), werden nur die beiden innersten Schichten, die sogenannte Descemet-Membran und die daraufliegenden Endothelzellen, übertragen. Ein Häutchen von gerade mal ein paar tausendstel Millimetern Dicke – kaum vorstellbar.
Für Thaler, Leiter der Hornhautbank an der Universitäts-Augenklinik Tübingen, gehören derart diffizile Arbeiten jedoch zum Alltag. „Eine echte Herausforderung“nennt der Experte die jüngste Entwicklungsstufe in Sachen Hornhauttransplantation, die sich seinen Angaben zufolge in den letzten Jahren immer mehr durchgesetzt hat. 60 bis 70 Prozent aller Hornhauttransplantationen, sagt er, würden heute als DMEK gemacht. An der Universitäts-Augenklinik Tübingen seien es etwa 120 bis 150 derartige Operationen pro Jahr.
Thaler liebt herausfordernde feinmotorische Arbeiten, bei denen es auf eine ruhige Hand ankommt. Und die wird wahrlich gebraucht, denn: Für die DMEK gilt es zunächst einmal, die beiden innersten Schichten aus einer Spender-Hornhaut herauszupräparieren. Es gebe
verschiedene Methoden dafür, die jeweils ihre Vor- und Nachteile hätten, erklärt Thaler. Die Präparation findet in Tübingen unmittelbar vor der Transplantation im Operationssaal statt. Und erst, wenn Thaler weiß, dass das Transplantat intakt ist, wird der Patient für den Eingriff in Narkose versetzt.
Kann da nicht leicht etwas schiefgehen? Theoretisch – ja, durchaus. Aber: „Die Präparation gelingt eigentlich immer“, so der Augenarzt. Jene Operateure, die lieber nicht selbst präparieren wollen, können zudem auf ein Angebot der Deutschen Gesellschaft für Gewebetransplantation (DGFG) zurückgreifen, die Fertigpräparate vermittelt. Doch Thaler bevorzugt es, selbst zu präparieren. Nach der Präparation erfolgt die eigentliche „lamelläre
also die Transplantation einer Hornhautschicht.
Bei der schonenden DMEK kommen Descemet-Membran und daraufliegende Endothelzellen – zusammengerollt – in einen sogenannten Shooter, sagt Thaler, eine Art Glaspipette, mit der das Gewebe über einen nur 2,75 Millimeter langen Schnitt ins Auge injiziert wird. Dort muss sie mithilfe einer Luftblase wieder entrollt und mit einer weiteren Luftblase ans Auge angedrückt werden, denn auf Nähte wird verzichtet. Bis die Luft resorbiert und aus dem Auge verschwunden ist, muss der Patient auf dem Rücken liegen und darf nur nach oben schauen, erklärt Professor Thaler. Das dauere bei der Verwendung von Luft etwa zwei bis drei Tage, wenn man Gas nutze, ein wenig länger.
Wann muss die Hornhaut überhaupt ersetzt werden? Grund für die Notwendigkeit einer Transplantation ist die Eintrübung der Hornhaut, zu der es etwa bei der sogenannten Fuchs´schen Hornhautdystrophie kommt. Sie ist nach Angaben des Professors der häufigste Grund für den Eingriff. Bei der Fuchs´schen Hornhautdystrophie handelt es sich um eine multifaktorielle Erkrankung der Endothelzellen mit erblicher Komponente, bei der diese Zellen mit zunehmendem Alter des Patienten zugrunde gehen.
Der Untergang hat fatale Folgen. Denn die Endothelzellen verfügen über kleine „Pumpen“, die Wasser aus der Hornhaut herauspumpen. Und nur, wenn dies funktioniert, kann man auch klar sehen. Werden die Zellen schleichend immer weniKeratoplastik“, ger, hat der Patient zunächst vor allem morgens nach dem Aufwachen eine getrübte Sicht, in fortgeschrittenen Stadien sei der Blick dauerhaft getrübt, so Thaler. Also müssen die Endothelzellen ersetzt werden. Eintrübungen der Hornhaut können jedoch auch ohne genetische Veranlagung jederzeit durch Verletzungen oder Entzündungen am Auge entstehen.
DMEK hat für die Patienten entscheidende Vorteile gegenüber einem kompletten Hornhautersatz, so Thaler: „Es entsteht keine unregelmäßige Oberfläche, wie es bei dem Einnähen der Spenderhornhaut eigentlich immer der Fall ist“, erklärt er.
Die Patienten erholten sich zudem viel schneller und könnten teilweise schon wenige Tage nach dem Eingriff wieder richtig gut sehen. Dass der Kranke mit Brille später gar wieder hundertprozentig sehen könne, sei mit einem kompletten Hornhautersatz nur bei einem kleinen Teil, mit DMEK jedoch bei einem großen Teil der Patienten der Fall. Aber nicht bei jedem Patienten ist eine DMEK möglich.
Was muss das für ein Gefühl sein: Wenn man zuvor nur schemenhaft Handbewegungen erkennen konnte
„Der Erfolg der Transplantation ist von vielen Faktoren abhängig.“
Prof. Sebastian Thaler
– und nach dem Eingriff wieder alles sehen kann. Das sei schon faszinierend, sagt Thaler – dieser enorme Effekt, „und man hat doch nur dieses kleine Häutchen ausgetauscht“. Ja, die Patienten seien sehr dankbar. Aber heikel sei der Eingriff auch, weit mehr als die häufige Operation des Grauen Stars, bei der eine trüb gewordene Augenlinse durch eine künstliche Linse ersetzt wird. Im Unterschied dazu sei die Hornhaut eben ein lebendes Gewebe und kein industriell hergestelltes Produkt. Der Erfolg der Transplantation sei von vielen Faktoren abhängig.
Und in Zukunft, werden da künstliche Hornhäute die raren Spenderhornhäute ersetzen? Thaler ist skeptisch. Das Einbringen von Fremdmaterial ins Auge funktioniere in abgekapselten Bereichen wie der Augenlinse gut, aber da, wo sich das Material mit körpereigenem Gewebe verbinden muss, sei das schwierig, meint er.
Einem anderen Forschungsgebiet räumt er persönlich größere Chancen ein: jenen Versuchen, die natürlichen Endothelzellen zu regenerieren. Es gebe Studien mit Hinweisen, dass das klappen könnte, wenn man bestimmte „Schalter“betätige, berichtet er – und Experten, die einen Durchbruch auf diesem Gebiet schon in den nächsten zehn Jahren erwarteten.